Volkskanzler?

Noch nicht einmal mit der Regierungsbildung beauftragt, hat Alfred Gusenbauer schon das "Branding" seiner Kanzlerschaft besorgt: "Ich will ein Volkskanzler sein", sagte er in allen Interviews. Von wem stammt die Catch-Phrase? Von Gusenbauer – oder verdankt er den Spin, den er seiner Regentschaft verleihen will, gar Wolfgang Fellner?

 

Von der Chronologie her ist es eindeutig und erstaunlich: Irgendwann am Wahlabend – Sonntag nachts, vielleicht erst Montag früh – hämmerte Wolfgang Fellner in die Tasten, Gusenbauer erscheine wie ein "Volkskanzler" ("Österreich", 2. Oktober). Am Montag dann gab Gusenbauer einen Interviewreigen. Die Botschaft: "Ich will ein Volkskanzler sein." Interessante Frage: Haben die SPÖ-Kommunikatoren Fellner schon aufgespint gehabt, sodass er ihren Terminus übernommen hatte? Oder haben sie Montag früh entschieden, sich bei Fellner zu bedienen? Nicht, dass es so wichtig wäre, aber man würde das schon gerne wissen, interessehalber gewissermaßen. Fellner jedenfalls feiert sich als Urheber der Phrase: "Alfred Gusenbauer hat den Leitartikel von ÖSTERREICH vom Wahlsonntag zu seinem neuen Motto erklärt: ‚Ihr habt das wunderbar geschrieben mit dem Volks-Kanzler Gusenbauer. Genau das ist mein Ziel: Ich will Volks-Kanzler werden.’", berichtet Fellner auf der Österreich-Homepage.

Politisch ist die Selbstetikettierung ohnehin grenzgenial, da gibt es nichts zu keppeln. Auch tut ein Politiker in einer Schlüsselphase seiner Karriere gut daran, das Narrativ selbst mitzuliefern – so wie die Markengurus die "Essenz" der Marke in starke Bilder und in ein, zwei Begriffe verdichten. "Volkskanzler" ist natürlich eine Kampfansage an die populistischen Parteien. Die wurden ja groß, man soll das nicht vergessen, weil der leise elitäre Zug moderner sozialliberaler Politik die Unterprivilegierten (manche sagen: die Unterklassen) ohne politische Repräsentation ließen. Die Integration der einfachen Leute, die früher die Arbeiterbewegung besorgte, funktionierte somit nicht mehr.

Nicht, dass Gusenbauer aus den Zwängen so leicht ausbrechen könnte, die diese sozialliberale Politik erst als Resultat hatten – aber er könnte natürlich auf der Ebene des Symbolischen, des Narrativen andere Akzente setzen. Niemand unterschätze die Macht des Imaginiären!

Insofern würde ich auch Barbara Toth heftig widersprechen, die heute im Standard schrieb: "Niemand kann sich selbst zum Volkskanzler ausrufen. Man wird es. Oder nicht". Die Zeit, dass Narrative einfach so entstehen, ohne dass jemand Interessierter etwas dazu tut, die ist lange vorbei (wenn es sie überhaupt jemals gab).

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