Oooohbama!

Trotz des Rückschlags von Texas und Ohio: Die Welt feiert Barack Obama als Erlöser. So einer käme bei uns nie nach oben. Falter, 5. März 2008

 
 
Vor vier Jahren, er war da gerade vom Provinzpolitiker auf die oberste nationale Bühne gesprungen, da musste Barack Obama selbst lachen. „Was ist Ihre Rolle in der Geschichte?“, fragte eine Reporterin den jungen Neo-Senator – just bei seiner Antrittspressekonferenz.
 
Jetzt hat Obama seinen Platz in der Geschichte gefunden – und das, obwohl der US-Präsidentschaftkandidat noch nicht einmal gewählt ist. Als strahlender Herausforderer der Konservativen, als der erster Schwarze mit realistischen Chancen auf das höchste politische Amt in den USA, als Politiker, für den Amerikas demokratische Star-Elite schon jetzt „Yes we can“ singt. Ob in der proppenvollen Arena von Houston, Texas, oder in einer kleinen Halle in Providence, Rhode Island: Wo immer Barack Obama dieser Tage spricht, schier unglaublich ist die lässige, unaufdringliche Selbstsicherheit, mit der er auftritt. Er weiß, er hat das, was man „Momentum“ nennt. Es läuft gut für ihn. Und wer Erfolg hat, dem fliegt der Erfolg zu. Richard Sennett, der amerikanische Starsoziologe, braucht nicht lange nachzudenken, wem er seine Stimme gibt. „Obama, natürlich. Er hat etwas Magnetisierendes.“ Starschauspielerin Scarlett Johansson haucht genauso wie Bob Dylan-Sohn Jesse, Kate Walsh oder Herbie Hankock in Barack Obamas Wahlvideo ins Mikrofon, was sie von dem neuen Superstar erwarten: „Change“.
 
Es sieht sehr danach aus, dass Obama dieses Ziel erreichen könnte. In elf Vorwahlen hat der demokratische Präsidentschaftskandidat seine Gegnerin, die ebenfalls demokratische US-Senatorin Hillary Clinton, abgehängt, wenn auch nicht völlig besiegt. Strauchelt Hillary diese Woche auch bei den Vorwahlen in Texas und Ohio, (die Wahllokale öffneten bei Redaktionsschluss), ist sie praktisch aus dem Rennen.
 
Kaum jemand, der nicht angesteckt ist vom Obamafieber. Es ist, als hätte man einen wie Obama erwartet wie den Messias. In den USA ohnehin. Aber auch in unseren Breiten ist die Obamamania Ausdruck des grassierenden Frusts über das politische Personal. Man sieht: Politik könnte faszinierend sein. Selbst die Wiener SPÖ ist obamisiert. Bei ihrer Klubklausur im burgenländischen Rust warf sich Fraktionschef Christian Oxonitsch in die Obama-Pose und schmetterte in den Raum: „Yes, We Can“. Auch Christoph Chorherr, der Wiener Grüne, ist ganz ergriffen. „Es ist faszinierend. Man kann sich an Bush, obwohl der noch Präsident ist, fast schon nicht mehr erinnern. Und das nur wegen Obama.“ Nachsatz: „So jemand käme bei uns nie nach oben.“ Weil, die Apparate das zu verhindern wüssten, sagt Chorherr, der sich selbst oft am hiesigen Funktionärswesen reibt. Dabei reicht sie weit hinein ins Zentrum der politischen Klasse, die Obama-Begeisterung.
 
Wie sehr so eine Figur Europa fehlt, brachte der Spiegel auf den Punkt: „Wer ist der deutsche Obama?“ fragte unlängst Gabor Steingart vom Spiegel-Büro in Washington und gab sich gleich die ebenso böse wie deprimierende Antwort darauf: „Kurt Beck.“
 
Im Gegensatz zu seinem pfälzischen Pendant scheint Obama alles leicht von der Hand zu gehen. „The Natural“ – „das Naturtalent“ – nannte ihn das US-Magazin The Atlantic schon 2004 als Obamas Stern gerade erst aufging. Eben hatte er auf der Convention der Demokraten, die John Kerry zum Präsidentschaftskandidaten nominierte, eine grandiose Rede gehalten, die Begeisterungsstürme auslöste. Obama war damals gerade mal Senator im Oberhaus des Bundesstaates Illinois und kandidierte für den US-Senat in Washington. „Wir fürchten schon lange“, sagte seinerzeit bereits ein führender republikanischer Lokalpolitiker“, „dass Barack ein Rock-Star der amerikanischen Politik werden könnte“.
 
Obama erscheint wie ein Wunder, das über uns gekommen ist, irgendwie. Ein Wunderkind also? Er ist gewiss ein Jahrhunderttalent und dass er es so weit gebracht hat, ist eine so phantastische Geschichte, wie sie selbst in den USA rar sind. Geboren 1961 auf Hawaii, als Sohn eines Studenten aus Kenia, die Mutter eine 18jährige Weiße aus Kansas aus einfachen Verhältnissen, war ihm nicht gerade in die Wiege gelegt, es bis in die Top-Ränge zu schaffen. Der Vater ging nach Kenia zurück als Obama zwei Jahre alt war. Seine Kindheit verbrachte er zuerst mit seiner Mutter und deren zweitem Mann in Indonesien, später zogen ihn die Großeltern auf Hawaii groß. Der Großvater war einfacher Arbeiter in der Ölindustrie. Vielleicht ist das ein Schlüssel zu Obamas erstaunlichen Talenten: Er musste sich Zeit seines Lebens kulturell adaptieren, gehörte nirgendwo ganz dazu, als Afroamerikaner unter einfachen weißen Arbeitern, noch früher in Indonesien, entwickelte er schnell einen Instinkt dafür, wie andere auf ihn reagieren. Er war immer ein Insider und Outsider zugleich. Das machte ihn instinktsicher.
 
Obama war immer ein Glückskind. Aber er war auch immer extrem ehrgeizig. Darüber darf die erstaunliche Ruhe, die er ausstrahlt, nicht hinwegtäuschen. Er schaffte es an die Eliteschmiede von Harvard, und da kommt einer wie er nicht im Spaziergang hin. „Er war einer der Ambitioniertesten in seiner Klasse“ (Washington Post), wurde bereits als Novize Redakteur des Harvard Law Review, einer der renommiertesten juridischen Fachzeitschrift der USA. Schon im zweiten Studienjahr kandidierte er für den Präsidentenposten der Zeitschrift. Und gewann. Vor allem aus folgendem Grund: Unter mehreren linksliberalen Kandidaten war er jener, der die beste Gesprächsbasis mit konservativen Redakteuren hatte. Obama kultivierte damals, was heute eines der Geheimnisse seines Erfolges ist: Er war ein überzeugter „Progressiver“, der aber versprach, das Lagerdenken zu überwinden.
 
Nach seinem Abschluss ging er als Sozialarbeiter und Bürgerrechtsanwalt nach Chicago. Dort waren seine politischen Ambitionen derart ostentativ, dass man ihn scherzhaft „Gouverneur“ nannte. Der Afro-Amerikaner war so von sich überzeugt, erinnert sich ein Kollege, dass er sofort für das Amt des „King of the World“ kandidiert hätte, wäre es zur Wahl gestanden. Heute erscheint Obama als „das Phänomen“ (New York Review of Books), fast wie ein Nicht-Politiker, den es in die Politik geweht hat. Und als einer, der nun mit der Politiker-Politik aufräumt. Den neuen Bobby Kennedy nennt man ihn längst, weil seit Kennedys Wahlkampagne 1968 niemand die kollektiven Phantasien der Amerikaner so sehr beflügelte, als Messias und Rockstar zugleich gefeiert wurde.
 
Dabei war Obama in den neunziger Jahren ein ehrgeiziger, von sich selbst überzeugter, etwas arroganter Absolvent einer Elite-Universität, der das, was ihn heute so unwiderstehlich macht, erst erlernen musste. Edward McClelland, der schon Obamas erste Gehversuche auf der politischen Bühne verfolgte, hat im Onlinemagazin Salon beschrieben, „wie Obama lernte, ein politisches Naturtalent zu sein“. Als er im Jahr 2000 für den US-Kongress kandidieren wollte, musste er in den demokratischen Vorwahlen eine herbe Niederlage einstecken. „Wer meint, dass John Kerry im Jahr 2004 hölzern wirkte“, so McClelland, „der hat Obama im Jahr 2000 nicht gesehen“. Der hatte etwas von einem „pedantischen Schulmeister“. Erst nach dieser Niederlage habe Obama sich neu erfunden. Er habe es sich gewissermaßen antrainiert, „erfrischend anders“ zu sein.
 
Was jetzt wie ein politisches Mirakel erscheint, hat zwar etwas Phantastisches, ist aber auch ziemlich cool orchestriert. Obama hat eine „Kampagnen-Maschine geschaffen, die kraftvoll genug ist, die Clintons herauszufordern und zu gewinnen“ (Newsweek). Das sei auch Obamas Antwort auf den Vorwurf der Unerfahrenheit, schreibt Dick Morris, der legendäre Spindoktor Bill Clintons: „Der beste Beweis, dass Obama fähig ist, die Nation zu führen, ist sein Können als Kandidat.“ Obama habe alles richtig gemacht: Er habe sich nicht als schwarzer Kandidat präsentiert, sondern als Kandidat, „dessen Haut zufällig schwarz ist“. Er hat sich als Repräsentant einer „neuen Art von Politik“ positioniert, und als Hillary ihm seine Unerfahrenheit vorwarf, „hat er sie ausgekontert, in dem er sich zum Kandidaten des ‚Change’ erklärte“. „Wäre Obama ein guter Präsident?“, fragt Morris. „Wenn er nur halb so gut als Präsident ist wie als Kandidat, wäre er schon klasse.“
 
Obama ist nicht ganz anders als viele Politiker. Er hat nur dieses „it“, was ihn von anderen absetzt, das sich vielleicht auch nur noch nicht in jahrelangem Taktieren abgeschliffen hat. „Nur Präsident sein zu wollen, das reicht ja nicht“, sagte er unlängst einem Reporter des Rolling Stone, und fügte hinzu: „Man will doch ein großer Präsident sein.“
 
Das Obama-Phänomen, es ist mehr als nur der sagenhafte Aufstieg eines schwarzen Politikers, der hübsch aussieht, toll redet, und der, kaum dass er nationale Bekanntheit hatte, schon als „der nächste Präsident“ galt. Obama hat sich tritt- und instinktsicher als Politikertyp modelliert, wie ihn sich viele Bürger wünschen. Einer, der Klartext redet („Klar hab ich inhaliert, das war ja der Sinn davon“); einer, der inspiriert; einer, der beim Parteienhickhack nicht mitmacht und ein Ende der Polarisierung verspricht; einer, der im Fernsehen auf Fragen antwortet. Sogar einer, der Amerikas multikulturelle Identität repräsentiert, ohne dass mit der weißen Oberschicht-Kultur gebrochen werden müsste, und der auch viel seltener als die klassischen schwarzen Politiker an die Schande der Sklaverei erinnert. Und natürlich hat Obama auch ein wenig Glück: nach der Bush-Ära gibt es praktisch eine Gier nach Neuem. Auf Seiten der Republikaner gibt es keinen „Sitting President“ und auch keinen Vizepräsidenten, der nun gegen die Demokraten in den Wahlkampf geschickt wird.
 
Es liegt aber auch an den großen Vorzügen der amerikanischen politischen Kultur, dass es einer wie Obama nach oben schaffen kann. Gewiss, auch bei Demokraten und Republikanern gibt es Funktionärswesen und wer sich keine Netzwerke aufbaut, der hat alleine aus finanziellen Gründen keine Chance. Aber die Kandidatenkür ist immer ein Wettbewerb, bei dem zumindest ein Teil der Wähler von Beginn an mitentscheiden. Hierzulande ist das anders: Das Listen- und Verhältniswahlrecht ist zwar „demokratischer“ in dem Sinn, als es auch politische Minderheiten repräsentiert, dafür dürfen die Wähler nur zwischen einem Menü auswählen, das andere ihnen vorsetzen. Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzende werden eher ernannt als gewählt, und wer gut tricksen kann und viel Sitzfleisch hat, ernennt sich praktisch selbst.
 
So muss, wer sich begeistern lassen will, mal wieder über den Atlantik blicken. Übrigens: War nicht einmal von Antiamerikanismus die Rede?
 

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