Ewig machen, ewig scheitern

Wolf Biermann hat die Streitaxt weggelegt und für eine neue Platte wieder zur Gitarre gegriffen

Berliner Zeitung, 19.08.1996


 

 

"In diesem Stuhl", sagt Wolf Biermann, "hat immer mein Freund Robert Havemann gesessen und die Welt gerettet." Jetzt steht der Ledersessel mit den großen Ohren, den wir vom Cover der Platte "Chausseestraße 131" in dunkler Erinnerung haben, in Hamburg-Altona, im Wohnzimmer eines geräumigen Backsteinhauses. Und er steht dort, man weiß es, nicht ganz freiwillig. Er ist dem Wolf Biermann nachgereist, als dieser im November 1976 während einer Westtournee ausgebürgert wurde. Aber das ist ja längst Geschichte, oder, wie es so schön heißt, deutsch-deutsche Geschichte.

 

Wie Wolf Biermann ist der Ledersessel auch ein deutsch-deutscher Fall: Denn er steht auch nicht ganz unfreiwillig in seiner Ecke in Hamburg-Altona. Manchmal zerreißt es ihm das Herz, erzählt er, "wenn ich die Chausseestraße hochgehe und zu den Fenstern meiner Wohnung hochgucke." Zurückgegangen ist er doch nicht nach Berlin: "Sie haben es geschafft, mich wegzuekeln." Doch Biermann wäre nicht Biermann, würde er nicht hinzufügen: "Von heute aus gesehen – damals hat es mir sehr weh getan – haben sie mal wieder alles gut für mich gemacht. Hier kann ich mich besser auf meine Arbeit konzentrieren."

"Sie", das sind "die alten Schweine, die wieder oben sind", und sie stören Wolf Biermann auch im fernen Altona. Leider. Und er, der kampfeslustige Reimeschmied, der Drachentöter, dem der Drache weggestorben ist, läßt sich nur allzu bereitwillig stören. Ein Jammer.

Denn wenn der die Streitaxt beiseite legt, wenn der Jakobiner mit den starken Worten die leisen Töne anschlägt, dann erst wissen wir, was wir wirklich an ihm haben. Einen Dichter, wie er so häufig nicht vorkommt in den Ländern deutscher Zunge, einen Virtuosen der Gitarre. Wenn es ihm dann ins Hirn und in die Brust fährt, was ihm eigentlich das wichtigste ist, "daß die Leute meine Gedichte lesen, daß sie meine Lieder hören – die alten und die neuen", dann sind die Prosa-Keulen schnell vergessen.

Also hat er sich hingesetzt und Lieder gemacht. Ja, der neue Biermann steht nicht im "Spiegel", er schreit auch nicht vom Fernsehschirm, sondern er flötet wie die Nachtigall auf seiner neuen CD. "Süßes Leben – saures Leben. 17 neue Lieder", erscheint dieser Tage im Label von "Zweitausendeins". Im Titellied singt er: "Wenn ich Gift und Galle saufe/ Wenn ich mit der Meute raufe", dann sagt er sich, was der Weise sagt: "Ewig machen, ewig scheitern/ Macht nix, Alter! mach so weiter/ werde älter, klüger, kesser/ Vorwärts! hoppe-hoppe-Reiter/ Mach, mach, mach, mach und scheiter/ aber scheiter immer besser!"

Sechzig Lenze zählt er bald, Triumphe und Tragödien liegen hinter ihm, und ein paar Irrtümer hat er wohl noch vor sich. Doch die zählen nicht, das muß einmal gesagt sein, bei einem, der so schöne Lieder schreibt. Daß er in Altona daheim ist, davon singt er uns so manches Lied. Süße Heimat, saure Heimat, ist man, den Titelsong varriierend, versucht zu sagen. Auf die Moorweide in Altona wurden schon seine jüdischen Angehörigen getrieben, bevor sie in die Wälder im Osten deportiert und erschossen wurden; sein Vater saß da im Gestapo-Knast, bevor die Nazis ihn in Auschwitz umgebracht haben. Und die Mutter Emma rannte mit dem kleinen Wolf ums Überleben, als die Bomben der Alliierten vom Himmel prasselten und der Feuersturm durch die Häuserzeilen blies. Damals war er sechs.

"Sechseinhalb", korrigiert Biermann. "Ich bin noch immer sechseinhalb. Wie die Uhr in Hiroshima, die im Moment der Explosion stehenblieb und deren Zeiger eingeschmolzen sind, ist meine kleine Lebensuhr damals festgebrannt."

Schon viele haben ihn mit Georg Büchner und Heinrich Heine verglichen. Sicher hat er mit denen gemein, daß die auch manch notwendigen und manch sinnlosen Streit ausfochten, an welche sich die Heutigen nicht mehr erinnern können.

Viele Freunde hat er sich nicht gemacht in den Jahren nach 1989, seitdem er sich mit Wollust in den deutsch-deutschen Streit warf, wirklichen und vermeintlichen Spitzeln, alten und neuen Bonzen Grobheiten an den Kopf sagte. Daß er Egon Krenz und Manfred Stolpe in einem "Spiegel"-Essay an die Laterne wünschte – "dies ist ein bescheidener Vorschlag zum Selbstmord und ein behutsam ausgewogenes Lob der Lynchjustiz", schrieb er damals – provozierte manches Kopfschütteln. "Biermann hat wahrlich bessere Zeiten erlebt", schimpfte Walter Jens, der Präsident der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg. Jens‘ Sohn Tilman hat Biermann einmal ein "welkes Kind" genannt, bloß weil dieser Marcel Reich-Ranickis Geheimdiensttätigkeit aufgedeckt hatte. Und nur, um dann ein paar Wochen später selbst Reich-Ranicki bittere, verletzende Sätze zu übermitteln. Doch was sind solche Ausfälle gegen Biermanns zarte Gedichte? Um es mit einem ihm sehr lieben Wort zu sagen: nebbich.

Biermann ist ein Virtuose der deutschen Sprache, und gerade deshalb kann er mit Worten nicht täuschen. Ob er denn, als die Mauer fiel, nicht eigentlich noch ein halber Ossi gewesen sei, einer, den sie ausgerissen und in Hamburg hingestellt haben? "Nein." Sagt er. Ganz schnell.

Die meisten Menschen im Osten, erzählt er, waren "einerseits keine Schweine und andererseits keine Helden." Deswegen sei er ihr "Ermutiger vom Dienst gewesen, und gleichzeitig haben sie an meinem Beispiel ihre eigene Schwäche gehaßt – eine unglaubliche Gefühlssituation, die sich erst jetzt rabiat artikuliert." – "Kränkt das?" – Biermann: "Wenn man das durchschaut, kränkt es nicht." Und man sieht ihm an: Was der Kopf zu wissen glaubt, davon weiß die Seele nichts, in der der Schmerz haust; darüber, daß sich die Liebesbezeugungen, wenn er durch die Straßen Ost-Berlins geht, in sehr bescheidenen Grenzen halten. Vielleicht muß er diese Schmerzen wegschreien mit den brachialen, polemischen Worten? Vielleicht muß er deshalb reden und reden und reden über das, wofür er nur in zweiter Linie gemacht ist: über Politik?

So redet er das erste Tonband voll und das zweite, und nach zwei Stunden ist der Vorrat an Aufnahmetechnik zu Ende. Dann nimmt er einen Schluck aus der blauen Teetasse, guckt sechseinhalbjährig traurig und sagt: "Jetzt haben wir fast gar nicht über meine Lieder gesprochen." Er schaut auf die alten Platten, die es nun als CD gibt, und sagt: "Diese Lieder gehören doch in den Osten." Die alten Lieder, von der Oma Meume in Hamburg, mit den schön irren Zeilen: "Vom Himmel auf die Erde fallen sich die Engel tot."

Auf einer Kommode liegt der schwarze Gitarrenkasten. Er klappt ihn auf, klemmt sich das Instrument an die Brust. Mit einem Mal ist er nicht mehr der kampfeslustige Polemiker, sondern ein scheuer, jungenhafter Barde, der den Schnauzbart, der immer grauer über die Oberlippe wächst, bloß zur Tarnung trägt. Er schraubt den Kapodaster auf den Steg der Gitarre, schlägt sehr deutsche, im besten Sinne deutsche Töne an. Schubertiaden.

"Nimm mich unter deinen Fittich, liebes Mädel/ Mutter, Schwester, Schätzchen, halt mich fest/ Schutzdach sei dein Flügel für mein‘ Schädel/ Für Gebete ohne Gott/ für Gebete ohne Gott/ sei du mein Nest."

Biermann singt nicht mehr von den großen Lebensweisheiten, sondern vom kleinen Leben, vom Küssen und vom Sterben, vom Wein am Golan und der Elbe bei Hamburg. Wenig Weltanschauung, viel Welt-Anschauung.

Die Finger tun weh, die Gitarre verschwindet im Eck, und der Blick von Wolf Biermann sucht, nach Zustimmung vielleicht, oder danach, verstanden zu werden. Seine Mutter Emma, erzählt er, hat ihn, wann immer er zu Konzerten ins Ausland aufbrach, in ihrem norddeutschen Idiom gefragt: ",Saach maal Woolf, vasteen die dich da überhopt in Nujoork?` Ich sagte immer: ,Klar Emma, de verstehn mich genauso wie in Deutschland: gar nicht.` Dann hat sie sehr über mich gelacht."

Dann lacht auch er. Über die Deutschen. Und über sich.

Wolf Biermann: Süßes Leben – saures Leben. 17 neue Lieder. Im Versand bei Zweitausendeins. Postfach, 60381 Frankfurt. 25,90 Mark. +++

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