Pendelschlag retour

 

Die Kriegsskeptiker sehen sich durch das Desaster der USA mit Recht bestätigt. Die Gefahr besteht, dass jetzt das Kind mit dem Bad ausgeschüttet wird.  Standard & taz, Juli 2004

 

 

Die Türme des World Trade Center implodierten, eine Wolke aus Staub, verbrannten Papierschnipsel und Leichengeruch stieg auf und als sie sich wieder gesenkt hatte, da standen sie im Rampenlicht – die amerikanischen Neokonservativen und die lose mit ihnen verbündeten liberalen Falken. Beide einte, dass sie der realpolitischen amerikanischen Tradition, mit Potentaten zu paktieren, ein Ende setzen wollten: Amerika solle fortan das Böse nicht verhätscheln, sondern bekämpfen, Demokratie und Freiheit verbreiten und zwar, nach Lage der Dinge, mit Hilfe der Feuerkraft der US-Streitkräfte. Aus Gründen, die bis ins letzte noch nicht geklärt sind, gelang es diesen liberalen Universalisten, sich nicht nur mit eher traditionellen Konservativen in der US-Regierung (wie Donald Rumsfeld), sondern auch mit dem Präsidenten selbst zu verbünden, der als bigotter Texaner geistig völlig anderswo beheimatet ist, aber fortan die neokonservative Botschaft in eigene Wort fasste, bekundete, es gehe nunmehr darum, „die Welt zu einem besseren Ort“ zu machen.

 

Die Stärke der Neokonservativen beruhte im wesentlichen darin, dass allein sie eine Antwort auf die verstörende Erfahrung des 11. September zu haben schienen – dass Taktieren keinen Sinn hat, dass man sich mit Autokraten und Fundamentalisten nur scheinbar befreunden kann, dass nur die Ausbreitung der Demokratie den irrationalen Hass eindämmen kann.

 

Ein Irakabenteuer und ein paar kollaterale Nebenfolgen – wie etwa in Saudi-Arabien – später, sieht es gar nicht mehr gut aus mit den Neokonservativen. Alt- und Paläokonservative in den USA, denen das weltrevolutionäre Erweckungspathos der neukonservativen Umstürzler von Beginn an ein Dorn im Auge war, fühlen sich gestärkt, europäische Kriegsskeptiker sehen sich in ihrer Haltung bestätigt.

 

Paul Wolfowitz, US-Vizeverteidigungsminister und Zentralfigur der Neocons im Kabinett, vor einem Jahr noch ein Ausbund an Arroganz, zeigt sich in Kongresshearings neuerdings kleinlaut und die linksliberalen Falken, die sich in der Redaktionsstube des Intellektuellenmagazins „The New Republic“ versammelt und seinerzeit für den Irakkrieg getrommelt hatten, fragen nun in einer spektakulären Sondernummer: „Lagen wir falsch?“ Der fanatische Islam, der Hass auf Amerika, alle jene Kräfte, „die wir eigentlich unterminieren wollten, unterminieren jetzt stattdessen unsere Anstrengungen, liberale Institutionen aufzubauen“, konstatieren die Blattmacher depressiv.

 

Es riecht nach Backlash, das Pendel schlägt wieder zurück. Und es ist langsam angebracht, zu fragen, ob das nicht seinerseits fatale Auswirkungen haben könnte. Die Dominanz der Neokonservativen hatte gewiss unangenehme Folgen für die Welt – ähnlich unangenehm könnte es aber werden, wenn sie diesen Einfluss nun verlieren. Ihnen verdankt sich etwa, erinnerte jüngst der deutsch-persische Islamwissenschafter Navid Kermani in der „Süddeutschen Zeitung“, „dass heute in Leitartikeln, auf Konferenzen, G-8-Gipfeln und in arabischen Fernsehstudios umfassend über politische und soziale Reformen“ in der moslemischen Welt debattiert wird.

 

Die revolutionär-missionarische Politik, die die USA seit dem 11. September verfolgten, hat die Thematik schließlich auf die Tagesordnung gesetzt: Demokratisierung, Reformen, die Abkehr von der westlichen Übung, Schweinehunde zu unterstützen, solange sie „unsere Schweinehunde“ sind, auch die schrecklichsten Despoten zu umgarnen, wenn sie nur – wie etwa die saudischen Prinzen – „unsere“ strategischen Interessen wahren (bzw. vorgeben zu wahren). Wie ernst gemeint diese Wende auch gewesen sein mag, Rhetorik ist nie nur Rhetorik, und die Abkehr von der westlichen Stabilitätsversessenheit hat die Dinge an einigen der unangenehmsten Flecken der Welt zumindest ein wenig in Bewegung gebracht. Nicht das ist der US-Administration und ihren Vordenkern vorzuwerfen – vorzuwerfen ist ihnen nur, dass sie allen Ton auf die militärische Seite der Chose gelegt haben. Die Abkehr vom militärischen Abenteuertum darf aber nicht bedeuten, das Ziel selbst verächtlich zu machen.

 

Genau diese Gefahr besteht nun aber unübersehbar: Angesichts des Chaos im Irak würden sich die USA dort womöglich mit Freude jedem Autokratie-Anwärter an den Hals werfen, wenn der nur Stabilität verspräche, und angesichts islamistischen Terrors in Saudi-Arabien droht die Idee, die Prinzen zu demokratischen Reformschritten zu zwingen, deutlich an Anhängern zu verlieren.

 

Mehr noch: Der liberale, auf die Verteidigung der Menschenrechte bedachte Universalismus könnte als solcher in die Defensive geraten. Gerade hatte er im Westen erst Wurzeln geschlagen. Die Überzeugung, dass schweren Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung und Genoziden entgegenzutreten sei – und, wenn nötig, in letzter Konsequenz mit militärischen Mitteln -, hatte die Interventionen in Bosnien und im Kosovo erst ermöglicht, und es gab auch jenseits des berechtigten westlichen Eigeninteresses, die al-Qaida-Basen in Afghanistan zu zerstören, gute Gründe, die für den Sturz des Taliban-Regimes sprachen. Eine der unerfreulichsten Konsequenzen des Irakdestasters ist daher der Umstand, dass es das nächste Mal wohl ziemlich schwierig würde, Mehrheiten für die Unterstützung militärischer Aktionen zu gewinnen, wenn wieder irgendwo ein Regime seine Bevölkerung abzuschlachten beginnt oder unter die Knute eines totalitären Regimes zwingt. Natürlich liegt die Hauptverantwortung dafür bei George W. Bush, wie Leon Wieseltier, der renommierte Literaturkritiker der „New Republic“ formuliert: „Er rechtfertigte diesen Krieg gegenüber den Amerikanern auf eine Art, die es für lange Zeit schwierig machen wird, beinahe jeden Krieg gegenüber den Amerikanern zu rechtfertigen.“

 

Nicht der Bruch mit den Prinzipien hergebrachter Realpolitik ist den liberalen Falken – linker wie rechter Spielart – vorzuwerfen, sondern der Umstand, dass die von ihnen verfolgte Politik nicht realistisch war: Man kann mit kriegerischen Mitteln despotische Strukturen zerstören, doch daraus entstehen noch keine demokratischen Instutionen; mit Krieg kann man die Netzwerke der Radikalen treffen, den Radikalismus selbst aber wird er eher schüren; politische Öffnung hilft Dissidenten jeder Couleur, kann also auch den Spielraum für islamistische Militante erweitern; wer ihnen mit militärischen Mitteln entgegentreten und gleichzeitig aber den Wind aus den Segeln nehmen will, muss auf die Legitimierung seines Vorgehens besonders Bedacht sein und daher schießt sich, wer eine unilaterale Hegemonialpolitik betreibt, selbst ins Bein. Es bringt wenig, die eine Ursache des radikalislamistischen Zorns – die autokratischen Regimes   – mit der einen Hand wegzuräumen und ihm mit der anderen neue Energie zuzuführen: indem man nämlich neokoloniale Machtpolitik betreibt. Weil sie diese Aporien ihres Tuns nicht beachteten, sind die neokonservativen und liberalen Falken insbesondere in Hinblick auf ihre eigenen Ziele gescheitert.

 

Das desavoiert ihr Vorgehen – aber nicht ihre Ziele. Weder ist darum der Anspruch falsch, demokratische Reformen in der arabischen Welt zu inspirieren, noch wird deshalb die alte Praxis richtig, machtzynisch den Despoten beim Menschenrechtsverletzen freie Hand zu lassen. Und schon gar nicht sollte diese Erfahrung dazu führen, dass man sich das nächste Mal, wenn irgendwo eine verfolgte Bevölkerung westlicher Nothilfe bedarf, wieder passiv zurücklehnt. Es ist Zeit, darauf hinzuweisen – gerade dann, wenn man das Abenteurertum der US-Regierung kritisiert hat. Denn die Gefahr ist groß, dass das Kind mit dem Bad ausgeschüttet wird.

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