„Gut, dass es Rom gibt“

Die gescheiterte Inthronisierung des einstigen Geheimdienstzuträgers Stanislaw Wielgus zum Erzbischof von Warschau offenbart einen tiefen Riss zwischen Warschau und dem Vatikan. Plus: Ein Interview mit Adam Krzeminski über den polnischen Katholizismus. profil, 15. Jänner 2007

 

Die 46 Abgeordneten der regierenden polnischen Rechtsparteien hatten ihren illustren Gesetzesantrag in aller Stille ausgearbeitet. Erst knapp vor den Weihnachtfeiertagen waren sie dann mit ihrem bahnbrechenden Vorschlag in die Öffentlichkeit gegangen: Das polnische Parlament möge Jesus zum „König von Polen“ ausrufen.

 

Leider ging das Gesetzesvorhaben etwas unter – weil gerade ein Sexskandal das rechtsklerikale Lager erschütterte. Eine 33jährige Funktionärin der Samoobrona-Partei von Vizepremier Andrzej Lepper  hatte öffentlich erklärt, sie habe nur deshalb in der kleinen Koalitionspartei Karriere gemacht, weil sie reihum mit deren führenden Funktionären schlief.

 

Doch der Skandal, der Polen seit vorvergangenes Wochenende beutelt, stellt alles Dagewesene in den Schatten. Die Enttarnung von Stanislaw Wielgus, den neuen Erzbischof von Warschau, als einstigen Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes, erschüttert die polnische Kirche bis ins Mark – die Schockwellen dieses Bebens sorgen auch im Vatikan für Aufregung.

 

Dass ein spitzelnder Priester zum Bischof aufsteigt, ist peinlich genug. Noch peinlicher ist aber das Missmanagement, das einsetzte, nachdem die Vorwürfe gegen Wielgus publik wurden.

 

Die Chronologie der Ereignisse liest sich wie ein Kirchenkrimi. Schon die Auswahl von Wielgus, bis dahin Bischof im kleinen Provinzstädtchen Plock, zum Nachfolger des greisen Erzbischofs Józef Glemp, lief eher unrund. Einen urspünglichen Dreiervorschlag der polnischen Bischofskonferenz retournierte Papst Benedikt kühl, weil ihm keiner der Kandidaten als geeignet erschien. Auf der nachgereichten zweiten Dreierliste fand sich dann der Name Wielgus – für den der Vatikan dann votierte.

 

Pikant an der Sache: Joseph Ratzinger, der heutige Papst, kennt Wielgus aus den siebziger Jahren, als dieser in München seine Theologiestudien vertiefte. Wie sich jetzt herausstellte, hatte Wielgus die Genehmigung zum Auslandsstudium nur erhalten, weil er sich zur Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst SB verpflichtete. Seine Aufgabe war, Auslandspolen und den Sender „Radio Free Europe“ zu bespitzeln. Wie gewissenhaft er dieser Aufgabe nachging, ob er gar auch über den damaligen Theologieprofessor Josef Ratzinger berichtete, ist ungeklärt.

 

Schon unmittelbar nach Designierung von Wielgus zum obersten Hirten der katholischen Schäfchen Polens, sickerten Gerüchte durch, der Gottesmann habe mit dem kommunistischen Geheimdienst gekungelt – und es gäbe über ihn eine dicke Akte. Reflexartig verteidigte das polnische Episkopat „Bruder Wielgus“. All die Vorwürfe seien nichts als Konstruktionen der „Feinde der Kirche“ – worunter, je nach Laune, ehemaligen kommunistische Geheimdienstler, modernistische Liberale oder sensationslüsterne Journalisten verstanden wurden. Polens Klerus mauerte.

 

Im Vatikan kamen nur spärliche Meldungen an, weil die polnische Bischofskonferenz dem Papst, so der Publizist Adam Krzeminski, „nicht reinen Wein einschenkte“ (siehe Interview Seite ???). Und jenen Alarmmeldungen, die eintrafen, wurde offenbar auch noch sträflich wenig Beachtung geschenkt. Zum GAU wuchs sich die Sache schließlich aus, weil der Päpstliche Nuntius in Polen, Jozef Kowalczyk, seinen Chef offenbar über die Schwere der Vorwürfe im Unklaren ließ. Wielgus selbst hatte Benedikt, ist aus Vatikankreisen zu hören, nur oberflächlich über „Kontakte“ mit Geheimdienstlern informiert. Während polnische Zeitungen schon die von Wielgus unterzeichnete „Verpflichtungserklärung“ abdruckten und berichteten, in Wielgus 70seitiger Geheimdienstakte gäbe es Hinweise auf 50 klandestine Treffen des Geistlichen mit den kommunistischen Politpolizisten, blieb der Vatikan uninformiert.

Nuntius Kowalczyk, selbst ein Pole, 1989 von Papst Karel Wojtyla als Emissär Roms eingesetzt, sah seine Rolle weniger als Interessensvertreter des Vatikans beim polnischen Klerus, sondern umgekehrt, als Schutzpatron seiner polnischen Bischofsbrüder gegenüber der Weltkirche.

 

Ab Freitag vergangener Woche überschlugen sich schließlich die Ereignisse. Am Vormittag wurde Wielgus formal zum Erzbischof von Warschau bestellt – der päpstliche Nuntius verlas ihm die Ernennungsurkunde, womit er kirchenrechtlich zum Oberhirten avancierte. Eine Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten hatte er bis dahin standhaft abgestritten. Der feierlichen Amtseinführung am darauf folgenden Sonntag sollte nichts mehr im Wege stehen.

 

Doch wenige Stunden danach präsentierte eine – viel zu spät eingesetzte – Kommission ihr erstes Urteil: An Wielgus Spitzeltätigkeit könne es keinen Zweifel geben. Wielgus hatte unter dem Decknamen „Adam“, „Adam Wysocki“ und „Grey“ Berichte an die Geheimpolizei abgeliefert. „Wie kann er angesichts der erdrückenden Aktenlage noch lügen?“ fragten polnische Fernsehkommentatoren angesichts der Chuzpe des Erzbischofs.

 

Etwa zu dieser Zeit soll Polens rechtskonservativer Präsident Lech Kaczynski, um das Unheil doch noch abzuwenden, zum Telefon gegriffen haben – nach wenigen Minuten hatte er Papst Benedikt XVI. selbst am Apparat. Da erst erhielt der Pontifex Maximus eine leise Ahnung vom Unheil, das angerichtet worden war. Kaczynski versprach, sein Präsidialamt werde in nächtlicher Arbeit den Job erledigen, den zu tun sich der päpstliche Nuntius offenbar stur weigerte – es werde Wielgus Geheimdienstakte übersetzen und dem Papst zukommen lassen.

 

Wielgus, der am Vormittag die Vorwürfe noch bestritten hatte, räumte sie am Abend schließlich ein. Er sei zur Zusammenarbeit gedrängt worden, habe aber „niemanden verraten und sich bemüht, niemanden zu schaden“. Er habe „Unrecht getan“, hoffe im übrigen aber auf die Gnade und Vergebung der Gläubigen. Dennoch glaubte er, die Krise aussitzen zu können.

 

Während sich das offizielle Warschau und die polnische Kirche auf die feierliche Amtseinführung des geständigen Spitzel-Bischofs am Sonntag vorbereitete, beugte man sich im Vatikan erstmals über die Akte Wielgus’. Für Sonntag 11 Uhr war ein Tedeum für den scheidenden Erzbischof Glemp vorgesehen, danach sollte Wielgus feierlich inthronisiert werden.

 

Nur eine Stunde vor Beginn der Messe teilte der Vatikan mit, dass deer Erzbischof von Warschau „seiner Heiligkeit Benedikt XVI. seinen Rücktritt vom kanonischen Amt gemäß Kanon 401 Paragraph 2 des Iudex Canonici mitgeteilt hat“. Der Papst hatte Wielgus zum Rücktritt von dem Amt gezwungen, das dieser erst zwei Tage vorher übernommen hat.

 

„Gut, dass es Rom gibt“, kommentierte die liberalkatholische Tagezeitung „Rzeczpospolita“ anderntags.

 

Aus dem Tedeum für Glemp, der nun kommissarisch als Erzbischof weiter amtiert, wurde ein Hochamt über Sünde und Buße. „Nein, nein, nein!“ riefen Wielgus treue Schäfchen, als er verkündete, dass nun doch nichts aus seiner Hirtenrolle würde. Kardinal Glemp verteidigte Wielgus, dieser sei seinerzeit von einem brutalen Geheimdienst zur Kollaboration gezwungen worden. Auch Petrus habe seinen Herrn verraten, dennoch habe Christus ihm die Kirche überantwortet. „Wer ist ohne Sünde?“ Über Wielgus wurde „auf der Grundlage von Papierschnipsel und zum dritten Mal kopierten Dokumenten“ geurteilt, echauffierte sich der greise Altkardinal. „Solche Gerichte wollen wir nicht!“ Erstaunliche Sätze: Schließlich war es ja der römische Oberbischof, der auf Basis von „zum dritten Mal kopierten Dokumenten“ geurteilt hat.

 

Spätestens da war klar: Polens Kirche ist in einer schweren Identitätskrise. Ein tiefer Riss tut sich auf zwischen Warschau und Rom, aber auch zwischen den verschiedenen Lagern des klerikalen Lagers. Das Kirchenvolk ist in heller Aufregung. Und weil die Kirche, wie Jaroslaw Kaczynski, der Premier und Zwillingsbruder des Präsidenten Lech, anmerkte, in Polen eine „nationale Institution“ ist, markiert das Wielgus-Drama eine regelrechte „nationale Krise“.

 

Polens Kirche hatte sich seit jeher als Bastion des Polentums, der nationalen Widerständigkeit gegen Okkupanten verstanden. Ohne den Beitrag der Kirche wäre der zähe Widerstand gegen den sowjetisch oktroyierten Kommunismus nicht vorstellbar gewesen. Doch auch in den Jahrhunderten davor war das vielfach besetzte, geteilte, von der Landkarte getilgte Polen auf die Institution Kirche angewiesen, um seine nationale Identität zu behaupten. 90 Prozent der Polen sind Katholiken, 70 Prozent von diesen sind praktizierende Kirchgänger. Hinzu kommt: Polen ist immer noch rustikal geprägt, 15 Millionen Polen leben am Land in kleinen Dörfern. Da, wo die Uhren noch langsamer gehen.

 

Gerade weil die Kirche zu KP-Zeiten einen Freiraum für Andersdenkende zur Verfügung stellte, war sie für die Geheimdienste besonders interessant. Unter Konformisten musste ein totalitäres Regime keine Spitzel platzieren – viel gefragter waren Zuträger aus Dissidentenkreisen und der Kirche, der „Bastion der Freiheit“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

 

Zehn bis fünfzehn Prozent der Priester, so polnische Historiker, hätten heimliche Denunziantendienste geleistet. Bis in höchste Kirchenkreise sei die polnische Stasi eingedrungen. Ende der siebziger Jahre, enthüllte die Zeitung „Dziennik“ vergangene Woche, hätten sogar 12 Bischöfe aus der Bischofskonferenz berichtet. Angeblich war das Ziel der Staatsführung, genügend Agenten im höchsten nationalen Kirchengremium zu platzieren, um die Wahl des nächsten Primas beeinflussen zu können. Man wollte offenbar verhindern, dass auf den greisen Kardinal Stefan Wyszynski der bockige, antikommunistische Krakauer Kardinal Karol Wojtyla folgte.

 

Wie bekannt, hat sich das Problem dann anders gelöst – weil Wojtyla noch zu Lebzeiten Wyszynskis zum Papst avancierte.

 

Nach der Wende hatte die Kirche versucht, alle Debatten über die Verstrickung von Kirchenleuten abzuwürgen. Schließlich hatte der letzte KP-Innenminister 1990 versichert, alle Geheimdienstdokumente, die die Kirche betreffen, seien vernichtet worden. Doch wie sich nun herausstellt, existieren offensichtlich Kopien oder Mikrofilme der vernichteten Dokumente.

 

Mit schöner Regelmäßigkeit kommen darum hohe Würdenträger in die Schlagzeilen. Der Danziger Solidarnosc-Pfarrer Henryk Jankoski hatte unlängst die Liste mit den Namen jener zwanzig Leute veröffentlicht, die als Spitzel auf ihn angesetzt waren – darunter sechs Priester und ein Bischof. Vergangene Woche trat dann auch Janusz Bielanski, der Pfarrer der Wawel-Kathedrale, zurück, weil auch er offenbar Diener zweier Herren war. Auch dies ein Schock, schließlich ist Bielanski ein enger Freund des Krakauer Kardinals Stanislaw Dziwisz, der wiederum einer der intimsten Vertrauten von Papst Johannes Paul II. war.

 

Pikant ist das nicht nur, weil die Kirche die angesehenste Institution Polens ist, sondern auch, weil es eigentlich das klerikalkonservative Lager ist, das immer wieder die Abrechung mit der „kommunistischen Vergangenheit“ fordert. Das ist nun tief gespalten – in jene, die Bischof Wielgus als verdammenswürdigen Kollaborateur betrachten und jene, die ihn als Opfer einer kirchenfeindlichen Kampagne sehen. Halb erstaunt, halb belustigt, stellte die liberale Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ angesichts des harten Kerns der Gläubigen, die treu zu Wielgus stehen, fest: „Sie verteidigen den Erzbischof gegen den Papst.“

Interview:

"Polnische Reformation"

Der Publizist Adam Krzeminski über die Krise der polnischen Kirche.

profil: Wie ist die Stimmung unter Polens Katholiken?

Krzeminski: Zunächst gibt es natürlich weitgehende Zufriedenheit, dass
Stanislaw Wielgus sein Amt als Erzbischof aufgeben musste. 67 Prozent der
Polen fanden das richtig. Die Anderen sind emport uber die Art der medialen
Einmischung in das Innenleben der Kirche. Wie auch immer, es ist in gewissem
Sinne die erste demokratische Abstimmung über einen Bischof. Manche sprechen
direkt davon, dass der polnischen Amtskirche wenn nicht eine Art
"Reformation", dann sicher eine Reform bevorstehe.

Aber ist die Kirche nicht als Institution beschädigt?

Krzeminski: Ja und nein. Viele sagen nun in zahlreichen TV-Debatten, sie
seien gläubig, aber können sich in dieser Kirche nicht wiederfinden, weil
sie zu autoritär sei. Die anderen entgegnen ihnen, eine Kirche, die nicht
autoritär ist, ist keine Kirche – und wollen jetzt mit den liberalen
Katholiken abrechnen. Die Debatte wird recht kontrovers gerfuhrt. Aber das
muss noch kein Schaden für die Kirche
sein.

Gibt es einen Riss zwischen der polnischen Kirche und dem Vatikan?

Krzeminski: Es gibt sicher eine Verstörung, weil die polnische Amtskirche
Wielgus’ Verstrickung verheimlicht hat. Man weiss zwar nicht, wie gravierend
die Geheimdienstmitarbeit Wielgus wirklich war, aber man weiss, dass die
polnische Bischofskonferenz dem Papst nicht reinen Wein eingeschenkt hat.
Das andere ist die klare Forderung nach einem Generatiuonswechsel in der
Kirche: Man hört jetzt immer öfter, „die polnische Kirche wird von Greisen
regiert “. Auch im polnischen Katholizismus gibt es liberale Strömungen.
Unter Polens legendärem Primas Wyszynski, der selbst konservativ und
gegenüver "westlichen Novitäten" misstrauisch war, gab es recht starke
liberale Strömungen. Sie haben jetzt keinen Rückenwind, sind aber in den
Debatten praesent.

Dieses liberale Polen wird heute im Westen kaum wahrgenommen, da herrscht
das Bild des seltsamen Landes vor, erzkatholisch, von zwei schrulligen
Zwillingen regiert.


Krzeminiski: Das ist alles viel komplizierter. Auch die Kaczynski-Zwillinge
sind nicht so eindimensional. Sie haben eine ähnliche Strategie, wie sie
Franz-Josef Strauß einst in Bayern hatte: Rechts von uns darf es nur mehr
die Wand geben. Sie sind damit erfolgreich. Die Frage ist, ob sie es
schaffen, sich auch in die rechtsliberale Mitte zu öffnen.

Aber im Westen setzt sich das Klischee von den bigotten, seltsamen Polen
durch. Wie reagieren die darauf?

Krzeminiski: Die können sich – wieder einmal – darin nicht wiedererkennen.
Als hätte man ihne eine Eselskapuze über den Kopf gezogen. Auf diesen
herablassenden Blick, der den Polen entgegenschlägt, reagieren sie nicht
unähnlich wie die Österreicher auf die berühmten EU-Sanktionen im Jahr 2000.
Auch die, die Haider nicht gewählt hatten, fanden es bekanntlich etwas
überzogen, dass man ihr Land als Hort finsteren Faschismus darstellte. Die
psychologische Reaktion der Polen ist ähnlich. Um das deutlich zu sagen: Das
rechte und politisch-klerikale Lager hat nicht viel mehr als 30 Prozent der
Polen hinter sich. Nur ist die Opposition dagegen noch sehr amorph.

Und die Kirchenleute selbst? Sind die jetzt in einer Schocklähmung?

Krzeminiski: Nein. Die Sache ist ja nicht so neu. Der Eklat um Wielgus hat
natürlich für enorm viel Aufsehen gesorgt, aber die Tatsache, dass es
innerhalb der Kirche Geheimdienstkonfidenten gab, ist nun wirklich keine
Überraschung mehr.

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