„Ich komm hier nie an“

Migrationsexperte Mark Terkessidis über Integrationspolitik, die Festung Europa und die Muslime, die angeblich nicht zu „uns“ passen. Falter, 4. März 2009

 

 

 

Mark Terkessidis, 42,ist Geisteswissenschaflter, Radio- und Printjournalist. Er war Spex-Redakteur und beschäftigt sich in den vergangenen Jahren hauptsächlich mit Migrationsfragen. Er ist Autor zahlreicher Bücher darunter das Standardwerk: „Die Banalität des Rassismus“ (transcript-verlag, 2004)

 

Europa lässt immer weniger Immigranten rein – und die, die es reinlässt, schafft es nicht zu integrieren. Ein zappendusteres Bild?

 

Terkessidis: Europa mangelt es an einem Willen, eine sinnvolle Einwanderungspolitik zu gestalten. Einerseits tut man so, als baute man eine Festung Europa, andererseits lässt man alle möglichen Türchen offen, über die Leute nach Europa kommen und die hier dann rechtlos leben. Das ist das eine. Dass andere ist, dass man sich daran klammert, man müsse der Herr im Haus bleiben, obwohl die demographische Entwicklung eine andere ist. Allerdings muss man gerade für Deutschland sagen, dass sich in den vergangenen fünf Jahren viel mehr getan hat als in den vergangenen dreißig Jahren. Das musste einfach sein: In den großen Städten sind bei den Unter-Fünfjährigen die Kinder mit Migrationshintergrund oft in der Mehrheit. Da geht es dann gar nicht mehr um Integration, sondern um eine neue Idee von Gesellschaftsgestaltung unter den Bedingungen der Vielfältigkeit. Gerade auf kommunaler Ebene wird das begriffen.

 

Was sind die positiven Entwicklungen?

 

Terkessidis:  Viele Institutionen auf kommunaler Ebene haben verstanden, sie werden buchstäblich sterben, wenn sie sich nicht auf die Bürger mit Migrationshintergrund einstellen. Nehmen wir das Deutsche Rote Kreuz, das ist auf Ehrenamtliche angewiesen ist. Diese sehr deutsche Institution muss sich darauf einstellen, weil ihr sonst die Helfer ausgehen. Oder: Was passiert mit dem Theater, wenn der deutsche Bildungsbürger ausstirbt? Da ist ein Druck gewachsen. Und es gibt einen Druck in den Kommunen selbst: Da weiß man einfach, man muss alle mitnehmen, wenn die Kommune erfolgreich sein will. Viele Kommunen schrumpfen, und wenn sie unter eine bestimmte Einwohnerzahl fallen, dann bekommen sie weniger Zuwendungen vom Bund. Deshalb werben sie oft um Migranten.

 

Alle wissen: Wir brauchen Zuwanderung – wer soll in einer alternden Bevölkerung die Renten bezahlen? Aber Zuwanderung löst das Problem nicht, wenn die Zuwanderer die arbeitslose Unterschicht auffüllen.

 

Terkessidis: Nehmen wir an, man würde einem rein utilitaristischen Modell folgen. Dann würde man sagen: Wir brauchen so und soviel qualifizierte Facharbeitskräfte für die Industrie. Und was macht man? Man zieht Mindesteinkommensgrenzen ein, die völlig utopisch sind und nur dazu führen, dass solche Facharbeitskräfte eben keine Chance haben, nach Österreich oder Deutschland zu kommen. Berufseinsteiger kommen nie auf so ein Einkommen. Was ist das für eine absurde Gesetzgebung?

 

Und diejenigen, die schon hier sind? Da kommt man auch grade eben erst drauf, dass die mit sechs Jahren ohne Kenntnis der Landessprache in die Schule kommen und damit alle Lebenschancen schon verspielt haben.

 

Terkessidis: Früher hat man viel über Integration geredet aber nichts getan, jetzt gibt es echte Bestrebungen, aber die Konzepte die man hat, sind extrem altbacken. Man hat so die Vorstellung im Kopf, das Einwandererkind ist defizitär und das deutsche Normkind ist in Ordnung. Das Einwanderkind muss dann bis zum Schuleintritt auf den Stand des Normkindes gebracht werden.

 

Was ist, beispielsweise, so schlecht wenn man sagt: Kindergartenpflicht ab vier?

 

Terkessidis: Man muss nicht jedes Problem autoritär lösen. Das Problem ist doch eher, dass viele Migranten sehr weit weg sind von den offiziellen Institutionen. Die wissen oft gar nicht, welche Angebote es gibt. Oft fehlt es an Kindergärtenplätzen. Man muss seine Kinder zwei Jahre vorher anmelden – das wissen diese Familien oft nicht.

 

Man hört heute immer häufiger, dass es mit der Integration eh ganz gut funktioniert – nur bei den Zuwanderern aus muslimischen Gesellschaften nicht. Ist da was dran?

 

Terkessidis: In Österreich und Deutschland wird „der Ausländer“ seit langen mit den Türken identifiziert und jetzt eben mit den Muslimen. Und dann sagt man: dass sind die, die Probleme machen. Das ist schon deshalb gefährlich, weil es die Probleme anderer Migrantengruppen zudeckt. Wenn man sich die Wirklichkeit ansieht, dann sehen wir, dass etwa die Bildungsabschlüsse unter den italienischen Einwanderern extrem schlecht sind. Das hat sich über die Zeit in den italienischen Comunities tradiert – die kommen auch aus Regionen, wo das Wissen, das Bildung wichtig ist, nicht sehr verbreitet ist. Darüber wird nie gesprochen, während über die Probleme der Muslime dauernd geredet wird – garniert mit dem Hinweis, dass die auch noch selbst dran schuld sind. Das ist kontraproduktiv.

 

Aber es gibt doch diese Machokultur und den Streetganghabitus unter türkischen Jugendlichen.

 

Terkessidis: Es ist immer sehr schwierig, darüber zu reden – schon mangels Datenmaterial über Machotum. Aber von dem, was man weiß ist natürlich klar, dass es unter jungen Männern diesen Habitus gibt. Jetzt kann man fragen: Ist der Habitus Folge von Ablehnung, oder ist die Ablehnung Folge des Habitus? Also: War zuerst die Henne oder das Ei? Das ist freilich irrelevant: Es gibt eine soziale Situation, in der das gedeiht. Es gibt eine Konkurrenz zwischen den Jungs und den Mädchen, und die Mädchen ziehen in den Bildungsabschlüssen tatsächlich an den Jungs vorbei. Damit sind wir schlicht und ergreifend konfrontiert, man muss sich also fragen, wie kann man das ändern?

 

Wie?

 

Terkessidis: Eines ist ganz schlecht: Zu leugnen, dass diese Jugendlichen in einer sehr schwierigen, oft hoffnungslosen Situation sind – wir haben zwanzig Prozent Schulabbrecher, die haben nicht gerade reiche Eltern, die sind schnell in einem Bereich der Kleinkriminalität, der deutlich härter geahndet wird als die Steuerhinterziehung des einstigen Post-Chefs Zumwinkel. Wenn man diese Jugendlichen nicht mit den Jugendlichen im Allgemeinen vergleicht, sondern mit Jugendlichen in einer ähnlichen sozialen Situation, dann unterscheidet sich der Habitus nicht so sehr von dem deutscher, italienischer oder russischer Jugendlicher. Das ist ein Verhalten von Unterschichtmilieus, das hat wenig mit dem Islam zu tun. Auch wenn diese Jugendlich vielleicht den Islam hochhalten, so als Ticket – die haben aber doch keine Ahnung vom Islam.

 

Wegen der Ablehnungserfahrungen?

 

Terkessidis: Die Ansprüche, um in Deutschland eingebürgert zu werden, sind wahnsinnig hoch. Und jetzt kommt auch noch der Einbürgerungstest. Man erhält dauernd das Gefühl: Ich komm hier nie an. Beginnen tut das alles mit so kleinen Entfremdungsmomenten, mit oft unbedeutenden Urszenen. Ein Beispiel: Unlängst hat der kleine Mehmet einen Wettbewerb „Sicher durch den Straßenverkehr“ gewonnen. Daraufhin wurde er zu einem Empfang beim Bürgermeister geladen. Er war das einzige Kind mit Migrationshintergrund. Als der Bürgermeister fragte, woher er denn komme, da nannte Mehmet den Namen des Dorfes nahe Bielefeld, in dem er mit seinen Eltern wohnte. Worauf der gesamte Saal in Lachen ausbrach. Jetzt weiß der, dass die, die da lachten, den Namen eines Dorfes in der Türkei hören wollten. Er hat vielleicht das erste Mal gespürt, dass er nicht dazu gehört. Und er wird das noch ein paar hundert oder tausend Mal spüren, bis er, wenn er Glück hat, mit 18 zum Einbürgerungstest vorgelassen wird. Und wenn er, angesichts dieser kumulierten Erfahrungen irgendwann problematisch reagiert, wird man sagen, das hat mit dem Islam zu tun, die sind eben so, „die“ passen nicht zu „uns“.

 

Veranstaltung:

 

Am 5. März spricht Mark Terkessidis zum Thema „Integration – ein Wundermittel am Prüfstand“ Ort: Semperdepot, 6, Lehargasse 6. Veranstalter ist SOS-Mitmensch.

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