„Wer hoch fliegt, stürzt tief“

Heute – Donnerstag – wird Tony Blair eine Kabinettsitzung besonderer Art leiten. Er wird im Cabinett Office von Downing Street 10 seine Ministerkollegen empfangen und ihnen seinen Rücktritt als Premier mitteilen, mitsamt dem exakten Datum, an dem er sein Amt an seinen Nachfolger übergeben wird. Dann wird er die Regierungssitzung verlassen, in seinen Wahlkreis reisen und dort seinen Entschluss öffentlich verkünden.  Damit geht eine Ära zu Ende. Blair begann als Hoffnungsträger. Und geht als große Enttäuschung. Dabei kann sich seine Bilanz sehen lassen. Tony Blair – eine moderne Tragödie. profil, 7. Mai und taz, 10. Mai 07

 

 

 

Man kennt diesen Ort aus dem Fernsehen. Man sieht ihn so häufig wie den Rosengarten des Weißen Hauses oder die Empore des Elysee-Palasts. Ein kleines Haus mit einer kleinen Tür, in der Mitte ein schwerer Metallknauf, mit dem man klopfen kann. Downing Street 10, der Amtssitz des britischen Premierministers. Seit ziemlich exakt zehn Jahren, seit 2. Mai 1997 residiert hier Tony Blair als Regierungschef. Heute wird er seinen Abgang als Labour-Chef verkünden und einen Termin für seinen Rücktritt als Premier nennen. Der Rest ist geordnete Übergabe.   

 

Als er, damals 44 Jahre alt, ins Regierungsamt einzog, war er ein Hoffnungsträger. Blair war so etwas wie der Kennedy der neunziger Jahre: smart, energiegeladen, einer, der etwas wollte, der versprach, die Welt ein Stück besser zu machen und dem man das irgendwie auch abnahm. Zehn Jahre später hat er beinahe alle Hoffnungen enttäuscht. Gewiss, fast jedes Politikerleben ist, vom Ende her betrachtet, auch ein Scheitern. Aber wer viel verspricht, scheitert auch grandioser. Einfach, weil die Fallhöhe größer ist.

 

Downing Street 10, Mai 1998. Es ist ein strahlender Frühjahrstag, als ich zum Interviewtermin mit dem Premier bestellt bin. Der hatte eben sein erstes Jahr hinter sich gebracht. „Blairs Year“, wie es das US-Magazin „Newsweek“ nannte. Wir sitzen im sonnendurchfluteten Cabinet-Room, wo ansonsten die Regierung tagt. Blair war das Role-Model eines modernen Sozialdemokraten. Deutschlands Kraftmensch Gerhard Schröder, Wiens trauriger Viktor Klima – alle wollten sie wie Blair sein. Und Blair wollte mehr als bloß Premier der Briten sein. Er wollte die Sozialdemokraten mit Markt, Liberalismus und Globalisierung aussöhnen. Mit seinem „Lächeln aus rostfreiem Stahl“ (so der US-Autor Joe Klein) und seiner bubenhaften Art verkörperte er Optimismus. Mit viel Verve trommelte er für einen „Dritten Weg“ zwischen sozialdemokratischer Staatsfixiertheit und neoliberalem Marktfundamentalismus. Gewerkschaftern und altgedienten Labour-Funktionären rief er zu: „Modernize or die – modernisiert Euch, oder stirbt“.

 

„Gibt es wirklich ein Blair-Modell für die Sozialdemokratie? Und wie fühlt man sich als Ikone?“, fragte ich ihn. Blair lachte. „Es wird schon noch weniger Erfreuliches auf mich zukommen. Wer hoch fliegt, stürzt tief“, um dann gleich wieder ernst zu werden, auf seine fast biedere, predigerhafte Ernstheit. Angesichts des massiven Wandels der Welt gäbe es „nur drei mögliche Positionen. Die erste, die viele der alten Linken vertreten haben, ist: Bekämpft den Wandel! Die Haltung der Konservativen ist: Der Wandel passiert, was immer man tut. Unser ‚dritter Weg’ ist, dass man die Menschen auf den Wandel vorbereiten muss, etwa, indem man in Ausbildung und Infrastruktur investiert.“

 

Blair hatte Charisma, aber er war auch überzeugend, weil er eine Idee hatte. Wenn sich die Welt ändert, ist es doch einfach unvernünftig, alten Gewissheiten nachzutrauern. Dass er seine Partei in die Mitte rückte, war die Basis seines Erfolges. Weil er instinktiv wusste, dass die Kehrseite der Modernisierung die Substanzlosigkeit sein würde, wollte er sein Mittelwegs-Projekt mit einer Art Theorie, einem Weltbild aufpeppen.

 

Blairs tiefer Fall begann erst später, als er Großbritannien 2003 an der Seite der Bush-Regierung in den Irakkrieg führte – mit den Medienmanipulationen, dem Getrommle über die irakischen „Massenvernichtungswaffen“, die niemals gefunden wurden. Seither hielt die Mehrheit der Briten ihren Premier für einen „Lügner“. Nie wieder konnte er sich davon erholen. 2005 wurde Labour trotz, nicht wegen Blair wieder gewählt. Dass er seine Karriere mit einer falschen Entscheidung ruinierte, halten manche für „die Tragödie des Tony Blair“, wie das das US-Magazin „The Atlantic“ formulierte.

 

Der Strahlemann, der sich mit einem Fehler alles kaputt machte – diese Deutung wäre freilich etwas zu holzschnittartig. Das Paradoxe an Blair war, dass er schon am Höhepunkt seiner Erfolge stets an der Grenze zum Scheitern stand. Seine Stärken waren immer auch gleichzeitig seine Schwächen. Als Schüler war er ein begnadeter Schauspieler, später machte er eine Karriere als Anwalt. Beides prägte den Politiker Blair. Er setzte seine Argumente punktgenau wie ein guter Advokat, und er wusste das Publikum auf seine Seite zu ziehen wie ein guter Mime. Nur galt er deshalb schnell als Blender, als eine Art politischer Filou.  

 

Aber Blair war auch ein Mann der Widersprüche. Für seine Gegner galt er von Beginn an als Mann ohne Prinzipien, sein Kurs als „Opportunismus mit menschlichem Antlitz“, wie das der Historiker Tony Judt einmal formulierte. Dabei war Blair auch ein Kämpfer. Zur Hochform lief er auf, wenn er gegen seine eigene Partei kämpfte. Kritiker sahen in ihm den Prototyp des Politikers, der nur auf Meinungsumfragen schielt – aber als es um den Irakkrieg ging, kümmerte er sich nicht um die Volksstimmung. Mehr noch: Die Mehrheit seines Kabinetts war gegen den Krieg, Gerüchten zufolge sogar Blairs Frau.

 

Mit vorschnellen Urteilen wird man so einem nicht gerecht. Heute sind sich alle sicher: Blair, das ist ein Politiker ohne Substanz, aber ein glänzender Verkäufer, der das Politik-Verkäufertum mit seinen Spindoctoren zur Meisterschaft brachte. Dabei ist eher das Gegenteil richtig. Auf lange Sicht bescherte ihm sein Polit-Marketing eine schlechte Presse, und die Erfolge seiner Politik hat er miserabel verkauft.

 

Denn eigentlich kann sich seine Bilanz sehen lassen. Wirklich gescheitert ist er nur an seinem großen Ziel, Großbritannien in die Euro-Zone zu führen. Aber sonst? Die Wirtschaft brummt, 2,5 Millionen neue Arbeitsplätze sind in Blairs Amtszeit geschaffen worden. Er legte ambitionierte Sozialprogramme auf, etwa für jugendliche Arbeitslose. Heute liegt die britische Arbeitslosenrate auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren. Zukunftslose Kids bekamen Job oder Ausbildung. Für alleinerziehende Mütter gibt es Childcare-Kredite, für Kleinverdiener allgemein eine negative Einkommenssteuer und mehr Kinderbetreuungplätze – dieser "New Deal für Lone Parents" gab vielen jungen Frauen buchstäblich ihr Leben zurück und hob die Beschäftigtenrate merklich. Und das "Sure-Start"-Programm hat über eine Million Kinder aus der Armutszone bugsiert.

 

Sieben Jahre lang hatte er höhere Zustimmungsraten, als je ein britischer Premier vor ihm. Erst Blairs tiefer Fall mit dem Irakkrieg beendete den Honeymoon jäh. Wobei auch hier die Besessenheit, die Nachrichtenlage, den Spin, zu kontrollieren, erst das Debakel perfekt machten. Man erinnere sich nur an die Affäre um den Suizid des Biowaffenexperten David Kelly, der Selbstmord beging, weil er als Hauptquelle der BBC enttarnt wurde, in dem davon die Rede war, die Regierung habe Geheimdienstberichte „aufgebauscht“. Hätte damals Blairs Spin-Doctor Alisdair Campbell dem frühmorgendlichen Bericht nicht weiter beachtet, wäre er schnell in der Fülle anderer halbwichtiger Nachrichten untergegangen. Erst durch die aggressive Gegenstrategie wurde daraus ein Fiasko, von dem sich Blair nicht mehr erholen konnte.

 

Heute ist seine Labour-Party froh, dass sie ihren Premier los ist. Er hinterlässt seine Partei derangiert. Gerade 27 Prozent der Wähler stimmten bei den jüngsten Regionalwahlen für Labour, satte 41 Prozent für die Torys. „Ein hervorragendes Sprungbrett“, für seinen Nachfolger sei das, sagte Blair – und machte dazu ein völlig ernsthaftes Gesicht. Er ist immer noch ein guter Schauspieler. 

 

Gordon Brown wird als Nachfolger wohl auch deshalb problemlos installiert werden, weil eine Kultur der Angst das Parteiklima vergiftet hat. Wer es wagte, gegen Blair aufzumucken, wurde als Parteifeind angegriffen. Blairs Klüngel führte einen „leninistischen Regierungsstil“ (Guardian) ein. Angst war das Bindemittel auf allen Ebenen. Blairs Führungscrew war förmlich besessen von der Angst, Labour würde wieder von der Macht weggefegt, wenn die Partei nicht einheitlich auftrete – Funktionäre und Mandatare fürchteten sich wiederum vor dem Disziplin- und Kontrollregime der Führung. Und dieses Regime wirkt weiter.

 

Das ist einer der Gründe, warum niemand gegen Brown anzutreten wagt, obwohl es allgemein als Gewissheit gilt, dass der tiefgekühlte, charmefreie Holzklotz Brown wohl nur schwer die Partei aus ihrem Tal führen kann. Dabei ist weitgehend unbestritten, dass Brown einer der fähigsten Finanzpolitiker der Gegenwart ist und die meisten wirtschafts- und sozialpolitischen Fortschritte, die während Blairs Ära erzielt wurden, auf sein Konto gehen.

 

So verabschiedet sich Blair als seltsamer Gescheiterter. Als einer, dem vieles gelungen ist. Der seine Erfolge zu wenig herausstrich. Der für seine Misserfolge in Erinnerung bleiben wird. Ein bisschen kurios ist das schon. Drei Mal wurde Blair mit satten Mehrheiten gewählt: 1997, 2001, 2005. Er wurde nicht abgewählt, und auch nicht von seiner Partei gestürzt. Noch seinen Abgang darf er selbst orchestrieren – ein Privileg, das weder Margaret Thatcher noch Winston Churchill vergönnt war.

 

Nicht wenige Politiker würden sich wünschen, so zu scheitern.

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