CEO über dem Kuhstall

 

Politisches Buch. Diagnose "Asoziale Marktwirtschaft": Die Journalisten Ernst Schmiederer und Hans Weiss haben akribisch recherchiert, warum große Konzerne heute praktisch keine Steuern mehr zahlen. Falter, September 04

 

Man ist sich einig, vom Industrieboss bis zum Kommentator: Die Steuern sind zu hoch. Der Sozialstaat ist unfinanzierbar. Der Staat wuchert aus. Die Leidtragenden sind "wir alle" – die größte Gefahr sind "Tax-and-Spend"-Sozialdemokraten. Gerade erst war das auch im "Falter" zu lesen, in einer Gastkolumne von Hans Rauscher. Gegen Empirie sind die "Steuern-Runter"-Ideologen weitgehend immun.

 

Dennoch: Von dieser Woche an kann ihnen geholfen werden. In ihrem Buch "Asoziale Marktwirtschaft" haben die Journalisten Ernst Schmiederer und Hans Weiss akribisch zusammengetragen, "wie Konzerne den Staat ausplündern". Das Bild, das die Autoren zeichnen: Der Sozialstaat ist vielleicht pleite, aber das Geld ist nicht weg – es ist nur in den Taschen der Großkonzerne.

 

Gut recherchiert, flott geschrieben, eine Prise reißerisch ist der Report. Hans Weiss hat Erfahrung mit dem Metier: Von den "Bitteren Pillen" bis zum "Schwarzbuch Markenfirmen" war er meist bei Investigationen dieser Art mit von der Partie. Diesmal ist Ernst Schmiederer der Koproduzent. Der Autor hat sich als Gesellschafts-Ressortleiter und New-York-Korrespondent des "profil" einen Namen gemacht, zuletzt versaß er ein paar Lebensjahre bei Fellners Format.

 

In ganz Europa haben die Autoren sich auf die Fährte begeben, um den Steuertricks der Multis auf die Schliche zu kommen, sich dabei aber vor allem an Beispiele gehalten, die ihr deutschsprachiges Publikum besonders interessieren: an Exempel für die Kreativität deutscher und österreichischer "steuersensibler" (Branchen-Ondit!) Unternehmen.

 

So hat sich Weiss als reicher Erbe ausgegeben und ist nach Jersey zur Beratung bei der lokalen Tochter der Deutschen Bank geflogen – auf jene britische Kanalinsel, die wie ein paar andere Offshore-Steuerparadiese berüchtigt ist als Anlaufstelle für all jene, die ihre Millionen im Schonwaschgang versteuern wollen. Ernst Schmiederer wiederum tarnte sich als Vertreter einer slowenisch-amerikanischen Investorengruppe und machte sich auf Bürosuche in dem norddeutschen Kuhdorf Nordfriederichskoog, dessen Eigenart darin besteht, dass hier jahrelang der Gewerbesteuersatz bei exakt null lag – ein Umstand, der eine magnetische Anziehungskraft auf deutsche und internationale Konzerne hatte, die hier Briefkasten-Tochterfirmen ansiedelten.

 

Die Gewerbesteuern, die die Firmen auf diesem Weg sparten, fehlten anderswo – in diesem Fall den Gemeinden, in denen diese Firmen bisher residierten und Steuern zahlten. 800 Millionen Euro, schätzungweise, gingen deutschen Kommunen allein durch den Fall Nordfriederichskoog pro Jahr verloren.

 

Die Verlegung der Konzernzentrale in ein Mansardenzimmer über einen stinkenden Kuhstall ("Die Bauern haben von Banken und Industrieunternehmen Quadratmeterpreise verlangt, die in der Frankfurter City noch auffällig wären", erfahren wir etwa), ist eine der eher skurrileren und unterhaltsameren Arten der eigenwilligen Steuergestaltung durch große Konzerne. Durch Verlustvorträge, komplizierte Verschachtelungen von "Mutter"-, "Töchter-" und "Enkel"-Firmen schaffen es die Multis zunehmend, sich tendenziell steuerfrei zu rechnen. Dabei ist eine Konstruktion, die Verluste in Amerika auf Gewinne in Deutschland anrechnen lässt, noch eine eher simple Operation. Beliebt ist bei international tätigen Unternehmen, die internen Verrechnungspreise zwischen Mutterfirmen und lokalen Tochtergesellschaften völlig freihändig zu gestalten, so dass in relativen Hochsteuerländern Jahr für Jahr nur "Verluste" anfallen, und sich alle "Gewinne" in Niedrigsteuerländern anhäufen. Eine andere Variante besteht in der rechnerischen Verschuldung der Tochter bei der Mutterfirma, so dass als Folge hoher Zinsberechnungen kein Gewinn mehr anfällt. Der Gewinn wird so spielend und völlig legal in Steuerparadiese transferiert, in die Schweiz, nach Island oder am besten gleich nach Mauritius.

 

Die Folgen dieser Operationen sind längst dramatisch, auch weil die Regierungen – hektisch bemüht, die Konzerne von der Abwanderung abzuhalten -, seit Jahren Unternehmenssteuern senken oder die Steuergesetze so gestalten, dass sie gute Möglichkeiten zur kreativen Gestaltung bilden. Viele deutsche Kommunen stehen vor dem Aus. Vor vierzig Jahren kamen noch 20 Prozent des Steueraufkommens aus Gewinn- und Vermögenseinkommen, heute gerade noch 6 Prozent. 1983 trug die Körperschaftssteuer 14 Prozent zum deutschen Steueraufkommen bei, heute schlappe 2,3 Prozent. Und Österreich wird mit der jüngsten Steuerreform endgültig zur Steueroase für große Kapitalgesellschaften: Die Körperschaftssteuer sinkt auf 25 Prozent, die Möglichkeiten, den Gewinn niedrig zu rechnen, werden drastisch ausgeweitet.   

 

Nahezu unfassbar sind die Beispiele, die die Autoren zusammengetragen haben: so zahlte die Deutsche Bank jahrelang keine Ertragssteuern mehr, sondern erhielt stattdessen Steuererstattungen. Detto Siemens: Das Vorzeigeunternehmen zahlte von 2001 bis 2003 exakt null, erhielt aber 119 Millionen Euro Steuererstattung. Daimler-Chrysler zahlte über ein Jahrzehnt lang keinen Pfennig (bzw. Cent) an Gewerbesteuern in Stuttgart oder Sindelfingen. Auch der Lebensmittelmulti Unilever liebt es, die Euros, mit denen seine Produkte wie Knorr, Pfanni, Rama, Becel oder Du darfst bezahlt werden, so zu schleusen, dass skandalös wenig für den Fiskus rausspringt.

 

Gewiss ist es ein frommer Wunsch: Dass das Gerede aufhören möge, "wir" könnten uns den Sozialstaat nicht mehr leisten. Wahr ist: Wir können uns die zeitgenössische Finanzpolitik nicht mehr leisten.

 

Ernst Schmiederer / Hans Weiss: Asoziale Marktwirtschaft. Insider aus Politik und Wirtschaft enthüllen, wie die Konzerne den Staat ausplündern. Kiepenhauer & Witsch, Köln, 2004. 250 Seiten, 19,50 Euro.

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