Lob der Ungerechtigkeit

Ein Nachtrag zur Bush-Wiederwahl. Standard, November 2004

 

Reinhard Heinisch, ein aus Villach stammender, in Pittsburgh lehrender Politologe, wirft mir mangelnde Differenziertheit, gewissermaßen Ungerechtigkeit wegen meines Urteils über die Wiederwahl George W. Bush‘ vor. Ich habe die Vorwürfe geprüft und Folgendes herausgefunden: Der Mann hat recht! Nur meine ich: Angesichts von Leuten wie Folter-Gonzales, dem neuen Justizminister, kann man gar nicht ungerecht genug sein. Da gehe ich gerne entschieden zu weit.

 

Gewiß kann man nahezu jedes Geschehen bis zur finalen Haltungslosigkeit differenzieren – nur wird auf diese Weise auch wieder eine Haltung produziert, bloß eine, die von sich selbst glaubt, sie wäre objektiv. Sicherlich leben auch in den "roten" Bundesstaaten genug "blaue" Wähler. Gewiß haben nicht nur Weiße und viele Hispanics, sondern sogar ein paar gläubige Schwarze für Bush gestimmt, manche womöglich, weil es nicht nur bigotte Weiße ekelig finden, wenn Männer Männer heiraten. Überhaupt kann man nahezu alles verstehen und erklären, nur ist damit noch lange nicht gesagt, dass man es gut finden muss. Und schon gar nicht muss man Dinge allein deshalb gut finden, weil sie nun einmal nicht mehr zu ändern sind. Amerika ist ein tolles und vor allem mächtiges Land. Daraus folgt, schließt Heinisch messerscharf, dass die Amerikaner immer eine gute Hand mit der Auswahl ihrer Präsidenten hatten. Und folglich kann auch die Wahl von Bush nur gut sein. Das ist Rechtshegelianismus der krausesten Art: Das Wirkliche ist vernünftig!

 

Doch gewiß ist Bush nicht der Weltgeist zu Pferde. Aber auch das ist wieder eine Ferndiagnose, die ich "aus mehreren tausend Kilometern Entfernung" erstelle. Zur Ehrenrettung meiner Ferndiagnosen sei aber angemerkt, dass sie sich mit den Nahdiagnosen von ziemlich vielen Leuten decken, die die Chose aus der Nähe verfolgen müssen, Leuten wie Eminem, George Soros, Norman Mailer oderArthur Schlesinger Jr. beispielsweise – ziemlich unterschiedlichen Leuten also. Die Liste ließe sich endlos verlängern.

 

Worauf ich hinaus will, ist, dass Einschätzungen eher kulturell codiert sind und wenig mit Distanz oder Nähe zu tun haben. Von Wien besehen können sich die Dinge ziemlich ähnlich ausnehmen wie von New York aus betrachtet, wohingegen sie sich aus Texas wieder völlig anders darstellen: So ähnlich wie, sagen wir einmal, aus Villach. 

 

In den kulturellen Zentren Amerikas herrscht Erschütterung über die "Flyover-States", die am Tropf der prosperierenden Staaten an den Küsten und im Norden hängen und ihnen zum Dank dafür Bush als Präsidenten vorsetzen. In den "Flyover-States" wiederum herrscht dagegen aggressiver Widerwille gegen die elitären Liberalen aus den Metropolen und den Küstengebieten. Zum Teil ist die Bush-Wahl und der Aufschwung der christlichen Rechten auch eine populistische Revolte gegen das, was als Dünkel der urbanen Eliten erscheint.. 

 

Herr Heinisch "versteht" diese Ressentiments der amerikanischen Rechten, so wie er den Erfolg der österreichischen Rechten "versteht" – darum reagiert er so gereizt auf die Empörung aus dem Ausland, die "vor allem den Österreichern bekannt vorkommen" sollte. Und wie uns diese Andeutung bekannt vorkommt: Nicht der Wahlsieg von Fanatikern ist das Problem, vielmehr ist die Empörung darüber der Skandal. Auch dies ein Muster, das dies- und jenseits des Atlantik bekannt ist: der Aufschwung der Rechten und die Skandalisierung der Kritik gehen Hand in Hand wie Laurel und Hardy.

 

Herr Heinisch soll nicht so tun, als befände er sich an einen privilegierten Ort der Erkenntnis, nur weil er mittendrin sitzt. Wir sitzen alle mittendrin, ob in Wien, New York, Memphis oder Mistelbach – und doch wieder alle auf unserem angestammten Platz. Womit wir womöglich wieder etwas über die Aporien der Globalisierung gelernt haben.

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