Osama, Saddam, Elfriede

Amerikas Neokonservative entdecken empört, dass der Literaturnobelpreis an eine kommunistische, antiamerikanische Pornographin ging.

 

 

 

Eigentlich ist der amerikanische "Weekly Standard" nicht speziell berühmt für seine distinguierte Literaturkritik. Das Zentralorgan der amerikanischen Neokonservativen ist mehr für einen aggressiven politischen Meinungsjournalismus bekannt sowie für seinen unproportionalen Einfluss auf die Außenpolitik Washingtons. Die Themen, die das Blatt anschlägt, sind von unterdurchschnittlichem Variantenreichtum: Osama jagen, Staddam stürzen, Panzer schicken, Schurkenstaaten bombardieren, Demokratie exportieren, gegen Terror und Islamisten kämpfen, den Saudis, Syrern, Iranern und Koreanern einheizen.

 

Wenig bringt Herausgeber William Kristol und seine Autoren derart in Rage wie die Feinde der Freiheit. Die verfolgen sie mit ihrem heiligen Zorn. Jüngstes Ziel ihres essayistischen Aktivismus: die Stockholmer Nobelpreisakademie. Mit der Verleihung des Literaturnobelpreises an Elfriede Jelinek hat sie die Neokons auf die Palme gebracht – sie könnten kaum wütender sein, hätte Osama bin Laden den Friedensnobelpreis erhalten. Jelinek sei eine "unbekannte, unwichtige, linke Fanatikerin", die nichts als Pornographie produziere, die ihren Erfolg auf dem Spiel mit sexueller Erregung begründe, "vergleichbar mit Britney Spears – wobei eine normale Person zweifelsohne die Gesellschaft letzterer bevorzugen würde".

 

Jelinek sei eine Amerikahasserin ("Bambiland"), war bis 1991 Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (nach dem Ende der russischen Besatzung "nicht viel mehr als ein KGB-Netzwerk"), die sie aber verließ, "als die Gelder aus Moskau ausblieben".

 

Ungenauigkeiten sind gewiss auch dem Umstand geschuldet, dass Autor Stephen Schwartz sein Wissen über Jelinek aus einer New York Times Meldung, einem Reuters-Bericht und einem Klappentext bezieht, was aber nicht weiter störend sein soll, sind die Fakten, die er über die Nobelpreisträgerin zusammenträgt in jedem Fall akkurater als, sagen wir, die Behauptung, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen. Ohnehin ist der Neokonservativismus, wie sich hier wieder einmal zeigt, ein Stil und eine Haltung, nicht bloß eine Argumentationsreihe. Schwartz, ein durchaus renommierter Autor, liefert dafür nur ein besonders illustres Exempel. Er zählt übrigens noch zu jener Kerntruppe der Neokonservativen, die in den sechziger, siebziger Jahren von einer Spielart des Trotzkismus, der Schachtman-Sekte, ins Lager einer aggressiven Rechten gewechselt hat. Noch heute plaudert er, wie er unlängst mitteilte, gerne auf Washingtoner Parties mit Paul Wolfowitz über den von ihm ungebrochen verehrten "Old Man" (vulgo Trotzki) und den Geist des revolutionären Angriffskrieges. Eine Exzentrik, die illustriert, dass es sich bei der Substitution des Trotzkismus durch den Neokonservativismus um eine Operation handelt, vergleichbar dem Ersatz von Heroin durch Crack.

 

Immer auf Speed, immer überdreht, ein Sinn für manches, nur nicht für Proportion. Die Liste der Vorgänger von Elfriede Jelinek als Nobelpreisträger liest sich folgerichtig im "Weekly Standard" so: "Castro-Liebhaber" (Gabriel Garcia Marquez), "Stalinistischer Geheimpolizei-Agent" (Pablo Neruda), "Ex-Linker und Nazi-Nostalgiker" (Günter Grass).

 

Für solche Leute hat das Pentagon immer ein offenes Ohr. Ein Bündnis aus Hypermacht und Aberwitz, einzigartig in der Geschichte. Wenn Kerry gewinnt, hat das ein Ende. Direkt schade.

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