Konsens ist Gift!

Chantal Mouffe über den Blairismus nach Blair, die Irrtümer der modernistischen Sozialdemokratie und den Fluch der Mittelwege. Falter, 17. Oktober 2007

Konsens ist Gift!

 

Chantal Mouffe über den Blairismus nach Blair, die Irrtümer der modernistischen Sozialdemokratie und dem Fluch der Mittelwege.

 

Chantal Mouffe ist eine der führenden "postmarxistischen" Theoretikerinnen. Fast schon Kultstatus in Kreisen des Radical Chic hat ihr gemeinsam mit Ernesto Laclau verfaßtes Buch "Hegemonie und radikale Demokratie" (Passagen 1991), eine Art Gründungsdokument des "postindustriellen" Marxismus. Eben erschien von ihr im Suhrkamp-Verlag ihr Buch Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion“. Mouffe, geboren 1943 in Belgien, lehrt an der Universität Westminster. Kommenden Donnerstag ist sie zu Gast in der Reihe „Genial dagegen“, die vom Kreisky-Forum in Kooperation mit dem „Falter“ veranstaltet wird.

 

Sie formulieren seit Jahren theoretische Kritik an der Theorie des „Dritten Wegs“, an den Blairisten in der Europäischen Sozialdemokratie. Ist der „Dritte Weg“ mit dem Wechsel von Blair zu Gordon Brown am Ende?

 

Mouffe: Na, ich kritisiere ja nicht ein spezifisch britisches Phänomen. Ich kritisiere eine Strömung, die heute in den fortgeschrittenen liberalen demokratischen Gesellschaften dominant ist. Die Idee, dass wir nach dem Fall des Kommunismus in einer Welt ohne Antagonismen leben und hier im Westen einen Konsens der Mitte haben. Die Mittelwegsideologie von New Labour hat das nur theoretisiert. Und dass jetzt Gordon Brown das Erbe Tony Blairs antritt, ändert daran nicht viel. Er war einer der Architekten von New Labour.

 

Trotzdem kann er erkannt haben, dass die Zeit dessen, was die Franzosen „Einheitsdenken“ nennen, vorbei ist…

 

Mouffe: Wir sollten nicht zu viele Änderungen erwarten. Natürlich, in einzelnen Fragen kann er signifikant von Blair abweichen. Aber nicht in zentralen Fragen. ‚Es gibt keine Alternative zum liberalen Kapitalismus’, das ist die konsensuale Auffassung dieser sozialdemokratischen Strömung. Wenn man das einmal akzeptiert, kann man nur mehr verwalten. Das ist mein zentraler Kritikpunkt.

 

Warum eigentlich?

 

Mouffe: Weil demokratische Politik Alternativen braucht, kann ohne Parteilichkeit nicht existieren. Wenn ich den Menschen die Möglichkeit nehme, zwischen starken Alternativen zu wählen, dann nehme ich ihnen auch die Möglichkeit, sich mit politischen Projekten zu identifizieren, und dann öffne ich der allgemeinen Passivität das Tor, aber auch rechten populistischen Bewegungen.

 

Das ist der Preis für die Auffassung, dass der liberale Kapitalismus die Beste aller Ordnungen ist. Aber abgesehen davon: Ist er nicht die Beste aller Ordnungen?

 

Mouffe: Das kann man wohl nicht wirklich behaupten. Nehmen wir nur den Klimawandel. Das Problem wird ohne gravierende ökonomische Transformationen nicht gelöst werden können. Ich möchte hier nur eines schon mal klarstellen: Ich bin nicht gegen Globalisierung. Es macht keinen Sinn, gegen Globalisierung zu sein. Es kann nur nicht so sein, dass es nur ein Modell für Globalisierung gibt. Es gibt viele Modelle in einer multipolaren Welt. Auch der Kapitalismus ist kein Monolith. Es gibt viele, viele Varianten der Regulierung.

 

Es ist eine Sache, zu sagen, ohne Alternative wird Politik entpolitisiert. Eine viel schwierigere ist es schon, zu sagen, was Alternativen sein könnten.

 

Mouffe: Klar. Das ist der Kern unserer politischen Krisen. Die Sozialdemokratien und die bisherigen linken Parteien sind ausgefallen. Aber sie sind ausgefallen, weil sie sich zu sehr dem Dogma gebeugt haben, dass es einfach keine Alternative gibt. Deshalb kritisiere ich Theoretiker wie Anthony Giddens und Ulrich Beck. Sie analysieren nicht nur die „postideologische Welt“, sie sagen auch noch, das ist eine gute Sache.

 

Diese Theorien stellen also erst her, was sie analysieren? Sie sind in Wirklichkeit das Problem?

 

Mouffe: Genau. Und sie sagen, dass wir in einer konsensualen Welt leben sei ein Fortschritt für die Demokratie. Dabei ist exakt das Gegenteil der Fall.

 

Einspruch! Die sozialdemokratischen Modernisierer sind doch keine bösen Leute, sie reagieren doch nur auf den Fakt, dass die alte Basis weg gebrochen ist und dass sie sich ihre Stimmen bei dem breiten Block der Mittelklassen holen müssen.

 

Mouffe: Nein! Die Parteiführer identifizieren sich mit der Mittelklasse. Aber das ist doch soziologisch ganz falsch, dass es keine Unterprivilegierten mehr gibt. Nur, die Probleme der einfachen Volksschichten werden politisch nicht mehr repräsentiert – außer, auf pervertierte Form, von den Rechtsradikalen. Diese Mittelwegstheorien haben zu einer regelrechten Krise der Repräsentation geführt. Es braucht eine neue Allianz der Mittelklassen mit den Unterschichten. Das wäre die Aufgabe der Sozialdemokratie. Und nicht, einfach einer imaginierten Mittelschicht nachzurennen.

 

Chantal Mouffe in der Reihe „Genial dagegen“: Donnerstag, 18. Oktober 2007, 19 Uhr. Kreisky-Forum für internationalen Dialog, Armbrustergasse 15, 1090 Wien

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