„Alte antisemitische Klischees“

Michael Friedman, Anwalt und TV-Moderator, über das Spiel mit judenfeindlichen Stereotypen und den Glauben an die Macht der „Israel-Lobby“. profil 10. September 2007

profil: Das Buch „Die Israel-Lobby“ hat eine heftige Debatte ausgelöst. Ist an den Vorwürfen, dass die Lobby-Gruppen die US-Politik negativ beeinflussen, etwas dran?

Friedman: Das sind typische antisemitische Stereotype. Seit Jahrhunderten versucht man regelmäßig eine jüdische Weltverschwörung zu konstruieren. Dieser Mythos ist so alt wie der Antisemitismus selbst. Das wird nicht besser, wenn sich das als pseudowissenschaftliche Studie tarnt.

profil: Aber sagen das die Autoren wirklich? Sie behaupten doch, dass die Israel-Lobby genau so funktioniert wie das generelle Lobbying in Washington, nicht anders als zum Beispiel die Agrarlobby.

Friedman: Sie sagen schon mehr. Sie insinuieren, dass der amerikanische Präsident  in Abhängigkeit von einer jüdischen Lobby letztlich die Interessen Amerikas hintan und die Israels in den Vordergrund stellt. Das bedient assoziativ die Ressentiments und Stereotype. Und die Schlussfolgerungen in dem Buch sind einfach falsch. Dass der Irakkrieg im Interesse Israels gewesen sei, ist eine These, die wirklich fragwürdig ist. Die Eindimensionalität des Buches ist mit den Händen zu greifen.

profil: Aber dass es proisraelische Pressure-Gruppen gibt, ist ja weder zu bestreiten noch schlimm.

Friedman: Natürlich, aber es gibt im Wettbewerb eine unendlich größere arabische Lobby. Dass diese Lobbys aktiv ihre Ziele verfolgen, ist Normalität im amerikanischen politischen Prozess.

profil: Die Macht der Israel-Lobby wird also übertrieben?

Friedman: Wäre es nur das. Aber die Autoren arbeiten mit subtilen Unterstellungen. Sehen sie, selbst wenn sich eine dieser Lobbygruppen wirklich nur ausschließlich für die israelischen Interessen einsetzt, so bleibt der amerikanische Jude, der das tut, in erster Linie Amerikaner. Aber es wird insinuiert, dass er die Interessen Israels über die der USA stellt. Das bedient das alte antisemitische Klischee von der doppelten Loyalität der Juden. Ich, beispielsweise, bin ein engagierter deutscher Jude, der sich leidenschaftlich für die Interessen Israels einsetzt, aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das auch im Interesse Deutschlands ist – weil die Länder der westlichen, freien Welt gemeinsame Interessen haben.

profil: Die starke Unterstützung Israels durch die USA kann aber dennoch den Effekt haben, dass sich die Hardliner in Israel zu sicher fühlen. Das ist es letztendlich, was die Autoren behaupten. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Friedman: Einspruch! Das bestreite ich. Erstens ist es im Interesse der USA, die einzige Demokratie im Nahen Osten, also Israel, zu unterstützen. Zweitens hat Amerika immer darauf gedrängt, dass Israel den Konflikt mit den Palästinensern friedlich beilegt. Eine Reihe von US-Regierungen haben auch Druck auf Israel ausgeübt. Sie haben aber, anders als die Europäer, erkannt, dass die Schuld nicht nur  auf Seite Israels liegt, sondern dass viele arabische Kräfte gar kein Interesse an Frieden haben.

profil: Das heißt, wenn die Lobby so mächtig wäre, hätten George Bush Senior und Bill Clinton keinen Druck auf Israel ausüben können?

Friedman: Natürlich. Aber auch die „Road-Map“, die der gegenwärtige Präsident George W. Bush skizziert hat, hat den Hardlinern in Jerusalem nie gefallen.

profil: Warum häufen sich gerade jetzt die Vorwürfe gegen die proisraelischen Gruppen in den USA?

Friedman: Da gibt es viele Gründe. Manche haben, weil sie andere Interessen vertreten, die Absicht, die jüdische Lobby zu schwächen. Es gibt auch einfach eine lebhafte Debatte darüber, wie denn die amerikanische Nahostpolitik aussehen soll. Diese Debatte ist mehr als notwendig. Aber man sollte sie führen, ohne Vorurteile zu reaktivieren. Man wird nicht weiterkommen, wenn man dieses unterschwellige Spiel mit Klischees spielt – dass Juden nicht loyal seien oder keine guten Patrioten.

profil: Ist eigentlich schon die bloße Rede von einer „Israel-Lobby“ ein Spiel mit diesen Klischees?

Friedman: Nein, es gibt eine Israel-Lobby, wie es eine arabische Lobby oder auch eine deutsche Wirtschaftslobby in Amerika gibt. Das ist eine Tatsachenbehauptung, die stimmt und völlig wertfrei ist. Das Problem beginnt dann, wenn das mit Bildern aufgeladen wird, die suggerieren, dass der Jude zu viel Macht hat. Genau solche Stereotype  werden mit dem Buch „Die Israel-Lobby“ aktiviert. Damit diskreditieren sich die Autoren selbst.

Interview: Robert Misik

Michel Friedman, 51, eloquenter Anwalt und TV-Moderator, war bis 2003 Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses.

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