Der Krieg der Köpfe

Osama & Freunde. Der unorthodoxe linke US-Essayist Paul Berman fordert in einer wuchtigen Streitschrift, die totalitäre Bedrohung durch den Islamismus ernst zu nehmen. John Gray langweilt dafür mit einem Essay über die "Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne". Falter, taz März 2004.

 

Paul Berman will in den Krieg ziehen. Der "Krieg gegen den Terror" müsse endlich zum "Krieg der Köpfe" werden, bekundet er. Schlußendlich werde der "weitgehend von Schriftstellern und Denkern" entschieden werden, und da möchte Berman nicht abseits stehen. Schon vorweggenommen sei: Paul Berman ist, um im Bild zu bleiben, gewissermaßen eine smart weapon. Er ist einer der profiliertesten Essayisten der USA, ein heller Denker und unorthodoxer Linker, der heute in den meisten Fragen den Neokonservativen im Pentagon und im Weißen Haus ziemlich nahe steht. In seinem Buch "Terror und Liberalismus", das jetzt auch auf Deutsch erschien, in den USA aber schon vor einem Jahr (also noch vor der Invasion im Irak), vertritt er leidenschaftlich und durchaus beeindruckend seine Position.

 

Er geht zunächst von der alten Frage aus, wie eine freie Gesellschaft überleben kann. Freiheit, Liberalität, Weltoffenheit, Marktwirtschaft, die Grundlagen der westlichen Kultur, generieren schließlich das eminent Unheroische: Indifferenz gegenüber allen möglichen Meinungen, eine Leidenschaftslosigkeit in politischen Fragen, Konsumismus, die Orientierung der Individuen an ihren eigenen Interessen. Niemand hat mehr Lust, in Kriegen zu sterben. Was aber, wenn diese liberale Gesellschaft herausgefordert wird, und wenn die Herausforderung von Kräften kommt, die gerade all das an der westlichen Kultur verachten? Dann muss, so Berman in Anlehnung an Abraham Lincoln, eine "freiheitliche Gesellschaft eine kriegerische Gesellschaft" werden.

 

Berman steht in der Tradition des linken amerikanischen "Liberalism", der in etwa mit der europäischen Sozialdemokratie vergleichbar ist, aber den kompromißlosen Anti-Totalitarismus noch stärker nuanciert. Berman, 1949 geboren, sieht sich als Erbe jenes Häufleins von Linken, die nie isolationistisch waren, für den Krieg gegen Hitler plädierten und auch gegenüber dem totalitären Charakter der Sowjetunion nicht blind waren. Seine Helden sind Leute wie Dewey und Koestler, seine Anti-Helden Hitler, Stalin, Saddam, bin Laden.

 

Denn, da läßt Berman nicht locker, islamischer Nationalismus und Islamismus (die sich für ihn nur oberflächlich unterscheiden) seien die totalitäre Herausforderung unserer Zeit. Sie macht aus, was alle totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts auszeichnete: Hass auf den Liberalismus, Hass auf den Westen, Antisemitismus, Todeskult, die Idee eines reinigenden Amargeddons, einer apokalyptischen Säuberung, einem Gewaltexzess, nach dem die neue Welt und der neue Mensch erst erstehen können; der Gestus moralischer Strenge, und die, wenn auch leicht wahnhafte, Vorstellung einer Ursprünglichkeit, die es wieder herzustellen gelte, wenngleich mit modernen Mitteln. 

 

Al Qaida ist damit, dies Bermans These, ein Produkt der westlichen Moderne. Dies ist auch die Pointe des neuen Buches von John Gray – "Die Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne" -, der zwar im Kern ähnliches sagt wie Berman, aber derart verschwurbelt und unausgegoren, dass es wehtut. Der Londoner Wirtschaftsprofessor beschreibt pointenreich die teils wahnhaften Erscheinungen des westlichen Rationalismus des 19. Jahrhunderts, von denen es nicht weit war zu Grotesken des Positivismus und damit auch zu einem "Machbarkeitswahn", ohne den die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts nicht denkbar gewesen wären. Die waren, einerseits, die radikalisierten Resultate dieses Wahns (etwa in ihren Menschenzüchtungsphantasien), andererseits abwehrende Reaktionen auf die Moderne. So mündet das Panorama aus gesamter Neuzeit, in das Gray al-Qaida fügt, in der Einsicht, dass alles modern ist: Rationalismus und Anti-Rationalismus, Moderne und natürlich auch Anti-Moderne, weil letztere ohne erstere gar nicht existieren würde. Das ist dann freilich so wahr, dass es schon wieder banal ist.

 

Berman führt seine These überzeugender aus, vor allem am Beispiel Sayyid Qutbs, des ägyptischen Moslembruders, der 1966 gehängt wurde, der der erste große Theoretiker des militanten Islamismus war und der heute noch entscheidenden Einfluss auf die Dschihad-Zirkel aber auch auf Teile des "gemäßigteren" Islam ausübt (siehe "Die Freiheit, die in der Unterwerfung liegt" im taz, 27.1.2004). Qutb war ein Produkt des Zusammenpralls von Tradition und Moderne und seine Theorie sei ohne westlichen Nihilismus, ohne Lenins Konzept der Avantgardepartei nicht zu verstehen – um nur zwei Einflüsse zu nennen. Und dieses "Westliche" im Islamismus ist bis heute leicht auszumachen: die Suizidalbomber erinnern Berman an das "Viva la muerte" linker Guerilleros, der Dresscode der Hamas an Mussolinis Braunhemden. Alle möglichen Sitten, Ideen und Waren habe Europa in den vergangenen 500 Jahren exportiert, "warum sollte es Europa unmöglich gewesen sein, auch seinen Geist der Selbstzerstörung zu exportieren?", fragt Berman.

 

Da schlägt er sein Argument natürlich etwas hart mit der Axt zu und insinuiert, die Moslems wären nicht fähig, ihren eigenen Wahnsinn auszubrüten. Dafür mußte sich Berman auch von Kritikern schelten lassen, die unterstellten, er benutze den Islamismus bloß als Folie für die Abrechnung mit der eigenen linken Geschichte und es habe ihm dabei paradoxerweise auch noch sein alter Linksradikalismus die Feder geführt: der Reflex, der Westen sei an allem schuld, auch an seinen Bedrohungen. Die Kritik ist hart, aber gerecht, denn sie folgt der Logik des höhnischen Generalverdachts gegen Haltungen des linken Juste Milieu, die Berman selbst zu einiger Meisterschaft gebracht hat. Seine linken Pappenheimer zeichnet Berman denn auch in grellen Farben, sie sind für ihn Komplizen der Verbrecher. Weil sie schon am Afghanistan-Krieg herumnörgelten und den Irakkrieg ablehnten; moralische Würmer, so wie die Pazifisten der dreißiger Jahre, die gegen den Krieg gegen Hitler argumentierten und von einem Appeasement der Nazis träumten; so wie die Fellow Traveller des Kommunismus, die im Kalten Krieg die Sache der Freiheit verraten haben; so wie die liberalen europäischen Warmduscher der neunziger Jahre, die nicht einmal daran dachten, die bosnischen Muslime zu retten. Er schreibt das alles in dem schneidig-spöttisch-verachtenden Tonfall, wie man ihn nicht selten findet bei Konvertiten, und der auch richtigen Argumenten oft diesen unangenehmen Beiklang verleiht.

 

Trotzdem ist Bermans Buch über weite Strecken tief und klug, und durchwegs ist es kenntnisreich. Und es wirf eine Schlüsselfrage auf: Wie kann sich eine modernisierte Linke einer der großen globalen Herausforderungen stellen, jenseits von pazifistischem Sanftmut und rechtem Haudrauf-Bellizismus? Mag Berman auch zu sehr der Hoffnung verfallen sein, die Freiheit könne auf den Bajonetten der US-Army verbreitet werden: Mit einer flotten Handbewegung abtun kann man seine Argumente nicht.

 

Paul Berman: Terror und Liberalismus. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg, 2004. 265 Seiten, 22,90 Euro.

 

John Gray: Die Geburt al Qaidas aus dem Geist der Moderne. Verlag Antje Kunstmann, München 2004. 174 Seiten, 16,90 Euro.

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