Kaufen, kaufen, kaufen

Zur Entspannung im Nachwahlstress: Neue Bücher zur Konsumkultur, die der Frage nachgehen: Warum macht uns nur Neues glücklich? Wie bringen Dinge unsere Persönlichkeit zum Ausdruck?

Erschienen in der Falter-Literaturbeilage Herbst ’06 und in der taz.

 

 

 

Langsam spricht sich herum, dass der Konsumismus mehr ist als der Einkauf nützlicher Dinge und Shopping nicht bloß eine Technik, sich Güter zu besorgen. Der Konsumismus ist ein Weltverhältnis, Shopping die zeitgenössische Art, uns mit unser Lebenswelt in Verbindung zu setzen. Mit jedem Einkauf erwerben wir ein Stück Welt und wir erwerben uns buchstäblich selbst. Wenn wir uns, wie in solchen Fällen gerne formuliert wird, „etwas gönnen“, dann wird am Ende möglicherweise zwar eine Ware erstanden, aber wir konsumieren auch Bilder, die wir schon im Kopf haben, entscheiden uns für einen Lebensstil, kaufen uns Affekte oder etwas Schönes am Erlebnismarkt. Kurzum: im Consumer Capitalismus geht es ebenso sehr um Kultur und Identität wie um Ökonomie und Profit.

 

 

Kein Wunder, dass die Figur des Konsumenten ein Thema der Gesellschaftstheorie wird. Der Münchner Kulturtheoretiker Wolfgang Ullrich, unter den Thirtysomethings schon eine große Nummer, geht in seinem neuen Buch „Haben Wollen“ aufs Ganze. Ihm geht es um die Frage:  „Wie funktioniert die Konsumkultur?“

 

In einem fulminanten Einstieg erzählt Ullrich von einer Kunstaktion in München. Ein schöngeistiger Unternehmer lädt dort regelmäßig Künstler zu „etwas anderen“ Installationen ein – sie sollen seine Wohnung für einen Abend zu einer Galerie machen. Die Künstlerin Stephanie Senge stellte ihren Abend unter das Motto „Hurra, wir ziehen zusammen“ und räumte Gebrauchsgegenstände aus ihrer Wohnung in die Regale des Kaufmanns. In der Küche: Ihre Tassen neben denen des Gastgebers. Im Bad: Ihre Zahnbürste und Hygieneartikel. Überall: Eine wilde Mischung.

 

Der Kaufmann hat ein Faible für Minimalismus, die Künstlerin für grelle Farben und fröhliche Formen. Sofort fragten sich die Gäste, wenn auch in diesem Fall spielerisch: Kann das gut gehen? Können zwei derart unterschiedliche Menschen zusammen passen? Damit hatte die Künstlerin ihr Ziel schon erreicht. Die Zuschauer richteten ihr Augenmerk auf den „weichen“ Lifestyleaspekt der Sachen, getragen von der Überzeugung, „dass in den Dingen, mit denen sich Menschen umgeben, ihre Persönlichkeit zum Ausdruck kommt“.

 

Im Kulturkapitalismus ist die Aufladung der Güter mit „Persönlichkeit“ das Entscheidende – schließlich gibt es von allen Waren eine Vielzahl im Angebot, die in sachlicher Hinsicht das gleiche können. Eine Marke wird nur dann zum Renner, wenn sie „dank der Warenästhetik eine Identifikationsmöglichkeit“ bietet, auf die viele Menschen versessen sind. In einer entwickelten Wohlstandsgesellschaft kommt es, zitiert Ullrich den Gründer der Werbeagentur Jung von Matt, zu einer „Verschiebung von der Warenproduktion zur Imageproduktion“. Der emotionale Mehrwert dessen, was man kauft, wird zur eigentlichen ökonomischen Größe.

 

Die Lifestyleware ist, kulturhistorisch gesehen, ein Newcomer. Eine ihrer Vorformen sind die alten „Statussymbole“, vielleicht auch die patinierte Kommode (die „Familiengeschichte“ repräsentierte) und die Erzeugnisse mancher Handwerker, die einen besonders guten Ruf hatten (eigentümliche Urformen der „Marke“). Versprach die Reklame früherer Lifestylemarken – etwa in den siebziger Jahren – dem Konsumenten, sie würden anderen besser gefallen, steht heute in der Regel „die Selbstsorge des Konsumenten“ im Zentrum. Die Marke hilft ihm, zu werden, was er werden will – das Interesse der anderen kommt dann schon von selbst. Das, letztlich, ist die Botschaft des zeitgenössischen Branding, also des Aufladens von Marken mit Persönlichkeitscharakteristika.

 

Was daraus folgt, wenn Marken als „zweites Gesicht des Selbst“ angesehen werden, erzählt uns Ullrich detailreich: So wurde in Studien herausgefunden, dass Citroen-Fahrer meist SPD wählen, Fiat-, Nissan- und Opelkunden eher links orientiert sind, Mercedes-, Audi-, Toyota- und BMW-Lenker eher rechts. Wer Peugeot oder Renault den Vorzug gibt, unterstützt signifikant häufig die Grünen.

 

Ullrich betrachtet all das mit Neugier, übellaunige Kulturkritik, molltönendes Gemurmel von der Herrschaft der Sachen über die Individuen ist seine Sache nicht. Das macht Ullrichs fröhliches Markenbrevier leicht lesbar und man muss für die Lektüre keineswegs die Bereitschaft mitbringen, sich deprimieren zu lassen. Andererseits bleibt nach den gut 200 Seiten ein leiser, schaler Nachgeschmack – irgendwie scheint Ullrich alles gleich interessant, feuilletonistisch gekonnt surft er doch etwas an der Oberfläche entlang. Die Frage, was das denn bedeutet, wenn alle potentiellen Erfahrungsräume immer schon von Lifestylemarken besetzt sind, hätte zumindest aufgeworfen werden können, auch wenn der Autor den düsteren Sound der Kritischen Theorie nicht mag.

 

Letztlich bleibt auch seltsam ungeklärt, was denn eigentlich am „Neues haben wollen“ einen solchen Lustgewinn bereitet – wenn man nicht der Theorie anhängt, die Konsumenten würden einfach manipuliert, ihnen würden Wünsche ins Gehirn implantiert. Eine verfolgenswerte Spur formulierte Richard Sennett im Vorjahr in seinem Buch „Die Kultur des neuen Kapitalismus“. Vielleicht, meinte Sennett da, ist Konsumleidenschaft „nur eine andere Bezeichnung für Freiheit“. Die Überfülle und das Neue regen unsere Fantasie an, es hat etwas Befreiendes, über die alten Dinge, mögen sie auch durchaus noch brauchbar sein, hinauszugehen, das unmittelbar Bekannte hinter sich zu lassen.

 

Die Frage so gestellt, gäbe es erstaunliche Synergiemöglichkeiten von Kulturtheorie und Gehirnforschung. So nähert sich der amerikanische Psychiater und Neurologe Gregory Berns dem selben Thema von anderer Seite. Glücklich machen uns nur neue Herausforderungen und neue Erfahrungen, so Berns etwas knappe These: „Das Neue ist es, was wir alle wollen“. Das gilt für Beruf, Sex, gastronomische Genüsse und den Kick des Abenteuertouristen – und eben auch für die Welt des Konsums. Zwar hüpft Burns mit etwas fragwürdiger Leichtfertigkeit von der Messung von Dopaminströmen im Gehirn zu der These, dass wir nach Geld streben, weil es uns die Möglichkeit bietet, uns Neues zu beschaffen. Dennoch findet Burns zwischen dem leicht disparaten Material, das er ausbreitet (fraglich, ob der Kick im Sadomasostudio wirklich das gleiche ist, wie die Befriedigung, die es bietet, wenn man endlich den neuen DVD-Player zum Laufen bringt), interessante Beobachtungen. So erklärt er den Umstand, dass uns Shoppingausflüge meist weit weniger befriedigen als wir erhoffen, damit, dass uns jede Möglichkeit, die wir wahrnehmen, eine Vielzahl anderer verschließt. „Bei jeder Kaufentscheidung haben wir ein Auge auf dem begehrten Objekt und das andere auf allen anderen, die wir nicht kaufen.“

 

Welthistorisch sind das alles erst frühe Versuche, etwas Neues zu verstehen. Der Konsumismus steckt gewissermaßen noch in seinen Kinderschuhen – vor drei, vier Jahrzehnten hieß einkaufen noch, zum Tante Emma Laden oder zum Greißler um die Ecke gehen und zu sagen: „Ich hätte gerne ein halbes Kilogramm Mehl.“ Heute bewegen wir uns gekonnt in Shoppingmalls und Supermärkten, verwalten unser Direct-Konto beim Online-Banking, Handeln bei EBay, bauen uns die Ikea-Regale selbst zusammen, bestellen aufs Individuum zugeschnittene Produkte direkt beim Hersteller und vernetzen uns mit anderen Konsumenten zu „Communities“. Der Kunde gibt den Produzenten wichtige Informationen, wird eine Art „unbezahlter Mitarbeiter“. Die Konsumwelt ist in stetiger Umwälzung, die neueste Figur ist das, was die Wirtschaftssoziologen G. Günter Voß und Kerstin Rieder den „arbeitenden Kunden“ nennen.

 

Deshalb ist im Consumer Capitalism jetzt auch oft vom bewussten Konsumenten die Rede. Davon, dass die Kunden mit ihren Kaufentscheidungen die Wirtschaftswelt steuern können – ökologisch korrekt, sozial verantwortlich einkaufen, so die These, kann die Welt besser machen. Aber das, so Wolfgang Ullrich, ist noch lange nicht alles. Wenn die Dinge die kulturelle Lebensumwelt prägen, dann muss ein intellektuelles Instrumentarium ausgebildet werden, die Sachen kulturell zu beurteilen. Statt der großen kulturkritischen Attitüde, der Verachtung des Kommerzes, bräuchte es eine Kultur der Dingkritik, die die „Produkte genauso einer kritischen kulturellen Würdigung“ unterzieht wie die Musikkritik die Schallplatten oder die Literaturkritik Bücher. Die Dinge sind immer auch Imperative, die die Konsumenten anherrschen. Zeit, so Ullrich, dass sich Menschen heranbilden, „die ihre Ansprüche an die Dinge deutlicher formulieren“.

 

Wolfgang Ullrich: Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur. S. Fischer-Verlag, Frankfurt / M., 2006, 224 Seiten, 17,90 € (Ö: 18,40.-)

 

Gregory Berns: Satisfaction. Warum nur Neues uns glücklich macht. Campus-Verlag, Frankfurt / New York. 2006. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. 332 Seiten, 24,90 € (Ö: 25,60.-)

 

G. Günter Voß, Kerstin Rieder: Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden. Campus-Verlag, Frankfurt / New York, 2005, 251 Seiten, 19,90 € (ö: 20,50)

 

Ein Gedanke zu „Kaufen, kaufen, kaufen“

  1. Danke für die überaus geistreichen Texte! Gerade die Konsumkultur ist an Stelle der Religion getreten, sie verblendet das Bewusstsein. So glit dann doch Gottfried Kellers „Kleider machen Leute“

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