Summer Time

Wer ist, was kann Alfred Gusenbauer? Die Frage wird uns noch länger beschäftigen. Hier Ausschnitte aus einem politischen Porträt, das ich im Jahr 2002 in der "Neuen Gesellschaft / Frankfurter Hefte" veröffentlichte, dem SPDnahen Intellektuellenblatt, das von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben wird. Der Schlüsselsatz, der heute noch gilt: "Wahrscheinlich würde Alfred Gusenbauer sogar ein recht guter Bundeskanzler sein."  Annäherung an einen Bundeskanzler, Erster Teil

 

 

Der Abend ist spät, doch der Alfred kommt nicht. Dabei hatte sich Alfred Gusenbauer mit dem engsten Kreis seiner Mitarbeiter im schick-urbanen Café Kunsthalle im Wiener Museumsquartier verabredet, gemeinsam wollten sie einen packenden Wahltag ausklingen lassen. Doch der Abend des 21. September war doch zu aufregend, und so war "der Alfred" wohl vor irgendeinem Fernsehgerät hängengeblieben, hatte mitgezittert mit den deutschen Koalitionären Gerhard Schröder und Joschka Fischer, alleine ein Glas gehoben – und sich niedergelegt. Denn Alfred Gusenbauer hat viel vor. Am 24. November will der 42jährige, seit nicht einmal drei Jahren Parteichef der österreichischen Sozialdemokraten, selbst Kanzler sein.

 

Unlängst, erzählt also Doris Bures, Bundesgeschäftsführerin und gleichzeitig oberste Wahlkampfmanagerin ihrer Partei, habe sie einen von diesen großflächigen Terminplanern in ihrem Büro aufgehängt, die man mit abwaschbaren Stiften bemalen kann. "Wahltag", hat sie in großen Lettern für den 24. November eingetragen – und für den 25. November "Schlaftag". Dann, erzählt Bures, "hat der Alfred einen Schwamm genommen, ‚Schlaftag‘ abgewischt, und ‚Präsidium‘ draufgeschrieben".

 

Denn es ist gut möglich, daß ab 25. November richtig viel Arbeit auf Gusenbauer und seine Entourage zukommt. (…) 

Die vergangenen zweieinhalb Jahre waren überaus harte für den jungen SPÖ-Chef Gusenbauer, der die Partei von seinem trost- und glücklosen Vorgänger Viktor Klima in völlig zerrüttetem Zustand übernommen hat. Und auch der gegenwärtige Wahlkampf ist eher, was die Briten ein "uphill-battle" nennen. Gusenbauer hat zwar die niedergeschmetterte SPÖ stabilisiert – nach dem Sturz in die Opposition nach 30 Jahren Kanzlerschaft keine Kleinigkeit -, den dramatischen Schuldenstand der Partei halbiert und manche personelle Erneuerung angeschoben (in Einzelfällen auch gegen Widerstände), doch ein Dream-Team ist die traditionsreiche Partei noch lange nicht geworden. Das liegt zum Teil an den Umständen, denn ohne Geld und mit einer ererbten, zudem durch eine vorangegangene Wahlniederlage dezimierten Nationalratsfraktion erwies sich das personelle und intellektuelle Reservoir der Partei als durchaus endlich; die Zeit, um Tritt zu fassen, war kurz. Und Gusenbauer selbst machte, um das mindeste zu sagen, nicht ausnahmslos gute Figur.

 

Über einen Mangel an Häme mußte sich der bullige Ex-Juso-Vorsitzende jedenfalls nicht beklagen. Die Debatte darüber, ob Gusenbauer der Richtige sei, Wolfgang Schüssel die Kanzlerschaft wieder abzujagen, ist in den letzten zwei Jahren nicht abgerissen, und sie wäre wohl noch lauter entbrannt, hätte nicht der überstürzte Neuwahlbeschluß dazu geführt, daß es keine Zeit mehr gab, einen anderen – etwa Wiens erfolgreichen SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl – an die Spitze zu hieven. Mit Spott über "Gusi", wie Gusenbauer seit SJ-Tagen genannt wird, füllen nicht nur die österreichischen Blätter gerne ihre Seiten, selbst der "Spiegel" widmete sich unlängst mit sichtbarem Vergnügen dem Gusi-Bashing: "Klug, aber tollpatschig."

 

Nun ist das alles ein bißchen ungerecht. Gusenbauer sprüht sicher nicht vor Charisma und sein Hinweis, Charisma sei nicht alles – "Mussolini hatte Charisma", sagt Gusenbauer dazu, also könne er gerne darauf verzichten -, ist schön formuliert, hilft aber leider nichts gegen den Umstand, daß er bei öffentlichen Auftritten, vor allem im Fernsehen, eher hölzern wirkt, alles andere als sympathisch. Es fehlt ihm da oft auch der politische Instinkt, im richtigen Augenblick das Richtige zu sagen. Ein Political Animal von der Art Gerhard Schröders etwa ist Gusenbauer sicherlich nicht. Auf der Skala der beliebtesten Politiker des Landes liegt er weit hinten.

 

Gusenbauer muß jetzt viel wett machen, vor allem im direkten Kontakt mit den Menschen. Da wirkt er lockerer, sympathischer, verbindlicher, macht sogar spontan Witze. Darum absolviert er in den zwei Wahlkampfmonaten eine Mammuttournee, zieht durch "Feindesland", läßt keinen Marktplatz aus – und auch kein Heimspiel, damit der Funke auch bei den eigenen Leuten überspringt und die zum Laufen beginnen, "um die Wende zu wenden", wie er bei solchen Gelegenheiten sagt. "Wir gewinnen die Wahl, wenn wir alle überall wo wir können die Auseinandersetzung führen", beschwört er dann seine Leute, etwa beim jüngsten Kongreß der SP-Fraktion in der Handel-Transport-Verkehr-Gewerkschaft. In solchem Kreis wirkt Gusenbauer nicht so spröde und arrogant, hier kommen seine Sätze nicht ungelenk, er redet dialogisch-argumentierend, damit die Genossen auch verstehen, was er meint mit seinem Wahlkampfmotto von den "fairen Chancen für alle". Da erklärt er, daß "Karies bei Kindern soziale Ursachen hat", ist dann gleich bei der Gesundheitspolitik im allgemeinen, und auch bei der Bildungspolitik, weil beide Thema eines Leitmotives sind: faire Startbedingungen ins Leben für alle, und das heißt für Politik, sich der Startbedingungen der weniger Privilegierten anzunehmen. "Österreich", sagt Gusenbauer, "Österreich hat etwas Besseres verdient". Ein Gewerkschafter in den hinteren Reihen sagt: "Der ist ja viel sympathischer als im Fernsehen."

 

Wahrscheinlich würde Alfred Gusenbauer sogar ein recht guter Bundeskanzler sein. Noch aber fehlt es ihm an politischer Statur. "Alt werden ist doch kein Programm", hat er gesagt, als er, damals gerade 40 geworden, gefragt wurde, ob er sich den Parteivorsitzenden wirklich zutraue. Die logische Wahl war Gusenbauer keineswegs, nachdem Viktor Klima mit seinen Leuten die Partei an die Wand gefahren hatte. Um einen Showdown zwischen den Parteiflügeln zu vermeiden, entschieden sich die Präsidialen in einem Anflug von Todesmut zum radikalen Generationswechsel – und für Gusenbauer. Der hatte es da gerade in einem kometenhaften Aufstieg innerhalb weniger Monate vom einfachen Parlamentshinterbänkler zum Bundesgeschäftsführer gebracht. Denn Gusenbauer, der sich nach seiner Zeit als Juso-Vorsitzender vor allem in der Sozialistischen Internationale herumgetan hatte – mit 29 war er einer der Stellvertreter von Willy Brandt als SI-Präsident -, war daheim eher unauffällig geblieben. Er werkte jahrelang als einfacher Referent in der Arbeiterkammer, der ständischen Interessensorganisation der abhängig Beschäftigten, war Landtags-, dann Bundesratsabgeordneter, zog 1993 in den Nationalrat ein – ohne allzu viele Spuren zu hinterlassen. Er lernte fließend Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch. Blitzgescheit, war er zwar ein beliebter Gesprächspartner der Parlamentsjournalisten, doch Niederschlag fand das kaum, interessierte sich Gusenbauer doch vor allem für jene Dinge, für die sich hierzulande kaum jemand interessiert: für die neuesten Theoreme der internationalen Sozialwissenschaft, für Programmatisches, für Europa, für die internationale Politik. Erst als er 1999 in der niederösterreichischen Provinz einen furiosen Wahlkampf schlug, sich "Red Fred" nannte, durch die Landdiskos tingelte und damit auch noch Erfolg hatte, dämmerte es den Parteioberen, daß es sich bei dem alternden Berufsjugendlichen vielleicht doch um ein politisches Talent handeln könnte. Noch im Herbst wurde er niederösterreichischer SP-Landesgeschäftsführer, im Winter Bundesgeschäftsführer, im Frühling Parteivorsitzender. Quattro Stagioni auf SPÖ-Art.

 

Und jetzt: vielleicht Summer time. Jetzt ist Gusenbauer Kanzleranwärter, ohne je ein nennenswertes öffentliches Amt ausgeübt zu haben. Er war nie in einer Landesregierung, nie Minister, nicht einmal Bürgermeister, und sei es der kleinsten Gemeinde. Das ist ein Manko, schließlich lehrt die Erfahrung, daß das Wahlvolk nicht gerne jemanden ohne ein Amt im Rücken gleich mit dem höchste Regierungsposten betraut – sozusagen als Azubi im Kanzleramt.

 

Wobei es Gusenbauer an Selbstbewußtein keineswegs fehlt. Wie es bei Männern nicht selten ist, die aus kleinsten Verhältnissen den Aufstieg schafften, die besessen sind vom Drang, etwas aus sich zu machen, ist auch Gusenbauer ziemlich unerschütterlich von den eigenen Fähigkeiten überzeugt. Eine Eigenschaft, die ihm den Ruf einbrachte, weitgehend beratungsresistent zu sein. Doch das, ist aus dem innersten Kreis um Gusenbauer zu hören, habe sich geändert. "Er ist mittlerweile bereit, Rat anzunehmen", ist aus seinem Umfeld zu hören. "Doch was er nicht aushält, ist Dummheit." Dann wird er oft hart, spitz und schnoddrig. Und weil er bei Begegnungen mit Parteifreunden wie auch mit österreichischen Journalisten dazu reichlich Gelegenheit hat, wird sein Ruf dadurch nicht besser. Nach manchem Auftritt des Parteichefs heißt es, halb ironisch: "Das war keine Pressekonferenz, sondern ein Proseminar." Tatsächlich kann man sich mit Gusenbauer trefflich darüber unterhalten, welche Bedeutung der Rawlsche Gerechtigkeitbegriff für politisches Handeln hat und inwiefern Avishai Margalits Verständnis von Decency einen radikalen Umbau staatlicher Sozialbürokratien fordere.

 

Jetzt hat er die Chance seines Lebens. Zwar wurde die Partei von den Neuwahlen überrascht, andererseits konnte kaum mit besseren Umständen gerechnet werden, als der Kernschmelze der schwarz-blauen Regierung. Eilig wurde eine Kleinstadt aus Baucontainern auf dem Platz zwischen SP-Zentrale und Burgtheater hochgezogen, in dem das Wahlkampf-Headquarter, die Austro-Abart der Kampa, untergebracht ist. Viel wird von den Leuten abhängen, die Gusenbauer im Wahlkampf um sich gruppiert. Kein "Schattenkabinett", sondern ein "Kabinett des Lichts" müsse es werden, hat Gusenbauer als Zielvorgabe formuliert. Aus dem Kreis der Mandatare und Funktionäre seiner Partei wird Gusenbauer sich dabei kaum bedienen dürfen.

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