Marke Hitler

Ein Standard-Album zum Hype um den "Untergang". Standard, April 2005

 

Hitler ist wieder da. Was heißt wieder? So sehr war er noch nie da. Er sitzt in unseren Wohnzimmern und schaut grimmig von jedem Magazin-Cover. Gerade haben wir mit Bruno Ganz ("Der Untergang") die letzten Tage im Führerbunker mitgezittert, kommt uns schon wieder ein neuer Hitler ins Haus, Tobias Moretti, als Freund und Förderer von Albert Speer ("Speer und Er"). Dass der eine ein Schweizer, der andere ein österreichischer Hitler ist, ist vom Standpunkt derer, die hier vor allem für ein deutsches Publikum produzieren, übrigens vielleicht gar nicht nur ein Zufall: So haben die Schauspieler ein Idiom zur Verfügung, mit Hilfe dessen Hitler irgendwie doch noch als Sonderling, irgendwie entrückt charakterisiert werden kann. Ansonsten gibt’s viel Hitler privat, vor allem aber: Hitler ganz nah. Kein Monster, ein Massenmörder zum Angreifen, gewissermaßen.

 

Denn es gibt ja nicht nur den medialen Overkill zum 60. Jahrestag des Kriegsendes, der nach der allgemeinen Event-Logik leicht zu erklären und abzuhaken sowie allenfalls mit Kulturindustrie-Kritik ("Vergangenheitsbewältigungs-Business") geschmäcklerisch zu erledigen wäre. In diesem "grellen Zirkus des Gedenkens", diesem "Getöse" (Jens Jessen in der "Zeit") schleicht sich ein neuer Umgang mit der Vergangenheit ein. Dabei geht es nicht darum, ob der besser oder schlechter ist als der bisher gewohnte. Aber anders ist er schon.

 

Immer wieder ist zu hören, Filme wie "Der Untergang" hätten vor zehn Jahren nicht gedreht werden können. Aber was heißt das genau? Die Deutung der Nazi-Jahre – zwölf in Deutschland, sieben in Österreich – waren vor einem Jahrzehnt noch umstrittener. Es gab eine "linke" Lesart und eine "rechte" Lesart der Geschichte. Die Lesart der Linken hat sich weitgehend durchgesetzt. Politiker wie Kampl sind heute selbst ihren eigenen Leuten peinlich und als Herr Mölzer, damals noch FPÖ-Europaparlamentarier, Österreich als erstes Opfer des Nazismus klassifiziert sehen wollte, holte er sich einen Rüffel seiner Parteiführung in Wien ein. Vor 20 Jahren war das hierzulande gängiger Nationamythos. In Deutschland hatten jene, die forderten, sich der Geschichte zu stellen, schon 1985 mit der Rede Richard von Weizsäckers zum Nationionalfeiertag ihre Haltungen weitgehend öffentlich durchgesetzt.

 

Je umstrittener die Bewertung war, umso riskanter und deshalb umso standardisierter war die öffentliche Rede; je umfehdeter und damit je emotionalisierter die Angelegenheit, desto distanzierter war auch die öffentliche Erörterung. Und: Je schuldbeladener der Diskurs, umso stärker war auch die Identifikation mit den Opfern. Von Holocaust bis Schindlers-Liste waren es Produkte, die zwar nicht in Deutschland und Österreich produziert worden waren, die die Opfer in den Focus stellten, die aber hierzulande das erfuhren, was man einen Hype nennt.

 

Und Hitler? Hitler blieb verdrängt. Ein Gespenst. Wer das "Faszinosum" des Nationalsozialismus ansprechen wollte, wie der deutsche Parlamentspräsident Phillip Jenninger und seine Rede falsch betonte, konnte Gefahr laufen, seinen Job zu verlieren. Die Kinder der Täter wollten nichts von den (Haupt-)Tätern und der Faszination hören, die von diesen ausgegangen war. Sie identifizierten sich lieber mit den Opfern. Ob das gar so ehrlich war, ist debattierbar.

 

Jetzt, wo die Sache geklärt ist, ist manches auch entspannter. Darum kehrt jetzt Hitler zurück – und nicht als Monster, sondern als schräger Onkel. Hitlers "last remake", wie Georg Seeßlen schrieb, der Diktator "erschreckend echt". Eine vorgegaukelte Echtheit ist dies freilich, die mit der Zeichensprache der Post-Moderne harmonisiert, mit der medialen Forderung des distanzlosen Dabeiseins. Hitler für die CNN- und Big-Brother-Generation (Seeßlen).

 

Natürlich ist das alles in höchsten Maße paradox und ambivalent. Das Holocaust-Gedenken wurde globalisiert und seine Symbolik kommt als globale in die Täternationen zurück – mit der Erzählstruktur des Hollywood-Films oder in der Zeichensprache der globalen Architektur wie beim Berliner Holocaust-Mahnmal. Diese "Globalisierung" entlastet natürlich auch, macht die Schoah zur weltweiten Angelegenheit, die einem nicht speziell zu berühren hat. Parallel dazu gab es die Thematisierung des "eigenen Leids", vor allem in Deutschland, durch die Diskussionen um die Vertriebenenfrage. Ein neues Reden wird ausprobiert. Es ist weniger standardisiert, mehr ist möglich. Auch das Gespenst Hitler darf wieder durch die Tür. Dabei ist Scheitern natürlich programmiert. "Die bloße Idee", schrieb Diedrich Diederichsen, "ein Hitler und Goebbels seien für eine ‚Tragödie‘ geeignet, also ein Genre, das notwendig irrende, scheiternde, aber eben doch menschliche Menschen voraussetzt … wäre mit ‚Verharmlosung‘ verharmlost".

 

Was immer die Intentionen der Produzenten, so zeigt doch der Film "Der Untergang", wie der Schrecken der Nähe, die Identifikation mit dem Sonderling Hitler doch in der Exkulpation der Deutschen münden – und damit für das Publikum ein "Happy End" parat halten kann. Denn der Film trennt sehr deutlich zwei Gruppen. "Auf der einen Seite die Nazifanatiker und die Entourage von Hitler, die untergehen – auf der anderen Seite jene, die weiterleben wollen", so die deutsche Erinnerungs-Theoretikerin Alaida Assmann. So wird das Gespenst Hitler endgültig gebannt. Hitler ist weg – die, die überlebten, trifft keine Schuld.

 

So ist die neueste Hitlermanie ein Hinweis darauf, dass die Geschichte "bewältigt" ist, das Jahrhundertverbrechen der Nazis in seiner Monströsität aber ein Faszinosum bleibt. Hitlerthrill liefert heute einen Kick wie die Realityformate über amerikanische Massenmorde. Man will den Ekel spüren. Und der Subtext der ganzen Chose ist ohnehin. "Es war furchtbar, aber es war auch etwas Großes", wie der deutsche Erinnerungs-Forscher Harald Welzer formuliert. Deshalb gehe die Erinnerungsobsession nicht zufällig "einher mit dem Verlust an Utopien". So wird aus dem Mann, von dem Joachim Fest einst schrieb, es spräche viel "dafür, dass er eine unangenehme Person war", zur "Marke Hitler".

 

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