„Ist Israel gut oder schlecht für die Juden, Herr Zuckermann?“

Der israelische Kulturhistoriker Moshe Zuckermann über die Erfolgsaussichten des jüngsten Waffenstillstandes in Nahost, die Israelsolidarität der europäischen Juden und die Instrumentalisierung des Antisemitismus. profil, 11. Dezember 2006 & taz, 13. Dezember

 

 

profil: Der Waffenstillstand zwischen Israel und Palästinenser weckt erstmals seit langem wieder Hoffnungen. Müssen wir damit rechnen, dass die auch diesmal wieder enttäuscht werden?

 

Zuckermann: Jetzt schweigen einmal die Waffen. Das ist erfreulich. Nur: Was will man jetzt politisch machen? Premier Ehud Olmert hat neuerdings am Grab von Ben Gurion ein Bekenntnis zu einem palästinensischen Staat abgelegt. Aber was meint er damit? Ein Angebot, das für die Palästinenser akzeptabel ist? Es ist zu befürchten, dass Olmert über das unselige Erbe Ariel Sharons nicht hinausgehen wird, der den Palästinensern nie mehr als 42 Prozent des Westjordanlandes anzubieten gedachte. Wenn das aber so ist, dann wird dieser nur der nächste gescheiterte Waffenstillstand sein.

 

profil: Vielleicht gibt es aber doch Kriegsmüdigkeit auf beiden Seiten?

 

Zuckermann: Kriegsmüdigkeit allein führt nicht zu konstruktiver Politik. Eine Lösung gibt es nur, wenn sich Israel auf die Grenzen von 1967 zurückzieht. Dagegen würden sich radikale Siedler mit allen Mitteln wehren. Der Staat müsste mit seinem Gewaltmonopol gegen sie vorgehen. Doch dazu ist die israelische Gesellschaft in ihrer großen Mehrheit nicht bereit.

 

profil: Aber ist es einfach nicht so, dass sich viele Israelis bedroht fühlen?

 

Zuckermann: Die Selbstmordattentate waren eine neue Art von Bedrohung. Als Reaktion darauf gab es eine Verhärtung der Position in Israel. Schon das war aber keine Naturnotwendigkeit – man hätte gerade die prekäre Sicherheitslage als Beweis nehmen können, dass es keine Alternative zu Frieden gibt. Anstelle dessen hat man die Selbstmordattentate als Anlass genommen, zu sagen, wir haben auf der anderen Seite ja gar niemanden, mit dem wir reden könnten.

 

profil: Ist psychologisch doch nachvollziehbar, oder?

 

Zuckermann: Ich fände eines eigentlich logischer: Wenn es denn eine Bedrohung gibt, kann man versuchen, sie militärisch aus der Welt zu schaffen oder durch eine politische Lösung die Lage zu entschärfen. Militärisch konnte man offensichtlich ja überhaupt nichts Sinnvolles tun. Warum verschließt man sich dann der einzig anderen Möglichkeit? 

 

profil: Ja, warum? Warum etwa ist das Friedenslager verstummt?

 

Zuckermann: Es gibt ein reales Sicherheitsproblem – wenn in Tel Aviv Busse explodieren, wäre es lächerlich, das zu leugnen. Entscheidend ist aber: Die zionistische Linke hat sich einfach schlafen gelegt, als Jitzhak Rabin 1992 Premier wurde. Sie dachte, jetzt haben wir es geschafft. Nach der Ermordung Rabins drei Jahre später ist sie aus dem Winterschlaf nicht mehr erwacht, im Gegenteil: Sie ist in das Fahrwasser der Militaristen geraten. Sie hat Verrat an ihrem eigenen Friedensideal begangen.

 

profil: Wie soll man denn mit der Hamas verhandeln, die Israel vernichten will?

 

Zuckermann: Angenommen, die Hamas ist ein Gegner, mit dem man nicht verhandeln kann. Wie beweist man das am besten? Natürlich, indem man mit so einem Gegner verhandelt, dann sieht alle Welt, an wem ein Kompromiss scheitert. Diese laute Behauptung aber, mit der Hamas könne man nicht verhandeln, nährt in mir den Verdacht, dass man darüber eigentlich ganz zufrieden ist. Auch über die PLO, auch über Arafat wurde jahrzehntelang behauptet, man könne mit ihnen nicht verhandeln.

 

profil: Welche Angebote sollte Israel der Hamas-Regierung machen?

 

Zuckermann: Das Paradoxe ist: Wir alle wissen, wie eine Lösung in etwa aussehen müsste – diese Klarheit entstand im Oslo-Prozess. Es handelt sich grob gesprochen um vier Punkte. Erstens: Der Rückzug auf die Grenzen von 1967, vielleicht mit ein paar Korrekturen im Detail. Zweitens: Räumung der Siedlungen. Drittens: Jerusalem wird Hauptstadt zweier Staaten. Drittens: Eine symbolische Lösung für das Rückkehrrecht der Palästinenser, dass also 150.000 bis 200.000 zurückkehren können.

 

profil: Viele fürchten, selbst eine diplomatische Lösung würde nichts bringen – sie würde nämlich wenig daran ändern, dass die Araber der Juden hassen. Bleibt Israel für immer eine belagerte Festung?

 

Zuckermann: Ich neige zu der Annahme, dass die Situation, in der wir uns befinden, nichts mit „dem Wesen“ der Araber oder „dem Wesen“ der Juden zu tun hat, sondern mit den historischen Geschehnissen. Außerdem: Den Krieg haben wir ausprobiert. Das einzige, was wir noch nicht ausprobiert haben, ist der Friede. Israel ist in seiner Existenz nicht bedroht. Konventionell kann niemand gegen Israel an. Und wer einen nuklearen Konflikt mit Israel sucht, weiß, dass er innerhalb von sechs Stunden von der Landkarte radiert ist.

 

profil: Unterschätzen Sie nicht den Hass?

 

Zuckermann: Der Hass speist sich aus dem Nahostkonflikt, nicht umgekehrt. Natürlich weiß ich, dass es zwei, drei Generationen brauchen wird, bis der Hass verschwindet, wenn der Nahostkonflikt einmal gelöst ist. Aber der Friede ist die Bedingung für den Abbau des Hasses – wir können nicht erwarten, dass erst der Hass verschwinden muss, bevor wir Frieden machen.

 

profil: Im Westen findet die harte Haltung der israelischen Regierung mehr und mehr Zustimmung, weil sich der Nahostkonflikt mit dem „Krieg gegen den Terror“ vermischt und der grassierenden Angst vor den Moslems. Verschärft das das Problem in Israel?

 

Zuckermann: Auf Israel wird etwas projiziert, was erstens mit der realen Weltlage nichts zu tun hat – und zweitens ist natürlich die reale Weltlage selbst total ideologisiert. Israel selbst hat das zur Selbstlegitimation aufgegriffen, indem es sich zur Speerspitze des westlichen Kampfes gegen den „Islamofaschismus“ stilisierte.

 

profil: Ist das ganz falsch?

 

Zuckermann: Es geht um eine territoriale Frage! Das hat mit „Islam und dem Westen“ gar nichts zu tun. Oder höchstens insofern, als es bei dem „Krieg gegen den Terror“ letztendlich ebenso um die Beherrschung von Räumen geht und nicht um Werte.

 

profil: Welche Auswirkungen hat all das denn auf die jüdischen Gemeinden in Europa?

 

Zuckermann: Was ich nicht ertragen kann, ist, dass die jüdischen Gemeinden in Europa ihren Kampf bis zum letzten Blutstropfen auskämpfen – und zwar bis zu unserem letzten Blutstropfen, dem der Juden in Israel. Ein Grund dafür: Die meisten Israelis finden es ohnehin unmöglich, dass man als Jude in Deutschland oder Österreich noch leben kann – nach der Shoah. Im Umkehrschluss fühlen sich die jüdischen Gemeinden in Deutschland verpflichtet, noch jeden Aspekt der israelischen Politik zu unterstützen.

 

profil: Spielt nicht auch die Angst vor einem „neuen Antisemitismus“ eine Rolle, von dem gelegentlich die Rede ist?

 

Zuckermann: Es gibt den Antisemitismus als sozialpsychologisches Phänomen – der braucht oft nicht einmal Juden. Aber der Antisemitismus wird heute auch durch die Geschehnisse im Nahen Osten gespeist. Ich sage nicht, der Nahostkonflikt schafft den Antisemitismus. Aber die israelische Politik verleiht dem Antisemitismus Legitimation. Da kann ich nur sagen: Bravo, tolle Leistung! Und wie wird darauf reagiert? Indem man versucht, jede Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichzusetzen. Sogar Juden wie ich, die Israel kritisieren, werden als objektive Zuträger des Antisemitismus bezeichnet – absurderweise sogar von nichtjüdischen Israelfans, die den behaupteten Antisemitismus benützen, um sich selbst zu profilieren.

 

profil: Ist Israel, angesichts all dessen, eher gut für die Juden oder schlecht für die Juden?

 

Zuckermann: Der Zionismus selbst ist entstanden aus der Logik der Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts. So gesehen müsste man fragen: War der Nationalstaat gut für die Menschen? Ich bin mir nicht sicher. Nach der Shoah war Israel eine Notwendigkeit für die Juden. Heute freilich ist es so: Nirgends sind jüdische Menschen so bedroht wie in Israel. Lassen Sie es mich so sagen: Wenn wir es nicht schaffen, Frieden im Nahen Osten herzustellen, dann wird Israel etwas sehr schlechtes für die Juden gewesen sein.

 

Interview: Robert Misik

 

Zur Person:

 

Moshe Zuckermann, 57

Soziologe und Historiker. Er leitete das Institut für deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv und ist gegenwärtig Gastprofessor an der Universität Luzern. Zuckermann wurde in Israel als Sohn von Auschwitz-Überlebenden geboren und wanderte mit seinen Eltern als zehnjähriger nach Deutschland aus. Als 21jähriger ging Zuckermann wieder zurück nach Israel. Zuckermann gilt als einer der führenden israelischen Kulturtheoretiker. Gerade erschien im Passagen-Verlag sein Buch „Israel – Deutschland – Israel. Reflexionen eines Heimatlosen.“ (219 Seiten, 26,80.- €).

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