Was zur Wahl steht – Von Isolde Charim

Am Sonntag ist Nationalratswahl. Gut möglich, dass es einige Überraschungen gibt. Denn das die Wochen der Falschrede keine exzentrischen Reaktionen des Publikums nach sich ziehen, ist kaum vorstellbar. Als Einstimmung hier unter der Rubrik "Fremde Federn" ein Kommentar von Isolde Charim aus dem aktuellen Falter.

Nach diesem Wahlkampf hat man den Eindruck, was zur Wahl steht, sei eine leere Differenz. Und das nicht trotz, sondern gerade wegen des neuen Pluralismus. Zur Wahl stehen so viele Parteien wie noch nie. Man sollte meinen, das sei der Ausdruck einer lebendigen Demokratie. Aber wie sieht sie denn aus, diese neue politische Vielfalt?

Da gibt es die Freiheitlichen in ihrer pathologischen Ich-Spaltung, getrennt in die siamesischen Zwillinge FPÖ und BZÖ. Dann gibt es die Grünen, die sich so gerne die Hände in den Niederungen der Macht „schmutzig“ machen würden – und die ein kollektiver moralischer Impuls als „schöne Seele“ der Nation reinhalten will, weshalb sie trotz aller Sympathien schlussendlich nicht gewählt werden. Dann hätten wir da noch das frei flottierende Ein-Mann-Geschoß, dessen Umlaufbahn vollkommen uneinsichtig ist, so dass seine Farbe nicht für seine Sauberkeit, sondern für deren Abwesenheit auf der Farbskala steht. Und dann noch die großen Parteien. Ach.

 

Da treffen sich dann die beiden Parteivorsitzenden, um die vielgeforderten Inhalte zu präsentieren, und zeigen doch nur eine Inszenierung von Sachlichkeit. Die Unterschiede verstecken sich in Prozentpunkten hinter den Kommas der Zahlenlawinen. Offenbar ist der Weg an die Spitze ein derartiger, dass alle die dort ankommen auf dieselbe Art zugerichtet sind: mit Zahlen gefütterte Sprechroboter. Inhalte eignen sich offensichtlich nicht zur Auseinandersetzung. Wo findet man also die politische Differenz?

 

Schon eher in den diversen Schmutzkübeln, die hier wechselseitig geleert werden. Da hat man dann die Wahl, welchen man anregender, weniger ekelig findet. Tatsächlich aber findet man die politischen Differenzen dort, wo sie durch leeres Reden markiert werden. Etwa in Westenthalers „Deportationsprogramm“ (© Van der Bellen). Die Vorstellung 300.000 Ausländer aus Österreich wegzuschaffen ist selbst für jene, die das goutieren würden, eine Chimäre: es ist weder real, noch juristisch durchführbar. Bei solchem Gerede fällt zwar die Wahl der Ekelseite nicht schwer. Auch die Frage nach dem Verhältnis von Problem und Lösung ist eindeutig. Hat man bei den „Großen“ den Eindruck, sie können die anstehen Probleme nicht lösen, so ist die Frage in Fall der Westenstraches eindeutig zu beantworten: Sie sind das Problem, dass sie zu lösen vorgeben. Das Bestürzende daran ist aber, dass es die einzig gravierende politische Differenz zu sein scheint, die es hierzulande gibt. So sieht der Pluralismus aus.

 

Kein Wunder, dass die Zahl der Nichtwähler ständig zunimmt. Was bleibt also, wenn einen die Erinnerung an seine Staatsbürgerexistenz packt, wenn die citoyen-Nostalgie überhand nimmt und man dennoch zur Wahl geht? Man hat nur die Möglichkeit, alle sachlichen Erwägungen abzustellen (außer vielleicht jene nach der landesweiten farblichen Postenverteilung, je nachdem ob man die Schwärze, die sich über das Land gelegt hat, gut findet oder nicht) – auch jene subsidiäre Rationalität, die da lautet, man solle taktisch wählen – gerade diesmal ob der zahlreichen Unwägbarkeiten eine besondere Sinnlosigkeit. Nein, es bleibt nur, die Vernunft hintanzustellen und in dieser rationalsten aller Gesellschaftsordnungen eine rein emotionsgeleitete Wahl zu treffen, die nichts mit den realen Problemen zu tun hat, deren Lösung man ohnehin niemandem zutrauen kann. Man kann nur einer Erinnerung an tatsächliche politische Differenzen folgen und rein ideologisch wählen. Wählen wird zunehmend zu einer sentimentalen Übung, zu einer nostalgischen Praxis.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.