Das muslimische „Wir“

Clash of Cinemascope: Bemerkungen über den Film „Tal der Wölfe“ sowie die Debatte über denselben. taz, Februar 2006

 

 

 

Weil der „Clash of Civilisations“ auf zunehmend unterschiedlichen Feldern ausgetragen wird – zuletzt „Clash of Cartoon“, neuerdings „Clash of Cinemascope“ – ging ich also ins Kino. Der Film „Kurtlar Vadisi – Irak“ (zu deutsch: „Tal der Wölfe – Irak“) sorgt ja für anschwellende Erregung. Mit Recht: Immerhin ist ein panislamischer, antiwestlicher und degoutant-antisemitischer Hetzstreifen drauf und dran, zum erfolgreichsten türkischen Film aller Zeiten zu werden. Die „Hasspredigt mit filmischen Mitteln“ (FAZ) zieht die Schleife üblicher Erregungsdramatik nach sich: die einen empören sich, die anderen relativieren („Seltsame Erregungen“, so das Charakteristikum Claus Philipps im Standard), worauf die üblichen Verdächtigen, voran Bayerns Edmund Stoiber, wiederum das Verbot des Streifens fordern.

 

Damit ist die Chose im Reich das Banalen angekommen. Man sollte den Film schon zeigen – dass er in westlichen Multiplex-Kinos laufen kann, setzt der demokratischen Kultur des Westens ein Denkmal.

 

Interessanter als die Empörungsschaukel ist freilich der Film selbst. Er ist eben nicht, wie gelegentlich – durchaus kritisch –  analysiert wird, einfach ein Produkt des türkischen Nationalismus in der Bildsprache des Rambofilmes. Wenn es so wäre, wäre der Film die vielen ernsten Worte nicht wert.

 

Dazu drei Bemerkungen. Erstens: In seiner verhetzenden Simplizität geht der Film über das Trivialschema des Action-Movies hinaus – insbesondere in seinen antisemitischen Passagen. So werden im Abu-Ghreib-Gefängnis, das in diesem Film interessanterweise in Erbil liegt, unschuldigen Gefangenen Organe entnommen – sie gehen nach London, Washington und, wie könnte es anders sein, nach Tel Aviv. Der Transplantationsarzt, eine Art amerikanischer Mengele, ist ein Jude, der sich als Angehöriger des „erwählten Volkes“ in einer Stelle zu erkennen gibt, aber mit jener ironischen Lässigkeit, die sagen will, eigentlich geht es ihm ja nur um’s Geld, das mit den Nieren und Herzen zu verdienen ist. Da sind mit ein paar Cuts alle antisemitischen Stereotype aneinandermontiert.

 

Zweitens: Schon der Umstand, dass der Streifen die islamistische Rhetorik von der westlich-christlich-jüdischen Verschwörung gegen die muslimische Welt aufgreift – inklusive des Imports westlicher antisemitischer Stereotype –, ist ein Symptom dafür, dass er über den bekannten Jargon des türkischen Nationalismus hinausgeht. Gewiss greift er Elemente nationalistischer Rhetorik auf, aber er übergießt sie nicht einfach, wie eine liberale türkische Zeitung schrieb, „mit einer Kelle islamistischer Sauce“ – er transformiert sie so, dass sie in die neue panislamistische Ideologie passen. Er ersetzt das nationale türkische „Wir“ durch ein muslimisches „Wir“. Seine Botschaft ist: „Sie“ spielen „uns“ – Turkstämmige, Kurden, Araber – gegeneinander aus, damit sie uns ausrauben können. „Sie“ nehmen „uns“ unser Öl, unsere Nieren, unsere Würde. Darum muss sich der Geheimagent Polat Alemdar – eine Art türkischer James Bond – die Position der heroischen Hauptfigur auch mit zwei anderen Figuren teilen: Mit der schönen Araberin Leyla und mit einem sufistischen irakischen Scheich. Die Ideologie dieses Filmes ist darum im Einklang mit der islamistischen Konstruktion eines „globalen Protest-Islam“ (Fouad Allam), der ethnisch-nationale Begrenzungen überschreitet und von Pakistan über Istanbul, von Gaza bis Casablanca eine gemeinsame Sprache und Zeichensprache (Kopftuch, Bart etc.) kultiviert. Exemplarisch ist daher auch das Verhältnis von Islam und islamistischem Terror, wie es in „Tal der Wölfe“ ins Bild gesetzt wird. Der sufistische Scheich, der die Tugenden der Gelassenheit und Geduld angesichts des Unrechts predigt, das der Westen über die muslimische Welt bringt, ist eine Autorität, der die jungen Radikalen davon abhält, Selbstmordattentate zu begehen und amerikanischen Geiseln den Kopf abzuschneiden. Interessant ist aber, dass der Film die Motive der Dschihadisten nicht delegitimiert, sondern nur ihre Methoden. Stand der traditionelle türkische Nationalismus noch in einem Konkurrenzverhältnis zum radikalen Islamismus, so gilt das für den Panislamismus nicht mehr: Er teilt die Motive der Dschihadisten, ihre Rhetorik, ihren Zorn. Seine Botschaft, die von dem Scheich propagiert wird, ist: Widerstand darf sich nur gegen die Schuldigen richten, er darf aber keine Methoden wählen, bei denen auch Unschuldige zum Opfer fallen können. Auch wenn der Scheich dies in seiner Weisheit mit Rückgriffen auf den Koran und die Hadithen – die Berichte vom Leben des Propheten – proklamiert, reduziert sich die Differenz zwischen dem traditionellen Volksislam und dem modernen Dschihadismus letztendlich auf eine taktische Differenz. So erscheinen die Sprengstoffgürteltypen und Kopfabschneider in dem Film letztendlich als sympathische, ehrliche junge Leute, die aus den richtigen Motiven das Falsche tun – als alterstypische Heißsporne, denen gewissermaßen bloß das Herz übergeht. Zwischen dem Mainstream frömmelnder Muslime und dem Extremismus dschihadistischer Terroristen passt also gerade noch ein Blatt Papier, mehr nicht, wenn dieser Film auch nur annähernd signifikant für den Diskurs in diesen Kreisen sein sollte – wofür leider viel spricht. 

 

Drittens: Wenngleich „Tal der Wölfe“ den narrativen Jargon des Trivial-Schemas für seine Zwecke nutzt, führt der Vergleich mit Rambo- und ähnlichen Kalten-Kriegs-Filmen auch in die Irre. Diese waren in eine Systemauseinandersetzung eingebettet, und die „bösen“ Russen oder Vietnamesen in solchen Streifen sind in ihrer Eigenschaft als Kommunisten böse, nicht in ihrer ethnischen Identität als Slawen oder Asiaten. Auch wenn diese Filme in den Augen von Russen und Asiaten übel genug sein mögen, ist das keine kleine Differenz verglichen mit einem Film, der eine identitäre Differenz zwischen „dem Westen“, „den Christen“, „den Juden“ auf der einen Seite und der Welt des Islam auf der anderen Seite propagiert. Es ist nicht die einzige Differenz: So passt der Film den narrativen Jargon auch den tiefsitzenden Demütigungsgefühlen, den Unterlegenheitskomplexen an, die in der islamischen Welt endemisch sind. Es ist bezeichnenderweise in „Tal der Wölfe“ ja nicht so, dass jetzt die Muslime die Rambos sind und die Amerikaner, Briten und Juden in der Rolle der Vietnamesen oder Russen. Er dreht die klassische Konstellation nicht einfach um. Die Amerikaner sind weiter die Rambos. Der Streifen muss die Selbstkarikierung der Amerikaner nur aufgreifen. Er übernimmt sie und stellt ihnen als Gegenspieler relativ normale Leute gegenüber – etwa den Geheimagenten Alemdar, der für einen Action-Helden aufreizend schmächtig ist. Der Film ist gerade auch deshalb, weil er die Bildsprache Hollywoods importiert und gleichzeitig transformiert, ein paradigmatisches Exempel für die globale und kulturelle Dimension dessen, was man so „Kampf der Kulturen“ nennt.

 

All dies macht den Film zu einem symptomatischen panislamistischen Hetzfilm, der die übliche Botschaft nationalistischer, chauvinistischer Action-Movies reichlich überdehnt. Gewiss läßt sich nicht einfach behaupten, er sei ein Zeugnis für den Zustand der islamischen Welt – würde man dies von Zuschauerquoten ableiten, dann wären Schwarzenegger-Filme und Big-Brother-Serien ein Zeugnis für den Zustand der westlichen Welt (aber vielleicht sind diese das ja auch in einem gewissen Sinn). Und doch lassen sich die Zuschauerrekorde, für die „Tal der Wölfe“ sorgt, nicht einfach abzutun. Er ist zumindest ein Symptom dafür, wie der islamistische Diskurs alle bisherigen reaktionären Diskurse (und auch manche anscheinend-fortschrittliche, wie den sozialistischen Panarabismus) in der islamischen Welt an sich anschließt, diese umformt, bis zur Unkenntlichkeit. Oder besser, und erschreckender: bis zur Kenntlichkeit.

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