Folterepidemie am Nil

In Ägypten wird seit Jahren systematisch gefoltert. Videos von Misshandlungen, von einem mutigen Blogger verbreitet, stoßen nun eine kritische Debatte an.

profil, 19. 2. 2007

 

 

Schon vor knapp einem Jahr musste Wael Abbas einige Wochen untertauchen. Die Polizei und die Geheimdienste waren ihm auf der Spur. Die Vorwürfe lauteten: Anstiftung zu Demonstrationen, Beleidigung des Präsidenten, Angriff auf Polizeikräfte. „All das soll ich mit meiner Kamera und dem PC gemacht haben?“, fragte Abbas seinerzeit schmunzelnd.

 

 

Bereits damals war Abbas einer der renommiertesten unabhängigen Blogger Ägyptens, der auf seiner Webpage die unangenehmen Wahrheiten dokumentierte, die in den normalen Zeitungen, die alle mehr oder weniger unter Regierungskuratel stehen, nicht zu lesen waren. Doch heute ist Abbas eine Berühmtheit: der Mann, der Glasnost an den Nil brachte. Denn er hat den Beweis erbracht, dass in ägyptischen Polizeistationen gefoltert wird. Und Abbas Website wurde derart populär, dass mittlerweile auch normale Massenblätter über Misshandlungen berichten, das Innenministerium eine Untersuchung einleitete und Polizisten vom Dienst suspendiert wurden.

 

Die Sache war kurios und begann mit der Verhaftung des Minibus-Chauffeurs Eimad al-Kabir. Der wurde, weil er keine Schmiergelder bezahlen wollte, von Polizisten schwer gefoltert. Seine Häscher fühlten sich so sicher, dass sie die Szene mit ihrem Handyvideo aufnahmen: der junge Mann, an Händen und Füßen gefesselt, mit nacktem Unterleib, an den Beinen im Türrahmen aufgehängt. Polizisten, wie sie ihm einen Holzpflock in den After rammen. Das Kreischen, die Schreie des Gefolterten. Todesangst, Qualen, Erniedrigung. Das Video sendeten die Polizisten an andere Minibusfahrer: zur Abschreckung. Botschaft: Das blüht jedem, der nicht kooperiert.

 

Das Video zirkulierte und erreichte irgendwann auch Blogger Abbas. Der stellte es auf seine Homepage, lud es auf seinen Youtube-Account – und trat eine Lawine los. Zehntausende klickten das grausliche Dokument an. Andere Blogger übernahmen die Story. Immer mehr Ägypter schickten Abbas Kurzvideos von Polizeiwillkür, Übergriffen und Misshandlungen, die meisten verwackelte Dateien, aufgenommen mit dem Videohandy. Nach und nach lud er sie hoch. Bis auch die „offizielle“ ägyptische Öffentlichkeit die Sache nicht mehr ignorieren konnte. Die Folter in den Polizeigefängnissen ist jetzt kein Tabu mehr. Sogar al-Dschassira sandte eine Reporterin ins Land, um über die Missstände zu berichten – ihr wurde bei ihrer Ausreise am Flughafen allerdings das gesamte Filmmaterial abgenommen.

 

Eine regelrechte „Folter-Epidemie“ gäbe es im Urlauberparadies am Nil, so die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“. „Folter ist in Ägypten systematisch“, sagt Magda Adly, Leiterin des Nadim Zentrums, das Folteropfer medizinisch und juristisch betreut. Das Regime habe in den achtziger Jahren grünes Licht gegeben: linke Revolutionäre und Islamisten durften gefoltert werden. Nach und nach brachen die Dämme. Heute wird jeder Kleinkriminelle gequält, auch wer irrtümlich oder wegen einer Petitesse in Polizeigewahrsam kommt, wird erst einmal vorsorglich getreten und geprügelt. Das spart den Polizisten Mühe: So kommen sie schneller zu Geständnissen als mit langwierigen Ermittlungen. Immer wieder sterben Opfer unter der Folter – wie jüngst ein 18jähriger, der festgenommen wurde, weil er Zoff mit seinem Nachbarn hatte.

 

Nach den Anschlägen von Dschihadisten auf den Badeort Scharm El Sheich wurden auf der gesamten Sinaihalbinsel 3000 Menschen verhaftet – gewissermaßen auf gut Glück. Viele wurden wahllos gefoltert. Wie sicher sich die Polizisten fühlten, zeigt der Umstand, dass sie selbst mit den Videos prahlten und sie zur Einschüchterung verbreiteten.

 

Damit ist nun für’s erste einmal Schluss. Der identifizierte Folterpolizist wurde suspendiert und soll demnächst vor Gericht kommen. Die Tat eines Einzelnen, wiegelt das Regime ab. Aber die Polizisten wissen, dass sie auf der Hut sein müssen. Im Hightech-Zeitalter bleibt vieles, was früher noch unter den Teppich gekehrt worden wäre, nicht mehr geheim.

 

Ein Happy End also? Nicht ganz. Denn einen Urteilsspruch gab es bereits in der Causa. Das Folteropfer, Minibusfahrer Eimad al-Kabir wurde unlängst zu drei Monaten Haft verurteilt – weil er sich angeblich der Staatsgewalt widersetzt habe.

 

Ein lupenreiner Racheakt.

 

Webtips:

Der Weblog von Wael Abbas:

Wael Abbas Videos auf Youtube:

Viele Hintergründe zur Anti-Folter-Kampagne in Ägypten gibt eshier: /

Polizeiübergriffe in autoritären Regimes weltweit dokumentiertGlobal-Voice:

 

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