Gerechtigkeit für Wolfowitz?

Die Neokonservativen hatten Recht und Unrecht zugleich. Ihr "demokratischer Expansionismus" hat die richtigen Fragen aufgeworfen, ihr imperialer Gestus einen produktiven Umgang mit der Situation verhindert. Wie realistisch ist die "Modernisierung Arabiens" nun, one year after? März 2004

 

 

Es gibt diese Ereignisse, bei denen man sich lange daran erinnert, wo man war, als man von ihnen erfuhr. Ereignisse von historischer Grandiosität – der Abend, als die Mauer fiel, beispielsweise; der Morgen, als die Suicide-Flieger in die WTC-Türme krachten. Und dann gibt es Ereignisse, die von weniger weitreichender Bedeutung sind, die sich aber ins Gedächtnis einbrennen wegen der Gefühle, die sie in einem auslösten – weil man in dem Augenblick, als man von ihnen erfuhr, Denken und die spontane Haltung, die man zu ihnen einnahm, nicht in Übereinstimmung bringen konnte. Man erinnert sich dann daran, dass man sich über sich selbst wunderte.

 

Als Saddam Hussein aus seinem Erdloch gezogen wurde war ich am Eislaufplatz. Und erschrak, weil ich mich darüber nicht freuen konnte. Dann stieg, während ich meine Runden drehte, Ärger über George W. Bush in mir hoch. Weil der Kerl daran schuld ist, dass ich mich nicht darüber freuen kann, dass der Blutsäufer von Bagdad dingfest gemacht wurde.

 

Ich erzähle das, weil ich glaube, dass es nicht nur mir so ging. Weil das ein Symptom für die Verwicklungen ist, in die der Westen in den vergangenen zwei Jahren geraten ist. Weil dieser Knäuel entwirrt werden muss. Erinnern wir uns noch einmal an die Lage, wie sie sich vor einem Jahr darstellte: die US-Strategen, weitgehend beeinflußt von den neokonservativen Vordenkern, hatten ein neues Motiv angeschlagen – Demokratisierung und Modernisierung der arabischen Welt. Da schwang ein bißchen demokratischer Idealismus mit, ein bißchen Machtpolitik und ein guter Anteil wohlverstandenes Eigeninteresse. Die "realistische" Schule der US-Außenpolitik hatte ja angenommen, die amerikanischen Interessen würden am Besten gewahrt, wenn man sich mit Oligarchien und Potentaten der Region arrangiert. Das pikierendste Exempel dafür ist die jahrzehntelange Allianz mit dem saudi-arabischen Prinzenregime. Dann musste man zur Kenntnis nehmen, dass diese steinreichen Profiteure des westlich-kapitalistischen Wirtschaftssystems ihre Petrodollars dazu benützen, ihr wahabitisches Sektierertum zu verbreiten und  den Hass auf die Zentralmacht des Westens, die USA (aber nicht nur auf sie allein) zu schüren. Darum sollte der gescheiterte "Realismus" durch einen demokratischen Expansionismus ersetzt werden. Und man wollte im Irak damit beginnen: das Land zu einer Insel der Demokratie im arabischen Raum machen. Selbst der Umstand, dass die USA es auf die irakischen Ölquellen abgesehen hatten, muss in diesem Kontext noch nicht ausschließlich kritikwürdig sein – denn erst wenn eine Alternative zur Abhängigkeit vom Hause Saud existiert, kann man auf dieses Druck ausüben. So jedenfalls insinuierten das die Apologeten des Bush-Kurses.

 

Daran war einiges mit Recht auszusetzen. Der imperiale Stil, mit dem sich die Bush-Regierung über Einwende hinwegsetze, dieser Grundton paternalistischer Großmütigkeit, mit der man die bekannte Rhetorik des "wohlwollenden  Imperialismus" anschlug, eines gütigen Empires, dem es darum zu tun ist, ein Gemeinwesen zu seinem Besten zu erobern. Man konnte die USA deshalb, kurz gesagt, aus zwei Gründen kritisieren. Erstens: Aus der Überzeugung heraus, dass die Bush-Leute ihre guten, idealistischen Ziele nur vorschoben, in Wirklichkeit aber an Macht, Öl, Militärbasen interessiert seien; oder weil man der Überzeugung war, dass es eine Art zu handeln gibt, die kontraproduktiv ist in Hinblick auf die Ziele, mögen diese auch hehre Ziele sein. Beide Varianten der Kritik unterstrichen zudem, dass dieses Irrlichtern etwas mit der Position unangefochtener Hegemonie der imperialen Hypermacht USA zu tun hat. Und beide Varianten von Kritik hatten einen gemeinsamen Fluchtpunkt in Hinblick auf die Konstellation im Nahen Osten und im gesamten arabisch-moslemischen Raum: die Verteidigung des Status quo.

 

Genau das ist das Problem. An diesem wunden Punkt setzen die Neokonservativen mit ihrem Hohn an – über die Linke, die früher noch die Welt revolutionieren wollte und die heute die Herrschaft von Prinzen, Potentaten und Militärmachthabern verteidigt. Eine Reihe von Intellektuellen, die man nicht einfach mit einer Handbewegung abtun kann (wie der amerikanische Islam-Forschungs-Doyen Bernhard Lewis) und auch linksliberalen Denkern, die aber quer zum linken Mainstream stehen (wie der US-Essayist Paul Berman), machten an dieser Stelle gewissermaßen ihre Punkte: dass es eine tiefe Krise der arabischen Welt gäbe, welche Stagnation, autoritäre Herrschaft und Terror produziere und ohne Intervention von außen nicht gelöst werden kann; dass Islamismus und Reste des arabischen Nationalismus die totalitäre Bedrohung unserer Zeit darstellen, gegen die es die Werte von Freiheit, Demokratie, Frauenrechte, Antirassismus etc. zu verteidigen gelte – wenn nötig auch kriegerisch. Dass die Linken und Liberalen im Westen, kurzum, anstelle immer an Bush herumzunörgeln, endlich einen Kampf um ihre Werte aufnehmen sollen – gegen die Islamisten. Und zwar im eigenen Interesse, aber auch im Interesse der arabischen Welt selbst – und insbesondere in Solidarität mit jenen Menschen in den moslemischen Ländern, die für Gesinnungs-, Meinungsfreiheit eintreten, mit den Frauen, die für Gleichberechtigung kämpfen.

 

Nun ist der "Krieg gegen den Terror", so besehen, natürlich ganz wesentlich ein "Kampf um die Köpfe" – und ein "Krieg der Köpfe". Dass der nicht geführt wird, dafür liegt der Hauptteil der Schuld bei George W. Bush und seiner Entourage. Die rüpelhafte Art, mit der die US-Regierung in den Krieg gegen den Irak gezogen ist, ihr Unwillen und ihre Unfähigkeit, um Ideen zu kämpfen und Partner zu gewinnen, hat es nicht nur schwieriger gemacht, demokratische Reformen global durchzusetzen – sie hat das Ziel selbst desavouiert. Respekt ist nicht nur ein Gebot der Höflichkeit, er ist, im Umgang von Starken mit Schwachen – und damit auch in der internationalen Arena – Teil des demokratischen Wertekanons. Darum hat sich im Verhältnis von "der Welt" zu "den USA" (von wenigen Ausnahmen abgesehen), ein Mechanismus reflexhafter Abwehr eingeschlichen. Das wird die von Joschka Fischer erhoffte "Rekonstruktion des Westen" ziemlich schwierig machen.

 

Man merkt das gerade in diesen Tagen wieder deutlich. Die "Greater Middle East Initiative", die die US-Regierung lanciert hat und hinter der sie im Juni alle G-8-Staaten sammeln will, ein Stakkato aus Vermittlungen, wirtschaftlicher Öffnung, Hilfe für die lokale Zivilgesellschaft, aber auch aus Konferenzen, Tagungen, Vorträgen, – alles mit dem Ziel, die demokratischen und reformorientierten Kräfte in der Region zu unterstützen – stößt rundum auf Skepsis. Erstens, weil dieser US-Regierung keine Glaubwürdigkeit mehr zugeschrieben wird, weil ein Großteil des "alten Europa" weiter in Skepsis verharrt; zweitens, weil die politischen Eliten der Region sich aus naheliegenden (und meist nicht sehr hehren) Gründen "Einmischung" verbieten.

 

Dabei sind es genau solche Initiativen, die es bräuchte – und auch sie wären erst der Anfang. Der westeuropäischen Linken ist wohl anzuraten, aus der mittlerweile unergiebigen "Nein"-Position langsam herauszukommen, und sich an der Debatte zu beteiligen, die da lauten wird: Wie ist Modernisierung und Demokratisierung in den Krisenzonen der Welt denkbar?  Es wird da in viele Richtungen zu streiten sein: gegen den irrationalen Todeskult der Islamisten und deren Reinheitsideologien ebenso wie gegen den vorgeschobenen Kulturalismus der lokalen Eliten, die von der "Behauptung kultureller Eigenheiten" schwadronieren, damit aber oft nur ihre korrupten Regimes meinen. Und gegen die Herren in Washington, die unter Verbreitung von Liberalität gewiß auch die Verbreiterung ihrer Interessenssphären verstehen, und sich wohl auch künftig mit Gefängniswärtern verbünden werden, wenn die Schufte versprechen, sie seien "ihre Schufte" (was rivalisierende Mächte, wie etwa Frankreich, aber mindestens genauso gerne tun). Wieweit sind kulturelle Eigenarten und verschiedene Entwicklungspfade zu respektieren und der Versuch, sie zu planieren, ein paternalistisch-imperialer Akt, wann aber verlangt demokratischer Universalismus eine klare Haltung gegen Lokalkolorit wie Tschador und Auspeitschen? An Hand welcher Maßstäbe entscheidet man das von Fall zu Fall – und wer entscheidet? Der schräge Kopftuchstreit in unseren Breiten läßt ahnen, wie schwierig diese Auseinandersetzungen noch werden. Und wie lassen sich Modernisierungspfade denken ohne Ausbreitung eines Rudimentär-Amerikanismus aus aufgeklärter Halb-Demokratie, Billigarbeit und Disney-World? Soll man sich eher auf einen Multipolarismus orientieren, der dann aber erst erweisen wird müssen, wie er der Falle des Relativismus entgeht, dem aufgeklärte asiatische Despoten ebenso recht sind wie die hoch entwickelte Netzwerk-Demokratie der Europäischen Union? Oder doch auf ein geläutertes Amerika als "Führer der freien Welt"? Es ist schon schwierig, auf all diese Fragen konzise, überzeugende Antworten zu finden. Noch schwerer ist es, daraus ein, zwei politische Initiativen zu formen, die mehr sind als das übliche diplomatische Brimborium. Paul Wolfowitz und den anderen Neokonservativen ist immerhin zugute zu halten, dass es sie waren, die die Fragen aufgeworfen haben – auch wenn ihr Handeln und ihre gesamte Gestik einen produktiven Umgang mit der Situation verhindert haben. Jetzt stehen die Chancen für die "demokratische Revolution", die sie versprachen, nicht ausgesprochen gut.

 

Paradox, aber wahr: Die Bushisten haben das Thema immerhin hochgezogen. Die Bedingung dafür, dass etwas daraus werden kann, ist aber die Abwahl George W. Bush‘ im November.

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