Das Pathologische am Konvertitentum

Der Dramatiker David Mamet verkündet, dass er „kein hirntoter Linker mehr ist“. Hoffen wir für ihn, dass er kein hirntoter Rechter wird. Nimmt man die Präzedenzfälle, stehen die Chancen eher schlecht. taz, 26. April 2008

 
Es war eines jener Stücke, das das Zeitungen so ins Blatt heben, um die Stammleserschaft zu irritieren, zu verstören, ein wenig zu ärgern, das die New Yorker „Village Voice“ vergangenes Monat veröffentlichte. „Warum ich kein hirntoter Linker mehr bin“, war es überschrieben, und es stammt aus der Feder von David Mamet, dem erfolgreichen Theater- und Drehbuchautor. Mamet, der Autor von „Oleanna“, einem Stück über Geschlechterrollen, Sexismus und Hierarchien, das auch hierzulande ein Renner war, verkündet nun, dass er aufgehört habe, eine Progressiver zu sein und nunmehr ein Konservativer geworden sei. Damit reiht er sich ein in die schöne, lange Reihe des Konvertitentums. Im Grunde ist es ja so, dass es in den vergangenen fünfzig Jahren kaum einen Konservativen gab, der etwas zu sagen hatte, der nicht früher einmal ein Linker war.
 
Der Konvertit – oder wie man seinerzeit gesagt hätte: der Renegat – ist ja eine interessante Figur. Gewiss, für nicht wenige gilt, dass sie früher Linke waren, heute sind sie Rechte, eines aber hat sich nicht geändert – eine gewisser Hang zum Überdrehten. Es fallen einem da sofort Leute ein wie der Historiker Götz Aly, der gerade mit seiner schrägen These, dass die Achtundsechziger alle getarnte Nazis waren, durch die Talkshows tingelt – früher hielt er Mao-Tse Tung für den Erlöser der Welt. Oder der Berliner Sozialwissenschaftler Norbert Bolz, vor zwanzig Jahren noch einer der Jungstars der linken Philosophenzelle an der FU-Berlin, der heute findet, dass Frauen Hausfrauen sein sollen, statt zu arbeiten, denn alles andere sei gegen die „biologische Realität“. Der schreibt so wunderschöne Sätze wie: „Wenn die emanzipierten Frauen heute also kein Sexualobjekt mehr sein wollen, könnte ein unbefangener Beobachter fragen: was sonst?“
 
Es spielt da, wie im religiösen Konvertitentum, wohl das Obsessive hinein, das sich immer dann zeigt, wenn ein alter „Glaube“ gegen einen neuen „Glauben“ getauscht wird, der frömmlerische Eifer, mit dem zur Schau gestellt wird, dass man den neuen „Glauben“ auch tatsächlich, ohne jede Reservatio angenommen hat.
 
David Mamet ist nicht so ein Fall. Er habe sich, sagt er, seit Jahren von seinen linksliberalen Überzeugungen entfernt und das sei ihm erst deutlich geworden, als er an seinem Stück „November“ geschrieben habe, das im Herbst am Broadway rauskam, in dem ein konservativer Präsident und seine linke Redenschreiberin die Hauptrollen spielen. Bei der Arbeit daran sei ihm aufgefallen, sagt Mamet, dass er dem tragischen Realismus des Politikers näher stünde als dem Weltverbesserungs-Utopismus der Redenschreiberin; dass die „Unzulänglichkeiten eines Systems der freien Marktwirtschaft weniger schlimm sind als staatliche Interventionen“; dass der Staat sich aus dem Leben der Menschen raushalten sollte; und dass das nichts würde mit der moralischen Verbesserung der Menschen durch Sozialpolitik oder andere „perfektionistische“ Pläne linker Reformer. Mit einem Wort: David Mamet hat jenen Weg genommen, den eine ganze Kohorte anglo-amerikanischer Intellektueller in den vergangenen fünfzig Jahren genommen hat und die man heute die „Neo-Konservativen“ nennt.
 
Denn schon im Präfix „Neo“ steckt ja das Konvertitentum drin – sie wurden so bezeichnet, weil es sich bei ihnen um Konservative handelt, die nicht immer Konservative waren. Die Neocons waren die zweite Welle des Konvertitentums. Die erste war noch getragen von einstigen kommunistischen Radikalen, die in den dreißiger Jahren unter dem Eindruck des Stalinismus ihren Radikalismus aufgaben, aber meist Liberale oder Sozialdemokraten wurden – Leute, wie der große Stalinismus-Kritiker Arthur Koestler und andere. Die „Neocons“ dagegen waren meist unorthodoxe Linke – in ihren jungen Jahren Trotzkisten – die sich erst allmählich, in den sechziger Jahren dann schroff nach rechts bewegten. Ihr Schlüsselerlebnis war die Jugendrevolte der sechziger Jahre, der Ekel vor den Langhaarigen. Zentrale Figuren waren die Publizisten Irving Kristol und Norman Podhoretz. Sie sahen die „liberale kapitalistische Gesellschaft“ von zwei Seiten bedroht. Einerseits durch die bürokratische, gesellschaftsplanerische Attitüde des Wohlfahrtsstaates, andererseits durch die „nihilistische Gegenkultur“. Kristol: „Bloß, dass der liberale Kapitalismus den Nihilismus nicht als seinen Feind erkennt, sondern nur als eine neue glänzende Geschäftsmöglichkeit.“
 
Aber die Neocons waren nicht nur einstige Linke, die einfach konservativ wurden – sie verwandelten den Konservativismus auch. Einerseits, weil sie als geschulte Ideologen über die „Macht der Ideen“ Bescheid wussten (wohingegen sich traditionelle Konservative eher als „praktische Männer“ verstanden), andererseits, weil sie zwar ihre Überzeugungen, nicht aber ihre Mentalität ablegten – so war der Neonkonservativismus „radikaler“ als der Altkonservativismus. Seine Protagonisten hatten nur Spott übrig für die altvorderen Republikaner, „für die die Risikovermeidung die Kardinalstugend konservativer Politik“ (Kristol) war.
 
Dieser Import „linker“ Stile in den Konservativismus ist prägend für alles Konvertitentum – man konnte das ein paar Jahre später auch sehr schön an den französischen „Neuen Philosophen“ beobachten, die sich mittlerweile zu „Neoreacts“ gewandelt haben. Gegenwärtig, so schreibt der Dramatiker David Edgar im „Guardian“ als Reaktion auf David Mamets Konversion, erleben wir so etwas wie eine dritte Welle, eine „neue Generation des Renegatentums“. In der Weltkonstellation nach dem 11. September sind es ja signifikant viele ehemalige Linke, die früher alle „unterdrückten Völker“ umarmten, nun aber jeden Türken, Pakistani oder Araber als „Islamofaschisten“ und damit als Weltgefahr für den liberalen Kapitalismus ansehen (außer, er lässt sich wie Magdi Allam taufen).
 
Der Typus des Konvertiten lässt sich mit Begrifflichkeiten des „wohlbegründeten Sinneswandels“ nur unzureichend beschreiben, auch wenn die Konversion oft mit dem berühmten Zitat John Maynard Keynes begründet wird, der fragte: „Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Und Sie, was machen Sie?“. Der Konvertit ändert seine Meinung gern, aber nie die Art, die Welt zu sehen. Die bleibt schwarz-weiß, nur dass heute eben gut ist, was früher böse war und nunmehr böse ist, was früher gut war. Der Konvertit kämpft verbissen gegen einen phantasierten „Gegner“, der meist nichts weiter ist als eine Karikatur dessen, der der Konvertit vor der Konversion war, er geht von der Parallelwelt nichts ins Freie, sondern nur in eine andere Parallelwelt. Was am Konvertiten nervt, ist dieses Pathologisch-Paranoide, das sich offenbar zwangsläufig einstellt, wenn man in der zweiten Hälfte seines Lebens ausschließlich damit beschäftigt ist, gegen die erste Hälfte seines Lebens zu kämpfen.
 
Insofern kann der Konvertit das gerade nicht, was er zu tun vorgibt: Altes hinter sich lassen und sich dem Neuen mit kritischen, das heißt aufmerksamem Blick stellen.

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