Das Label BHL

Ein bisschen Rimbaud, ein bisschen Beckham: Diese Woche erscheint die lange erwartete Enthüllungsbiographie über Bernard-Henri Lévy, das Zentralgestirn der Pariser Medienintellektuellen.

 

 

Ich muss gestehen, zu den 15 Minuten Ruhm, die jedem – und damit auch mir – in seiner Lebenszeit zustehen, hat der Mann einen kleinen Beitrag geleistet. "Silvio Lehmann… Isolde Charim… Robert Misik… Elfriede Jelinek… Doron Rabinovici…", hob Bernard Henri Lévy vor etwas mehr als vier Jahren in einer großen Reportage an, die erst im Le Monde, dann in der FAZ abgedruckt war, um fortzufahren: "Die Namen und Vornamen Wiens. In diesen Namen und Vornamen die Spur jenes Identitätsmosaiks: des Wiens von Hermann Broch, Arthur Schnitzler und Karl Kraus". Es ging so weiter in dem Ton. Nun bin ich gewiss nicht frei von der Bereitschaft, mir schmeicheln zu lassen, aber schon seinerzeit war ich nicht wirklich vom Stolz ergriffen. Die Sätze waren wie alles, was dieser Mann tut, wie jede seiner Gesten: Eine Spur zu gross, Pathos gekreuzt mit Scharlatanerie.

 

Ein paar Tage vorher waren wir am Wiener Heldenplatz gemeinsam auf einer Bühne gestanden, vor uns 300.000 Leute, die es auch ziemlich skandalös fanden, dass ab nun die FPÖ in unserem Land mitregieren würde. BHL, wie ihn ganz Frankreich nennt, bereitete sich auf seinen Auftritt vor, indem er seinen Mantel ablegte. Er wollte nur im T-Shirt sprechen, das kommt besser. Dazu muss man wissen, dass es etwa 15 Grad unter Null hatte. Und dass sich BHL mit dem Zeitplan verschätzte. Er musste noch ziemlich lange auf seinen Auftritt warten. Als Lévy endlich dran war, war er durchgefroren, hatte seinen Mantel wieder an, er versuchte einen gazellengleichen Sprung auf die Bühne – und knallte erst über eine Stufe, dann flach auf den Boden, so ähnlich wie unlängst Fidel Castro. Danach hielt er tapfer seine Rede. Was er genau sagte, habe ich vergessen, hat aber sicherlich mit fascisme, resister und tous ensemble zu tun gehabt.

 

Jetzt weiss natürlich alle Welt, dass der Mann etwas eigen ist, dennoch hat er es zum Zentralgestirn der französischen Medienintellektuellen gebracht. Dafür war ihm sein Vorleben im Umkeis Jean-Paul Sartres und seine frühe antitotalitäre Wende sicher eine Hilfe, sowie natürlich der Umstand, dass er ist in TV-Diskussionen fähig ist, in knappen Soundbites das Böse anzuprangern. Und: Mit dem immer etwas peinlichen, immer bis zum Nabel aufgeknöpften weißen Hemd und den wallenden Haaren ist er eine unverkennbare Marke geworden – unique selling proposition nennt man das in der Marketingsprache.  

 

Dass der Mann ganz offenbar seit Jahren unzähligen Leuten auf die Nerven geht, kulminiert nun in einer großen Abrechnungswelle. Schon im Vorjahr ist "Le Baba de BHL" – "Das kleine ABC des großen BHL" erschienen, eine polemische Gesamtschau seiner gesammelten Peinlichkeiten, Irrtümer und Großspurigkeiten, diese Woche kommt nun die erste Biographie des 56jährigen auf den Markt. Sie stammt aus der Feder des Journalisten Philippe Cohen. Schlichter Titel: "BHL, une Biographie". Der Pariser "L’Express", in dem Lévy wöchentlich eine Kolumne schreibt, brachte ausführliche Vorabdrucke, zusammen mit einem großen Interview, in dem sich Lévy verteidigt. Weitere Anti-BHL-Werke sollen demnächst folgen.

 

Es ist, soviel ist jetzt schon klar, etwas paradox: Die Angriffe rücken ihn in ein gar nicht so schlechtes Licht. Denn das Unerträgliche an der Figur BHL sind die Bilder, die ohnehin jeder längst kennt und die er unablässig in die Welt setzt: BHL, der letzte Libertine; BHL, der Beau; BHL, der Großdenker, der Zugang zu den Mächtigen hat; ein Mann und sein Thema: die Freiheit. Der in den Neunzigern den bedrängten Bosniaken gegen die Serben beisprang und der heute gegen die Islamisten kämpft, der am liebsten plump-manichäisch Gut gegen Böse antreten lässt; der steinreiche Erbe, dem sein Geld die Freiheit gibt, zu tun, was er will; der Jet-Set-Geistesprinz, der in Schlössern wohnt, in Marokko einen Palast unterhält, welcher früher den Gettys und später Alain Delon gehörte; der Liebling der Klatschspalten. Im Doppelpack mit seiner Frau, der schönen Actrice Arielle Dombasle ist er das, was die Societyblätter Covertauglich nennen; in 30 Jahren brachte er es auf über 400 TV-Auftritte.

 

Nun sind, verglichen mit dem Halbseidenen seiner öffentlichen Inszenierungen, seine Irrtümer, Auslassungen und kleinen Flunkereien, die die Biographen und Polemiker nun ans Licht ziehen, schon fast Petitessen. So wurde Bernard-Henri Lévy vor fast 30 Jahren schlagartig berühmt, als er als 28jähriger mit dem Pariser maoistisch-kommunistischen Juste Milieu brach. "Die Barbarei mit menschlichem Antlitz", lautete dieser Schlüsseltext, dessen ersten Satz in Frankreich fast jedes Kind kennt: "Ich bin der Bastard eines teuflischen Paares, des Faschismus und des Stalinismus". Dieses Buch war eines der zentralen Dokumente der antitotalitären Wende einer ganzen Pariser Intellektuellenkohorte, die Geburtsstunde der "Neuen Philosophen".

 

Nun hält ihm sein Biograph vor, dass Lévy, der in diesem Buch Solschenitsyn etwa als "Shakespeare unserer Epoche" preist, den Dissidenten drei Jahre vorher noch im stalinistischen Dogmenstil ziemlich runtergemacht hat. Ähnlich gestrickt sind die Vorwürfe gegen sein nächstes heiß debattiertes Werk, "L’Ideologie francaise" (erschienen 1981), in dem er mit dem Resistance-Mythos aufräumt und den hausgemachten französischen Faschismus, Vichy und die Kollaboration ins Licht rückt. Sauer stößt dem Biographen auf, dass Lévy dennoch nie ein kritisches Wort über Francois Mitterrand verlor, der so etwas wie sein Mentor und Förderer war, und der diese dunkle Doppelexistenz von hoher Moral und niedrigster Verstrickung verkörperte wie kein zweiter. Nicht ganz fein, gewiss.

 

Doch Lévy scheint nach Lektüre der Enthüllungsphilippikas sympathischer als zuvor, erinnern die Kritiker doch entgegen ihrer Intentionen an etwas, was fast schon vergessen war: Dass Lévy durchaus richtige und mutige Dinge gesagt und getan hat (und bis heute damit nicht aufgehört hat). Er hat vielleicht nicht als erster den Finger auf die totalitären Versuchungen der Linken gelegt, aber doch schon ziemlich früh, er stellte sich den Lebenslügen seiner Nation, auch wenn er im Detail auf seinen Vorteil bedacht blieb. Auch dass er kräftig an der Gründung der antirassistischen Plattform SOS-Rassisme beteiligt war, gehört grundsätzlich zu den positiven Seiten der BHL-Chronik, auch wenn er eines nie lassen kann: was er tut, er strickt immer auch an seinem Mythos. So hat er in Afghanistan einen Film über den legendären Widerstandsführer Ahmed Shah Massoud gedreht und, als Massoud von al-Qaida-Leuten getötet wurde, sich als "Freund seit zwanzig Jahren" ausgegeben – was er, glaubt man den Recherchen seiner Kritiker, nicht war. In den achtziger Jahren soll Lévy Massoud noch gar nicht begegnet sein, von "Freundschaft" ist auch später keine Rede. Und gelegentlich, etwa, als die Firma seines Vaters in ökonomischen Schwierigkeiten war, hat Lévy seine guten Beziehungen zu Regierung und Nationalbank zum eigenen Nutzen spielen lassen.

 

Pikant, sicherlich, nur: schwerwiegende Verfehlungen sind das alles keine. Er ist nun einmal ein alterndes Kind, das auf die Butterseite des Lebens gefallen ist, selbstverliebt bis zum Grotesken. Lévy, in Algerien geborener Sohn jüdischer Eltern, hat, schrieb Vanity Fair in einem 11-Seiten-Porträt über "Frankreichs Philosophen-Provokateur", etwas von "der Hyperenergie eines begabten Kindes, das rastlos auf der Suche nach der nächsten Rauferei ist". Die Schriftstellerin und Ex-Ministerin Francoise Gireaud weiss: "Er will geliebt werden und er muss dauernd gesagt bekommen, dass er geliebt wird." Wenn er Philosoph geworden sei, schrieb er selbst einmal, "so aus dem einzigen Grund, weil ich wusste, dass dies ein Mittel war, sich von Frauen lieben zu lassen". Weil er wenig Schlaf braucht, prahlt er, habe er früher Nächtens mehrere Gespielinnen nacheinander besucht. Ein Narziss, gewiss, der sich selbst wahrscheinlich am liebsten als Kreuzung von Voltaire, Rimbaud, J.K. Rowling und David Beckham sieht. Und der sich als Kunstfigur geschaffen hat, als Label BHL, hinter dem er sich auch versteckt. "BHL ist eine gute Maske", sagte er jüngst.

 

Doch seine Neugierde und sein Ereignisappetit haben auch etwas Bewundernswertes. Wo immer sich etwas tut, dort taucht er auf. Freilich sorgt er stets und obsessiv auch dafür, dass alle Welt erfährt: BHL war da! Als er Anfang der 70er Jahre sein erstes Buch schrieb, verteidigt er sich jetzt, habe er noch "die Regeln des Milieus respektiert", habe er sich noch geweigert, sich mit TV-Auftritten zu kompromittieren. "Das Resultat. Null. Ich habe das Buch für nichts geschrieben."

 

Dies, so hat Bernard-Henri Lévy sich damals geschworen, würde ihm nie wieder passieren.

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