Geqirrlter Schwachsinn

Nebensachen von Links. Keine Tragödie ohne Farce. Es ist angesichts der Weltlage  nicht notwendig, ein Linksradikaler zu sein, um völlig durchzuknallen. Aber es hilft. Eine Einführung in "antideutsche" und "antiimperialistische" Narreteien.

 

Man kann, nur mal zur Probe, die Sache so sehen: Der militante Islamismus – in schneidigen Leitartikeln "Islamofaschismus" genannt – ist die totalitäre Herausforderung unserer Zeit. Ihn muss man niederringen, welche Motive seine Protagonisten sonst auch haben mögen – und egal, ob sie gerade al Kaida oder Hamas heissen, ob Osama bin Laden oder Muktada al Sadr. Übrigens kann man auch folgender Meinung sein: Die USA haben den Krieg im Irak aus den falschen Gründen begonnen, aber dennoch das Richtige gemacht – Saddam gestürzt, den Irakern die Freiheit gebracht. Recht plausibel ist auch folgende Meinung: Sie haben das Falsche getan, aber jetzt ist das Unheil einmal angerichtet. Jetzt braucht es die US-Truppen im Irak. Leider spricht auch für folgende Argumentationsreihe viel: Der Irakkrieg war, ist, bleibt ein Desaster. Um den Aufruhr zu unterdrücken, müssten die US-Besatzer mit noch mehr Härte vorgehen. Das würde den Hass der Iraker weiter anstacheln. Was jetzt unter Führung des finsteren Mullah Sadr geschieht, ist die Formierung einer irakischen Widerstandsfront – ob einem die gefällt oder nicht. Die Amis sollen raus, bevor das Land vollends lichterloh brennt.

 

Alles vertretbare Meinungen, auch wenn sie zu gegenteiligen Schlüssen kommen. Und alle haben sie etwas Plausibles.

 

Und nun, bitte schön, ein paar schnelle Antworten: Erhoffen Sie im Irak den Sieg des Widerstandes? Oder den Sieg der US-Armee? Empfinden Sie klammheimliche Freude, wenn Widerständler eine Bombe zünden? Oder erschrecken Sie ob der Opfer? Wenn ja, ob welcher Opfer: Auch wenn US-Marines in die Luft fliegen? Oder nur, wenn es unschuldige Kinderchen zerreisst? Was ist legitimer Widerstand? In New York in Wolkenkratzer fliegen? Im Irak Besatzer abknallen?

 

Kann es sein, dass Sie zu all dem zwar eine Haltung haben, aber keine ganz simple, eingängige Antwort, die den Knäuel der Probleme entwirren würde? Ja? Wie langweilig! Darum soll hier von zwei Erscheinungen die Rede sein, die sich bei all der vertrackten Lage die Gabe der Eindeutigkeit bewahrt haben. In der an Seltsamkeiten gewiss nicht ganz armen Geschichte der äußeren Linken zählen sie heute schon zu den seltsamsten Phänomenen: die "Neo-Antiimperialisten" auf der einen und die "Antinationalen" bzw. der "Antideutschen" auf der anderen Seite.

 

Es ist womöglich die steilste Fehde seit dem Stalin-Mao-Schisma.

 

Die Neo-Antiimperialisten sind für den Widerstand. Für so ziemlich jeden. In Wien formieren sie sich um die "Antiimperialistische Koordination", gewiss ein eher klägliches Häuflein, in Italien beispielsweise ist die Strömung aber nicht ganz unbedeutend. Sie hat auch Verbindungen zu türkischen Untergrundgruppen. Ihr Beitrag zum Kampf gegen den Imperialismus ist vor allem ein pekuniärer. "10 Euro für den Widerstand", lautet die Parole ihrer Schnorr-Kampagne. Für 40 Euro bekommt man im Irak eine Kalaschnikow. Eine einfache Spende bringt also eine Viertel Kalaschnikow. Der Widerstand, dem sie zur Seite steht, besteht nach ihren eigenen Worten aus "islamischen, nationalistischen, links-baathistischen" Kräften. Der "Irakischen Patriotischen Allianz" will sie noch in diesem Sommer ein hübsches Sümmchen persönlich vorbeibringen. Die besteht aus einstigen Agenten des Saddam-Regimes, dürfte in der Wahl ihrer Verbündeten nicht sonderlich engherzig und ansonsten eher einflusslos sein. "Wir arbeiten mit allen zusammen, die unsere Ziele teilen", sagte ihr Führer Awni al-Kalemji jüngst in einem Interview mit dem ARD-Magazin "Panorama". Und ein vermummter Kämpfer brüstete sich eines Angriffs auf einen US-Konvoi: "Lebend rausgekommen ist keiner".

 

In Italien wurden im April drei Aktivisten von der Polizei festgenommen. Hintergrund ist die Kooperation mit der türkischen DHKC, einer kommunistischen Untergrundgruppe, die in Anatolien noch einen Guerillakrieg führt. Sie steht auf der Terrorliste der USA. Da kommt man heutzutage zwar leicht drauf, auf ihrer offiziellen Homepage prahlt die DHKC aber selbst mit ihren Erfolgen im "Volkskrieg". Nach den Terroranschlägen auf jüdische Gebetshäuser in Istanbul durch al-Kaida-Zellen war in ihren Stellungnahmen nur von "Aktionen gegen Synagogen" die Rede, die als "eine Antwort auf die amerikanische Besatzung und die Kollaboration" der türkischen Regierung legitimiert wurden.

 

Gegen die USA sei, angesichts ihrer Macht, nur assymetrische Kriegsführung möglich, das meint auch die "Antiimperialistische Koordination" in Wien. In solchen Kriegen kommen nun einmal Zivilisten zu schaden. Schuld sind aber die anderen, die Imperialisten. "Wenn dabei das Missverhältnis der Opferzahlen weiter steigen sollte, so tragen dafür einzig und allein die USA die Verantwortung."

 

Das Weltbild ist manichäisch. Der Imperialismus ist böse. Die USA sind böse. Böse ist, wer sich mit den Imperialisten verbündet. Besonders böse, weil besonders verbündet, ist Israel. Wer gegen den Imperialismus kämpft, ist gut. Egal, ob er Kommunist ist, auf eine Karriere als Folterknecht unter Saddam zurückblicken kann oder glaubt, er würde von Paradiesjungfrauen gefickt, wenn er sich und zufällig Herumstehende mit Sprengstoffgürtel hochjagt. "Heute ist es von erstrangiger Bedeutung, ob man für oder gegen das amerikanische Imperium kämpft."

 

Tertium non datur. Pol Pot hätte das nicht hübscher formulieren können.

 

Wenn man sich durch die Pamphlete durchquält, dann wähnt man, womöglich das Dümmste gelesen zu haben, was seit den früheren RAF-Zeiten auf linker Seite vertreten wurde. Ein Urteil, an dem jedoch sofort wieder Zweifel aufkommen, wendet man sich der Gedankenwelt der "Antideutschen" zu. Die argumentieren zwar raffinierter, dafür aber noch abgedrehter. Sie kommen, wie der Name schon vermuten lässt, ursprünglich aus der Bundesrepublik, haben da unter begabten Jungakademikern gewissen Einfluss erlangt, sind aber auch hierzulande rührig: aktiv um das Cafe Critique, haben sie die einstige Zivildienerzeitung ContextXXI usurpiert und auch das bisher renommierte Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ein bißchen angesteckt. Die grundlegende Gedankenreihe der antideutschen Narretei ist einfach – sie sind obsessiv auf Deutschland fixiert. Deutschland ist für sie, was es immer, vor allem so um 1940 war: Faschistisch, eine Gefahr für den Weltfrieden, Agentur des Völkischen. Deutschland ist böse. Folglich sind alle, die von Deutschen kritisiert werden, gut. Also auch George W. Bush. Vor allem sind die Deutschen Antisemiten. Also sind alle Juden gut – auch Ariel Scharon. Die Moslems sind gegen die Juden, also gewissermaßen Deutsche.

 

Jassir Arafat, Osama bin Laden, Joschka Fischer, Gerhard Schröder – ein Pack. "Geqirrlten Schwachsinn" hat die unorthodoxe linke "Krisis"-Gruppe diesen umgekehrten Nationalismus einmal genannt. Aus dieser Basisannahme wird so gut wie alles abgeleitet. Die Friedensbewegung – in den Augen der Antideutschen nur "Demomob". Nach dem Fall Bagdads beglückwünschten sie in vollendeter Förmlichkeit "die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens" zu ihrem Sieg.

 

Zu Demos, und handelt es sich auch um solche gegen Sozialabbau, gehen sie nie ohne israelische Fahne. Die passt immer – denn das blau-weisse Banner gilt ihnen als das ultimative Symbol des Emanzipatorischen. Die Antiglobalisierungsbewegung hat für sie faschistoide Tendenzen, nicht nur, weil manche Protagonisten Israel kritisieren. Weil beim Weltsozialforum eine Resolution verabschiedet wurde, in der es heißt, die "neoliberale Globalisierung zerstört die Umwelt, Gesundheit und den Lebensraum der Völker", steht die Bewegung unter dem schlimmen Verdacht des "völkischen" Denken. Denn befreien kann man ja nur Individuen und "Massen", keine Völker. Klingt ein bißchen nach Negri und duftet nach Deleuze, ist darum schicker als der miefige Anti-Impi-Brei.

 

Man zerkugelt sich fast, so skurril ist das bisweilen: "Die Genossen in Mexiko sollten auch antideutsch sein", forderte unlängst ernsthaft ein Berliner Wortführer der Strömung.

 

Antideutsche und Antiimperialisten verwenden ihre Zeit, das versteht sich von selbst, hauptsächlich darauf, sich gegenseitig zu bekämpfen. Ist die Liebe der AIK-Leute zu Palästina so glühend wie ihr Hass auf Israel tief ist, so ist die palästinensische Bevölkerung für die Antideutschen ein "Kollektiv von Selbstmordattentätern und Moslemfaschisten". Für die Antideutschen sind die Antiimperialisten linke Antisemiten, die sich mit islamischen Nazis zusammentun. Umgekehrt gelten sie den Antiimps als besonders perfide Agenten des Weltimperialismus. Da geht es auch handgreiflich zu, stürzen sich Antiimps mit lauten Intifada-Rufen auf Antideutsche. Angehörige der Wiener jüdischen Gemeinde, im linken Sektenwesen unbeschlagen, gerieten im vergangenen Herbst zwischen die Fronten dieser Bandenfehde und glauben seither steif und fest, es grassiere der linke Antisemitismus.

 

Das ist natürlich alles hochgradig verrückt. Wär’s eine Krankheit, könnt‘ man es wenigstens heilen. Und doch sind dies sprechende Narreteien, weil sie von echten Fragen ausgehen, aber absurde Antworten geben: sie sind nur die exaltiertesten Symptome einer allgemeineren Verwirrung. Aber da sie Symptome sind, sind sie auch schon wieder interessant: weil sie eine Seite der Wahrheit bis zur Groteske radikalisieren. Die Antiimpis den Umstand, dass es Widerstand geben kann, dessen Motive nicht ignoriert werden können, auch wenn er unsympathisch ist; die Antideutschen verweisen darauf, dass die naheliegenden Antworten oft die falschen Antworten sind – und geben darum zur Sicherheit immer die gegenteilige Antwort. Beide zusammen führen nur auf grellste Weise vor Augen, dass es die gute Position hehrer Eindeutigkeit nicht mehr gibt. Hand in Hand sind sie, frei nach Marx, zur Tragödie die Farce.

6 Gedanken zu „Geqirrlter Schwachsinn“

  1. hallo.
    mit deiner analyse machst du es dir glaube ich ein wenig zu einfach. das hat ein wenig etwas von der mitte der gesellschaft, welche sich immer als objektive, neutrale, rationale instanz hinstellt und alles „an den rändern“ zu durchgeknallten extremisten abstempelt.
    von antideutscher seite wurden themen wie nationalsozialismus, antisemitismus, aber auch feindschaft gegenüber israel erst in die debatte gebracht. das waren vorher nur randthemen und dass es so etwas wie linke antisemiten geben könne war unvorstellbar.
    genau diese notwendigen debatten sind von antideutschen angeschoben worden und nicht von dem teil der linken der sich selbstgefällig zurücklehnt und die debatte scheut mit dem argument das seien ja alles irre. das mag gut für das ego sein, scheint dir ja auch ein spass zu sein alles zu belächeln, führt aber in der sache, z.b. gegen antisemitismus in den eigenen reihen vorzugehen, zu gar nichts.
    soweit….

  2. Du schreibst:
    „von antideutscher seite wurden themen wie nationalsozialismus, antisemitismus, aber auch feindschaft gegenüber israel erst in die debatte gebracht. das waren vorher nur randthemen und dass es so etwas wie linke antisemiten geben könne war unvorstellbar“
    Die achtziger Jahre verschlafen? Oder noch nicht geboren gewesen? Da hats die Spinner also wirklich nicht gebraucht, um darauf zu kommen.

  3. es hat die spinner, wie du sie nennst, eventuell nicht gebraucht darauf zu kommen, aber warum sind dann eben jene debatten nicht geführt worden? war ein antizionismus (der zu oft sich antisemitisch äusserte) nicht eher die regel in der deutschen und auch österreichischen linken? und das mit einer geschichte des nationalsozialismus, im land der täter?
    ich habe von wenigen linken gehört, gelesen die schon vor zwanzig jahren eben diese debatten geführt haben, da kannst du mich ja gerne korrigieren.
    die debatten um 2001 herum kenne ich noch ganz gut und damals konnte einer linken die erkenntnis, dass auch linke scheisse sein können, nicht jeder widerstand toll ist und dass antisemitismus nicht erst an der rampe von ausschwitz beginnt, kaum sachlich erklärt werden, weil wir sind ja so links und deshalb immer die gut. heisst: diese linken hätten es ohne die antideutschen nicht begriffen.
    finds auch schwierig, dass du alle antideutschen positionen hier als ein „spinnertum“ abtust. egal, da lässt sich wohl eh nicht gegen arguentieren.

  4. anyway, vielleicht scan ich dir mal was ein. verlinken geht ja schwer – damals war das internet ja noch nicht erfunden, deshalb glaubst du wahrscheinlich, dass sei alles erst vorgestern erfunden worden. 😉

  5. wollte nicht gesagt haben, dass z.b. schon vor zwanzig jahren die linke komplett blind gewesen wäre gegenüber antisemitismus. linke, bzw. linke gruppen welche schon damals antisemitismus auf die agenda gesetzt haben (ausser als lippenbekenntnis, und denn meist nur historisierend, also nie ein aktuelles problem) fallen mir persönlich eher wenige ein. nach broder, claussen, ingrid strobl (etwas später), und vorläufern der antideutschen (z.b. die „nie wieder deutschland“-kampagne zur vereinigung) bleibt da wenig im deutschsprachigem raum, abgesehen von überlebendenverbänden und dem zentralrat der juden. und genau diese leute haben kaum dem linken mainstream entsprochen… aber wenn du da quellen hast gerne.
    wir organisieren auch workshops zu antisemitismus, wo es auch viel um den von links geht, und nach unserer beschäftigung mit der thematik bot sich uns von der linken der 1960er-1980er Jahre eigentlich ein ganz schön krasses bild wenn es denn um israel, shoah etc. ging. ist im nachhinein und ohne dabei gewesen zu sein natürlich schwer zu beurteilen, aber sachen die wir gelesen haben: gruselig. mag ja sein, dass viele linke antisemitische ausfälle zu der zeit verurteilt haben, aber wilde debatten wurden deshalb nicht ausgelöst.
    so long…

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