Von Innen zerfressen

Der Islamismus als Produkt einer ungesunden Fixierung auf den Westen: Fouad Allam hat ein kluges Buch über den Islam in einer globalen Welt geschrieben. taz, Falter, Mai 2004

 

 

Es hat sich in westlichen Publikationen über al-Qaida und den islamischen Fundamentalismus ein Grundmotiv längst durchgesetzt: dass die militanten Djihadisten, auch wenn sie selbst glauben mögen, sie würden die frühislamische Tradition wieder beleben, in Wirklichkeit selbst ein Phänomen der westlichen Moderne seien. Oft verliert sich dieses Argument aber in recht blassen Analogien, und am Ende scheint fast kein Unterschied mehr zu sein zwischen kommunistischen Phantasien von der vollkommenen Gesellschaft, dem Totalitarismus der Nazis und Faschisten, dem Todestrip der RAF, dem maoistischen Hass auf den Liberalismus und Osama bin Ladens Schläferarmee.

 

Wer’s genauer wissen und den Sinn für Ambivalenzen nicht völlig verlieren will, dem sei Fouad Allams kleiner Band „Der Islam in einer globalen Welt“ empfohlen. Auch für Allam gründet der Islamismus auf dem Umstand, dass der „Islam und der Westen in ein und demselben globalen Dorf“ koexistieren. Die spezifische Form der Re-Islamisierung, die der militante Islamismus darstellt, sei selbst Produkt der Globalisierung. Die kulturellen Eigenarten – und die Vielgestaltigkeit – der realen islamischen Tradition werden von den Djihadisten verworfen: sie propagieren eine Einförmigkeit, „ein Einheitsdenken“, deren Kern „die Entgegensetzung von ,erlaubt’ und ‚unerlaubt’ ist“ und die den Anspruch stellt, zwischen Marseille und Jarkata die gleichen Ausdrucksformen zu verbreiten. In der Absicht, sich gegen den Westen zu wenden, verwestlicht sich diese Spielart des Islam. Der globale Protagonist „dieser Operation ist die Figur des islamischen Intellektuellen“.

 

Auf gut 180 Seiten variiert der aus Algerien stammende, in Italien lebende Autor diese Grundthese und breitet auch viele lehrreiche Details aus. Allam macht es sich nicht leicht: Einerseits beschreibt er, wie westliche antipositivistische Philosophien von islamischen Gelehrten (die meist im Westen studiert hatten) in den moslemischen Raum importiert wurden, führt aber auch – in Anlehnung an Michel Foucaults „Ideenreportagen“ über die iranische Revolution – aus, wie eine neuartige Form einer „politischen Spiritualität“ entstehen konnte: „Die islamistischen Bewegungen sind nicht bloße politische Gruppen im herkömmlichen Wortsinn. Es sind Gruppen, bei denen eine starke Verbindung zwischen Mystik und Politik besteht.“

 

Im Ton essayistisch, vergisst Allam aber auch nicht auf die Hard Facts. Der Leser erfährt manches über die Bedeutung Ali Shari’atis, eines der Vordenker der iranischen Revolution, mehrere Seiten widmen sich den ideologischen Gründervätern des Islamismus, dem Pakistani Abdul al-Maududi und Sayyed Qutb, dem Chefdenker der ägyptischen Moslembrüderschaft, der 1966 von Präsident Nasser gehenkt wurde und entscheidenden Einfluss auf die heutige Generation von Djihadisten hat.

 

Tatsächlich ist, dies macht der Autor deutlich, der Islamismus ohne den Westen nicht vorstellbar, aber dieses Verhältnis ist kein einfaches und der Islamismus ist auch nicht nur eine simple Spielart der westlichen Totalitarismen: „Der Gegensatz zwischen dem Islam und dem Westen“, schreibt Allam, „hat die muslimischen Gesellschaften während des ganzen 20. Jahrhunderts von innen heraus zerfressen, und er hat Ideologien und politische Theorien hervorgebracht, die dem historischen Unterlegenheitskomplex abhelfen wollten.“ Der Islamismus ist, so gesehen, Produkt einer ungesunden Fixierung einer Kohorte muslimischer Intellektueller auf den Westen, die durchaus Elemente westlichen Antimodernismus aufzunehmen vermochten, diese aber in eine eigene Form brachten.

 

Allams kluges Büchlein vermag, allzu simple, mit der Axt zugeschlagene, Thesen zu irritieren – ohne dass das an der Brisanz der Diagnose etwas ändern würde. Hätte ein gewissenhafteres Lektorat die bisweilen holpernden Formulierungen geglättet und die etwas häufig referierte Grundthese des Autors da und dort aus dem Manuskript redigiert, dem Buch hätte es gewiss gut getan. Nichtsdestoweniger ist Allam ein kulturtheoretischer Essay gelungen, der zum Besten der längst kaum mehr überschaubaren Literatur über das vielleicht elektrisierendste Phänomen unserer Zeit zählt.

 

Fouad Allam: Der Islam in einer globalen Welt. Wagenbach. Berlin 2004. 11,90 Euro. 

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