Ein Hassprediger?

Der "Focus" berichtet, Papst Benedikt XVI. habe die umstrittenen Passagen seiner Regensburger Rede bewußt im Manuskript belassen, obwohl er aufgefordert wurde, sie zu streichen. Später behauptete der Papst, obzwar eigentlich unfehlbar, er habe sich nur missverständlich ausgedrückt. Dabei hat er glasklar gesagt, dass die Christen die einzigen Vernünftigen und die Moslems vernunftlos Gläubige seien. Mehr provozieren geht kaum.

Ein Essay aus dem aktuellen profil, September 2006

 

Auf dem ersten Blick sind Gut und Böse, Vernunft und Irrsinn klar verteilt. Auf der einen Seite: Der weise alte Mann, heute Pontifex, früher Theologieprofessor, der noch einmal den Katheder einer deutschen Universität erklimmt, sich der frischen akademischen Brise des freien Denkens erfreut und maliziöse Überlegungen über Vernunft, Christentum und griechische Philosophie anstellt. Er wälzt Zitate, wägt mittelalterliche Quellen gegeneinander ab – was genau er sagen wollte, kann ein theologischer Laie am Ende höchstens erahnen, aber es wird schon etwas sehr Tiefschürfendes und Friedliebendes gewesen sein. Auf der anderen Seite: Die Krawallmoslems, die, wie schon im Karikaturenstreit, von freien Geistern und kühnen Denkern nichts halten, die chronisch Wehleidigen, schnell bereit, für ein paar Zitatfetzen, die ihnen nicht passen, wüste Demonstrationen anzuzetteln, aus Rache Nonnen zu erschießen und die, wie in Pakistan, ganze Parlamente damit aufhalten, die „Provokationen“ der „Kreuzzügler“ zu verdammen. Die, kurzum, keine Gelegenheit auslassen, eine Weltkrise anzuzetteln.

 

Kaum war Petri Nachfolger von seiner Bayernreise zurückgekehrt, stand er – buchstäblich – im „Kreuzfeuer“.  Ende vergangener Woche funktionierten Imame weltweit die traditionellen Freitagsgebete noch einmal zu einem „Tag des Zorns“ gegen den Papst um, und dass es wahrscheinlich nicht noch schlimmer kommt, ist selbst Resultat recht kurioser Wendungen: So nahm ausgerechnet der iranische Präsident Mahmud Ahmadineschad den Pontifex in Schutz („Wir respektieren den Papst“), der katholische Stellvertreter Gottes auf Erden selbst wiederum stellte bedauernd fest, man habe ihn falsch verstanden, die inkriminierten Zitate, „drückten nicht mein Denken aus“. Das habe er wohl nicht ausreichend klar gemacht.

 

Hatte es bisher nicht immer aus Rom geheißen, ein Papst sei unfehlbar?

 

Freilich, diesmal ist die Chose etwas vertrackter als beim Karikaturenstreit vor acht Monaten. Zunächst: Der Papst ist kein Zeitungsredakteur, sondern Oberhaupt der katholischen Christenheit, der mächtigste Gottesmann der Welt. Wenn er die Muslime anspricht, dann nicht aus der Position des säkularen Liberalismus oder gar der Spottkultur des Westens, sondern gewissermaßen von theologischer Autorität zu theologischer Autorität. Nicht gerade der optimale Anlass, um auf „Meinungsfreiheit“ zu plädieren.

 

Fraglich ist aber vor allem, ob die empörten muslimischen Glaubenswächter den Papst wirklich so falsch verstanden haben. Denn was der strenge Theologe, den die angloamerikanische Presse zu seinem Amtsantritt als „God’s Rottweiler“ charakterisierte, in seiner Regensburger Rede ausführte, war doch einigermaßen gewagt. Zunächst versteckte er sich noch hinter dem Zitat des späten byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaeologos aus dem Jahr 1391, in dem dieser einen persischen Disputationspartner fragte: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“ Das aber sei dem Wesen Gottes zuwider, führt der einstige Kardinal Ratzinger in Anlehnung an den byzantischen Kaiser weiter aus, weil dem Wesen Gottes entspräche, „vernunftgemäß zu handeln“.

 

Als „vernünftigen Gott“, das ist der eigentliche Kern von Ratzingers Botschaft, wird aber nur der christliche Gott imaginiert, und das habe eine seiner Ursachen in der wechselseitigen Osmose von griechischer Philosophie und christlicher Theologie. Das Neue Testament war zunächst ja griechisch überliefert worden und schon der erste Satz lautet: „Am Anfang war der Logos“, eine Formulierung, die in der kanonischen deutschen Übersetzung Martin Luthers etwas verengt wiedergegeben wird: „Am Anfang war das Wort.“ In der reicheren griechischen Sprache ist der Sinn eher: „Am Anfang war die Fähigkeit, sich mit anderen artikuliert vernünftig zu verständigen.“

 

Am Ausgangspunkt der christlichen Theologie steht also: reden, nicht zwingen.

 

Papst Benedikt nützt dies zu dem Postulat, dass der christliche Gott kein willkürlicher, allmächtiger, sondern selbst der Vernunft verpflichtet sei, und in der Folge zu einem Doppelschlag. Einerseits gegen die theologisch umstrittene muslimische Gottesvorstellung eines allmächtigen Gottes, der selbst „an keine unserer Kategorien gebunden“ sei (für Ratzinger die Ursache der muslimischen Gewaltbereitschaft), andererseits gegen den reduktionistischen Vernunftbegriff der Aufklärung – gegen eine Vernunft, „die dem Glauben gegenüber taub ist“.

 

Kaum verhüllter Subtext: Vernünftig bin nur ich.

 

Eine wüste Hasspredigt nach Ayatollah-Art hätte kaum herausfordernder sein können. Selbst liberale, säkulare Muslime, wie die deutsche Autorin Hilal Sezgin, rieben sich die Augen: „Ich halte die Äußerungen Benedikts XVI. für auf so bezeichnende Art islamophob, dass sie mit einer Entschuldigung kaum ungeschehen zu machen wären.“

 

Wenn es die Absicht des Pontifex gewesen sein sollte, in einem rabulistisch-theologischen Manöver die Muslime davon zu überzeugen, dass es in Glaubensdingen keine Gewalt geben sollte, dann ist diese Operation gehörig nach hinten losgegangen. Er hat, hieß es in einem sarkastischen Kommentar der „Berliner Zeitung“, also „die Hand zur Versöhnung ausgestreckt, aber vorher schnell hineingespuckt. Dieses Kunststück soll dem Heiligen Vater erstmal jemand nachmachen!“

 

Man konnte die kurvenreiche Beweisführung des Papstes gar nicht anders verstehen, schreibt der deutsche Essayist Rudolf Walter, denn als Botschaft: „‚Wir’ haben eine vernünftige Religion, ‚die anderen’ sind vernunftlos Gläubige.“ Walters Verdikt: eine „rechthaberisch-überhebliche“ Überlegenheitspredigt, verkleidet in griechisch-römisches Theologengesäusel.

 

Provokant ist das für Muslime schon allein deshalb, weil sie als strenge Monotheisten, die an den einen, unsichtbaren Gott glauben, den sie sich auch nicht als weißhaarigen Rauschebart vorstellen, den Katholizismus selbst für ein Zugeständnis an die menschlich-allzumenschliche Unvernunft halten. So fragt denn auch Ali Bardakoglu, der Präsident des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten in der Türkei, ob „es denn rationell und vernünftig“ sei, „wenn die katholische Kirche Geistliche heilig spricht und an die Dreifaltigkeit Gottes glaubt“? Dass der „Allmächtige“ einen Sohn braucht, um von den Sünden zu erlösen, dass er eine Frau benötigte, die diesen per Jungfrauengeburt zur Welt bringt und dass auf der Welt massenweise Menschen herumlaufen, die auf mirakulöse Weise zu „Heiligen“ werden können, das erscheint der muslimischen Theologie ihrerseits als haarsträubend-wahnwitziger Kompromiss mit der niederen menschlichen Neigung zu Vielgötterei und Götzendienst.

 

Von Leuten, die so krause Dinge allen Ernstes glauben, lassen sie sich nicht gerne als „unvernünftig“ schelten.

 

Wohl noch provokanter ist der Geist, aus dem Benedikt XVI. gesprochen hat. Aus seinen Worten sprach die Panik vor den gewalttätigen, wilden islamischen Horden, seit den Türkenkriegen ein Standard des christlichen Angstfundus’ in Westeuropa. Sein Resumee war schließlich: die haben einen theologisch fundierten Hang zu Gewalttätigkeit, während wir eigentlich schon theologisch auf der Friedensseite stehen – und faktisch ohnedies. Der eigenen Gewalttheologie des Christentums widmet der Papst gerade sechs Zeilen, die insinuieren: Seit dem Spätmittelalter ist das vorbei.

 

Theologisch mag das vielleicht stimmen, faktisch schlägt es sich freilich mit den historischen Erfahrungen – nicht zuletzt der Muslime. Man muss da gar nicht bis in die Zeit der Kreuzzüge zurückgehen, gar nicht bis zum Konzil von Clermont 1095, das die ersten Gläubigenheere ausschickte, um Jerusalem und das Heilige Land von der muslimischen Herrschaft zu befreien – auch nicht bis zu der Blutorgie des Jahres 1099, als „die Unsrigen bis zu den Knöcheln in Blut wateten“, wie ein Augenzeuge berichtete; nicht bis zu den zwei Jahrhunderten brutaler Gewalt, die darauf folgten. Und auch mit den düsteren Jahren der Inquisition, der innerchristlichen Verfolgung, vom unseligen Papst Innozenz 1252 begonnen, ist die Gewaltgeschichte des Christentums nicht zu Ende.

 

Es ist eine schöne, erbauliche Geschichte, die Benedikt XVI. erzählt, dass die katholische Kirche seit der Neuzeit und der Aufklärung zu ihrem eigentlichen Wesen als vernünftige Religion zurückgefunden hat – allein, es ist ein Märchen, das nicht stimmt.

 

Die Aufteilung Afrikas und die Eroberung des Maghreb im 18. und 19. Jahrhunderts (ganz zu schweigen von der Eroberung Amerikas und der Ausrottung der indigenen Bevölkerung), es war das Werk christlicher Kaiser, Könige und Republiken – zumindest rhetorisch wurde selten auf den Hinweis verzichtet, dass dies zum Wohlgefallen des christlichen Gottes geschieht. Die Missionare folgten den Eroberungsheeren meist auf dem Fuß. Wenn es um die Verteidigung der Sklaverei ging, hatten die Gottesleute, egal ob Katholiken oder Protestanten, hübsche Bibelzitate zur Hand, ebenso für die Landnahme: „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Matthäus 28,19), wurde als regelrechte Aufforderung verstanden, die Welt unter christlichen Reichen aufzuteilen.

 

Zwar gab es Missionare, die sich gegen die Gewaltorgien der Kolonisatoren auflehnten, aber auch solche, die selbst mit Hand anlegten oder zu Gewalt aufriefen – etwa bei der Niederschlagung der Bakoko und der Bulu 1899 durch die deutschen Afrikakolonisatoren. „Die Mission ist es, die unsere Kolonien geistig erobert und innerlich assimiliert“, schrieb der bekannte deutsche Missionswissenschaftler Joseph Schmidlin noch 1913.

 

Auch die französische Kolonisierung des Maghrebs wurde vom Pariser Klerus eifrig gefördert. Erzbischof Charles M. A. Lavigerie sah Ende des 19. Jahrhunderts Algerien als Sprungbrett für die Christianisierung des muslimischen Nordafrika. Noch heute wirkt die Trias aus Missionierung, Ausbeutung und Unterdrückung in der muslimischen Welt traumatisch nach. Nicht zufällig haben die einstigen Kolonien nach der Unabhängigkeit als erstes Gesetze verabschiedet, die die Missionen verboten.

 

Papst Johannes Paul II. hatte für die gut begründeten Empfindlichkeiten ein waches Sensorium. Rund hundert (!) Entschuldigungen für die Verbrechen der Kirche hat er in seinen Amtsjahren ausgesprochen – 1985 in Kamerun bei den Schwarzen für die Sklaverei, 1992 in Santo Domingo für die Verbrechen an der indianischen Urbevölkerung, 1998 bei den Juden für den Antisemitismus.

 

Benedikt XVI. tickt da anders. Er will keine Verbrüderungen und auch keinen „Dialog der Religionen“, der sich auf den Austausch freundlicher und verständiger Worte beschränkt, aber heikle Streitfragen ausspart. Schon ist aus dem Vatikan zu hören: „Unter Woytila wäre das nicht passiert.“ Manche glauben freilich, Ratzinger sei gerade deshalb zum Papst gewählt worden, „um eine feste Haltung gegenüber dem Islam einzunehmen“ (Jerusalem Post).

 

Besonderes taktisches Geschick hat er beim ersten Versuch nicht erwiesen. Schon halten ihm bibelfeste Muslime nicht ohne Sarkasmus entgegen: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ (Matthäus-Evangelikum 7,3).

 

Ist das katholische Christentum wirklich wegen der „Begegnung zwischen Glaube und Vernunft“ friedliebend? Da scheint das Urteil des Münsteraner Religionspsychologen Gerhard Vinnai schon wirklichkeitsnäher, der meinte: „Es ist leicht, tolerant zu sein, wenn man nicht mehr die Macht hat, seine Meinung durchzusetzen.“

 

Und auch dann bleibt einem immer noch die Möglichkeit, die Toleranz auf leise intolerante Weise zu predigen.

Ein Gedanke zu „Ein Hassprediger?“

  1. Sg. Herr Misik,
    mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel „Ein Hassprediger?“, im neuesten Profil erschienen, gelesen. Ihre Gedanken zum inzwischen vielfach abgehandelten Thema sind interessant und regen zum Nachdenken an.
    Doch möchte ich Sie auf einen „Fehler“ aufmerksam machen, wenn Sie nämlich bereits im ersten Absatz schreiben: “ … später behauptete der Papst, obzwar eigentlich unfehlbar, …“, und weiter unten nocheinmal ausführich behaupten: “ …hatte es bisher nicht immer aus Rom geheißen, ein Papst sei unfehlbar?“. Wenn Sie diese landläufige Meinung über die Unfehlbarkeit des Papstes so wiedergeben, setzen Sie sich unweigerlich der Gefahr aus, als jemand zu gelten, der sich in Sachen Papst nicht so recht auskennt und trotzdem meint, darüber kommentieren zu müssen.
    Es tut mir sehr leid, aber von Ihnen hätte ich eigentlich erwartet, daß Sie wissen, daß sich die Unfehlbarkeit lediglich auf Aussagen in höchster Lehrgewalt („ex Cathedra“), also nur dann, wenn eine Glaubensüberzeugung zum Dogma erhoben wird,bezieht und nicht – wie leider immer wieder fälschlicherweise behauptet – auf Predigten, Vorlesungen oder sonstwo gemachte Äußerungen des Papstes.
    Ich bitte Sie, in Zukunft die korrekte Definition des betreffenden Begriffes zu berücksichtigen.Ich würde mir auch wünschen, daß auch andere Ihrer Redakteurskollegen mit der gegebenen Sorgfalt an solche Themen herangehen und sich nicht sosehr von landläufigen Meinungen leiten lassen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Rainer Elmenreich

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