Gott schütze uns vor der Rückkehr der Religionen

Untenstehenden Beitrag schrieb ich auf Einladung des Jugendmagazins Chilli.cc. Wo er hier zu finden ist.

 
Mit der „Renaissance der Religionen“ kehrt auch die Frage zurück, inwiefern Religionen politisch sind, und: ob die Präsenz der Religionen im politischen Raum eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Von religiöser Seite wird gerne die Unterscheidung zwischen der „schlechten“ Religiosität fundamentalistischer, radikaler Heißsporne und der moderaten, „lebendigen“ Religiosität moderner Gläubiger gemacht. Und gerne wird, wenn da aus christlicher Perspektive gesprochen wird, implizit oder explizit darauf verwiesen, dass die politische Verschärfung des Religiösen doch vor allem ein Problem des Islam sei.
 
Das ist gewiss nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz richtig. Zunächst nämlich sind alle Religionen in gewissem Sinne politisch: Sie haben eine Vorstellung von einem moralischen, sittlichen Leben, und wollen diese gesellschaftlich durchsetzen. Zunächst natürlich in ihren eigenen Reihen. Aber, sofern sie die Macht dazu haben, auch über diese hinaus. Sie haben bestimmte Moralvorstellungen – und sie geben sich natürlich nicht damit zufrieden, dass sie selbst nach diesen sittlichen Regeln leben, sie wollen, dass andere auch nach ihren sittlichen Regeln leben. Sie wollen ihre Vorstellungen anderen aufzwingen. Um das deutlich zu sagen: Auch das gewiss liberalistisch ausgedünnte westeuropäische Christentum versucht auf dem Gesetzeswege allen, auch den Nichtchristen, moralische Vorstellungen aufzuzwingen, die nur den Katholiken eigen sind. Religionen bestehen darauf, eine Gesellschaft, eine Lebensform als Ganzes zu strukturieren. Alle Religionen interferieren damit sehr schnell mit der Politik.
 
Nun ist natürlich schwer argumentierbar, warum sich gläubige Bürger nicht in die politische Debatte einbringen sollen – ihre „Meinungen“, die auf ihrem Glauben basieren, sind ja schließlich auch Meinungen der Bürger. Freilich sind es „Meinungen“, die meist von einer ausgesprochen vermachteten Organisation politisch repräsentiert werden, der Kirche nämlich, einer Organisation, die strenge Gefolgschaft fordert. Es sind auch „Meinungen“, die sich der demokratischen Auseinandersetzung mit anderen Meinungen nur bedingt aussetzen. Gegen Gegenargumente ist das religiöse Bewusstsein ja ebenso immun wie gegen Fakten. Ihr Sittengesetz ist ja schließlich das „Gesetz“ Gottes.
 
Das erklärt diese eigentümliche moralische Überlegenheitsrhetorik, die angeschlagen wird, wenn sich Gläubige zu politsch-ethischen Fragen äußern. Nehmen wir nur den Kampfbegriff, mit dem Papst Benedikt XVI. in sein Pontifikat gezogen ist – den Begriff des „Werterelativismus“. Relativismus ist für ihn Teufelszeug. Dabei ist erstens durchaus zu fragen, ob pluralistische Gesellschaften jenseits eines Grundsets an Normen nicht moralischen Relativismus brauchen („Du hast das Recht nach Deinen Vorstellungen zu leben, ich nach meinen, solange wir die Freiheit des anderen und die Menschenrechte achten“), zweitens aber wird implizit unterstellt, die religiöse Moral ist moralisch, die Moral der anderen ist gefährlich relativ.
 
Vor allem aber zieht ein Geist der Unbedingtheit und des Eiferertums ein, wenn die Religionen sich auf das Feld der Politik begeben – „Gut“ wird gegen „Böse“ gestellt. Jedenfalls gilt das für die großen monotheistischen Religionen, deren Ursprungsunterscheidung ja „wahr“ und „falsch“ ist („nur mein Gott ist der wahre Gott, alle anderen sind falsche Götter“). Ein pluralistisches Ethos ist ihnen nicht in die Wiege gelegt. Und ein demokratisches Ethos auch nicht: der Gott der Offenbarung ist ein Gott in der Höhe, der Mensch ist aus dieser Perspektive ein aufrechter Wurm, der sich seinem Schöpfer auf Knien nähern soll.
 
Es ist deshalb kein Wunder, dass sich mit dem Auftritt des radikalen Islam auf der Weltbühne in der Folge des 11. September 2001 Konflikte hochschaukelten, indem sie religiösisiert wurden. Plötzlich stehen „uns“ angeblich „die Muslime“ gegenüber, wohingegen „wir“ die „christliche Identität Europas“ verteidigen sollen. Besonders obskur: Noch die Demokratie, Liberalismus, Menschenrechte und Toleranz werden als Werte des „christlichen Abendlandes“ ausgegeben, als wären nicht alle diese Werte gegen die christlichen Autoritäten erkämpft worden. Menschen, was immer ihr Leben sonst noch ausmacht, werden auf ihre religiösen Identitäten reduziert, die Religion als primäre Quelle ihrer Identität angesehen. Das macht Konflikte, die ansonsten schon kompliziert genug sind, erst recht explosiv. Denn: Wenn Gott ins Spiel kommt, gibt es keine Kompromisse.
 
Gewiss haben Religionen auch ihre positiven Seiten: Sie geben den Menschen Zusammenhalt, stiften gelegentlich Solidarität zwischen Glaubensbrüdern, können Empathie begünstigen. Aber alles in allem wiegt das Positive das Negative nicht auf. Die moderaten Gläubigen sagen: Glaubt richtig. Ich sage: Besinnen wir uns endlich wieder darauf, die Religionen aus dem Öffentlichen und aus den gesellschaftlichen Diskursen raus zu halten. Gott schütze uns vor der Renaissance der Religionen.

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