Erfolgreiches Scheitern

Festrede zum 30. Gründungsjubiläum der Entwicklungspolitik-Agentur „Südwind“. (vormals ÖIE).

Liebe Weltverbesserinnen und Weltverbesserer, meine sehr verehrten Gutmenschen…

 

I.

 

Es gibt, sagt der Moralist, genügend Lebensmittel auf dieser Welt um alle Menschen ausreichend ernähren zu können. Dennoch gibt es Hunger, weil Leute am Hunger verdienen, weil sie reich werden, wenn der Reichtum ungleich verteilt ist, und weil sie weniger reich wären, wäre er gleich verteilt. Da hat er Recht, der Moralist.

 

Es gibt, sagt darauf der Zyniker, der sich selbst lieber als Realist sieht – und den Moralisten als Idealisten, womit er eine Spielart von Phantasten meinst -, es gibt, sagt er also, diesen Reichtum aber eben, den Du, Moralist, gerne verteilen würdest, weil es ein Anreizsystem gibt, das Unternehmer dazu antreibt, die Produktivkräfte zu entwickeln. Du verdammst, Moralist, die Ungerechtigkeit des Kapitalismus, nützt aber den Reichtum, den er geschaffen hat, für Deine Argumentation. 12 Milliarden Menschen könnten wir ernähren, das stimmt. Tolle Sache. Aber hat der Altruismus das geschafft? Oder vielleicht doch eher der Egoismus? Dass wir immer reicher werden, dass wir so tolle Dinge erfinden, wir Menschen, das ist doch deshalb der Fall, weil die Menschen sich aus egoistischen Motiven anstrengen. Da hat er auch nicht ganz unrecht, der Zyniker.

 

Aber wäre es nach Leuten wie Dir gegangen, Zyniker, dann wäre nie etwas dafür getan worden, dass unsere Welt besser wird, würde an dieser Stelle wohl der Moralist erwidern. Mit den gleichen Argumenten haben sich Deinesgleichen schon in England des frühen 19. Jahrhunderts gegen die „Armenfürsoge“ gewendet. Sie haben die Sinnverkehrungsthese aufgestellt: Der Versuch, den Armen zu helfen, würde uns alle und damit auch die Armen nur ärmer machen, haben sie gesagt. Sie haben die Vergeblichkeitsthese aufgestellt: Hilfe für die armen Schlucker ist kein Weg aus dem Elend. Und sie haben die Gefährdungsthese aufgestellt: Jede Sozialreform zerstöre die wirtschaftliche Dynamik und gefährde deshalb die Produktion des Reichtums, den die Sozialreformer verteilen wollen. Hätte man auf die Zyniker gehört, säßen die Unterschichten auch bei uns noch in Armenquartieren, verlaust und tuberkulös, wir hätten einen 16-Stunden-Tag, keine Renten-, keine Krankenversicherung. Das haben doch alles die durchgesetzt, die Du idealistische Moralisten nennst.

 

Das bildest Du Dir nur ein, sagt der Zyniker. Der Kapitalismus, den Du verdammst, der hat das nicht nur ermöglicht, der hat das auch gefördert. Ab einer gewissen Stufe der Entwicklung hat er natürlich selbst Arbeitskräfte gebraucht, die gut ausgebildet waren, die mit einer gewissen Sicherheit im Leben stehen, weil er sich ja auf sie verlassen muss. Und er hat zahlungskräftige Konsumenten gebraucht. Dass auch die breite Masse reicher wurde, das haben zwar vordergründig die Sozialreformer erkämpft, aber mit mehr als A-Little-Help-of-your-Enemies. Dass der Herr Ford begonnen hat, seine Arbeiter anständig zu bezahlen, hat nichts mit Altruismus zu tun gehabt, sondern weil er wusste, er braucht Leute, die seine Autos auch kaufen können. Du siehst also, der Kapitalismus und der Egoismus sind die besten Mittel gegen Massenarmut.

 

Na, Du machst es Dir leicht, sagt der Moralist: Gar so weit sind wir nicht gekommen damit. 100.000 Menschen sterben täglich an Hunger oder seinen mittelbaren Folgen. Alle 5 Sekunden verhungert ein Kind. Über 800 Millionen Menschen sind chronisch unterernährt. Und das deshalb, weil es Leute gibt, die daran verdienen.

 

Ja, sagt da der Zyniker, aber gerade die Globalisierung, die Du bekämpfst, macht die Welt gerechter. Milliarden Menschen, in China, in Indien, haben Anschluss an unseren Wohlstand gefunden. Wo früher gehungert wurde, da haben die jetzt auch zwei warme Mahlzeiten pro Tag. Das schafft natürlich neue Probleme: die Nahrungsmittelpreise steigen, wenn nicht mehr nur 300 Millionen Europäer und 300 Millionen Amerikaner völlern.

 

Ja, sagt da der Moralist, aber diese Probleme entstehen nicht von alleine und sie verschwinden nicht von alleine. Und wie leicht wären sie zu lösen! Die armen Bauern haben keinen Zugang zu Finanzmittel, sie können sich kein Saatgut leisten. Um die Probleme zu lösen, bräuchte es nicht einmal viel Geld. Kapital für Mikrokredite. Billiges Saatgut. Aber die Multis, die pressen jedes Promille Rendite raus. Und das löst nicht „der Markt“. „Der Markt“ verschärft nur die Probleme. „Der Markt“ führt ja dazu, dass heute jedes globale Erfolgs-Unternehmen 25 Prozent Rendite auf das eingesetzte Kapital als selbstverständlich nimmt. Noch immer wird Hunger gemacht. Und überhaupt: Wo der Markt mal dazu beitragen könnte, die Reichen etwas ärmer und die Armen etwas reicher zu machen, da wird die freie Marktwirtschaft ganz schnell ausgesetzt. Da wird mit subventionierten Lebensmitteln der Markt im Süden überschwemmt und in die andere Richtung werden protektionistische Mauern errichtet.

 

Ach, sagt da der Zyniker: Du altmodischer Moralist.

 

Das war mal, sagt da der Moralist, dass die Moral altmodisch erschien, und die glatten zynischen Erfolgsmenschen den Zeitgeist auf ihrer Seite haben. Aber Eure Zockermentalität, die hat uns ja alle an die Wand gefahren, sogar Euch. Jetzt seid Ihr die, die alt aussehen.

 

II.

 

Alt. Altaussehen. Hier ende ich mal mit meinem fiktiven Dialog mit mir selber. Jetzt bin ich auch schon weit über dreißig. Und Südwind wird jetzt dreißig Jahre alt. Ich möchte demütig gratulieren und mich bedanken, hier bei diesem Festakt sprechen zu dürfen. Hat mich überrascht, die Einladung, ich habe ja mit Südwind und dem ÖIE wenig zu tun gehabt in meinem Leben. Jedenfalls nicht direkt. Aber bei der Vorbereitung habe ich ein bisschen geblättert in dem Material, das Sie mir zur Verfügung gestellt haben und in meinen Erinnerungen. Und da kam manches an den Tag, das kann ich Ihnen sagen. 1979. Somoza wurde da gestürzt, in El Salvador rüstete sich die Guerilla. Erzbischof Romero wurde 1980 ermordet. Ich war damals Schüler, 13 Jahre alt. Womit transportierte ich meine Schulsachen jeden Morgen? Natürlich: Mit einem „Jute statt Plastik“-Sackerl. Ich musste es alle drei Monate erneuern, weil es sich sehr schnell zerlegte. Was hat mich zum Denken angeregt? – „politisiert“, wie wir damals dazu sagten? Klar, „Septemberweizen“ von Peter Krieg unter anderem. „Hunger ist kein Schicksal, Hunger wird gemacht“, die Kampagne des ÖIE, ein Satz der sich tief eingebrannt hat in mein Gehirn. Vielleicht wäre ich  Bankangestellter oder Techniker oder was weiß ich was geworden, wenn es diese Aktivitäten nicht gegeben hätte. Wenn ich heute da steh, als Autor, dann hat das auch mit der Bewusstseinsbildung zu tun, die damals die Gründer des ÖIE besorgt haben. An mir. Ja, sehen Sie, jetzt muss ich mich schon wieder bedanken.

 

Ich erinnerte mich auch, wenn wir hier bei den Veteranen-Schnurren sind, an die Kritik an Steyr-Daimler, die Waffen nach Südafrika lieferten. Ich habe dann später mit ein paar Leuten die Steyr-Zentrale am Ring besetzt. Ein illegaler Akt. Hausfriedensbruch, brrrr. Ich war damals sehr rebellisch, aber auch ein bisschen brav. Deshalb war meine Aufgabe, den Portier zu beruhigen. Ja, wir haben das richtig vorbereitet. Mein Job war es, den Portier den Stress zu nehmen, weil wir uns gedacht haben, wenn der Portier, der ja kein Kapitalist ist, sondern ein normaler kleiner Proletarier in der Aufregung einen Herzanfall kriegt, dass wäre schrecklich und dem müssen wir vorbeugen. Sie sehen, wir haben an alles gedacht.

 

Ich bin älter geworden, und wenn ich da in die Runde schau, na, dann seh ich, ich bin nicht der einzige, wenngleich man auch sofort sieht, dass junge Engagierte nachgekommen sind, das kann ja nicht jede Institution von sich behaupten. Es hat sich einiges verändert. Man engagiert sich ja nicht nur für die Dinge, die man für richtig hält. Man tut das ja auch in einer Zeit, in einem Milieu. Die späten siebziger Jahre. Achtundsechzig war grad zehn Jahre her. Hippies, Gegenkultur, das hatte auch noch einen gewissen Hippness-Faktor. Die jungen Leute lümmelten im Burggarten herum und wurden von der Polizei vertrieben. „Rasenfreiheit“ haben wir gefordert und das schien uns damals wirklich als ein subversiver Akt. Nonkonformistisch zu sein, anders als der Mainstream, dass wir jung waren und anders als die angepassten Alten, das schien uns schon ein systemkritisches Statement. War nicht ganz falsch, aber auch nicht exakt richtig. Natürlich waren viele von uns auch für die Diktatur des Proletariats. Heute sind da weniger dafür. Irgendwann galt dann das Engagement als uncool. Ich nehm mal an, Sie haben das auch gespürt. Wer das Unrecht anprangerte, galt als ähnlich altmodisch wie ein Pfaffe. Man verdrehte die Augen wie im Religionsunterricht. Die Grundhaltung war in etwa: Dass die Welt schlecht ist, das kann schon sein, aber eigentlich leben wir ja ganz gut in dieser schlechten Welt, also warum soll man sich aufregen. Zwar gab es immer wieder neue Kohorten 14jähriger Gymnasiasten, die sich über Elend empörten, aber die wurden von den Älteren belächelt: da muss jede Generation durch, aber das mit der Empörung, das gibt sich dann wieder. Das kennen wir schon. Und wir Linken – ich erlaube mir dieses „Wir“ einmal, obwohl ich gar nicht voraussetzen will, dass hier nur Linke im Saal sind, dass sich nur Linke dafür einsetzen, dass es fair zugeht in der Welt und niemand verhungert, bei Gott nicht – aber wir Linken, wir hatten dem wenig entgegenzusetzen. Erstens einmal haben wir uns ja immer als „fortschrittlich“ verstanden, wir sind ja vorwärtgewandt und nicht rückwärtsgewandt, und wenn man so ein Selbstbild hat, ist das natürlich besonders verstörend, wenn man plötzlich als altmodisch gilt. Zweitens aber haben wir auch ein Problem damit, wenn das Wort „moralisch“ auf unsere Kritik gemünzt wird. Wir Linken halten oder hielten zumindest ja auch eine gewisse theoretische, analytische Schneidigkeit hoch, wir wollen ja logisch nachweisen, dass der Kapitalismus nicht funktioniert, dass er für Instabilitäten sorgt, dass er die Produktivkraftentwicklung behindert, dass er zur Vergeudung von Talenten sorgt usw. also dass alle Logik gegen ihn spricht. Einem Linken, der auf sich hält, ist eine rein moralische Begründung seiner Überzeugungen seit jeher peinlich und alle Theorie, man kann das meinetwegen auch Verkopftheit nennen war auch immer der Versuch, diese Peinlichkeit zu camouflieren. Ich sag das, weil das ein Aspekt der Wahrheit ist, nicht, weil ich etwas gegen das Denken habe. Denken hat noch nie jemanden geschadet und Unwissenheit hat noch nie jemanden genützt.

 

Aber irgendwann, fast unmerklich, hat sich wieder etwas verändert. Man durfte sich wieder aufregen über Dinge, ohne dass man verhöhnt wurde. Klar, eine Prise Ironie kann nie schaden, auch beim Kritisieren des Kritikwürdigen nicht. Aber die kalten Zyniker hatten nicht mehr freies Spiel. Plötzlich demonstrierten wieder Zehntausende unter Parolen wie „Eine andere Welt ist möglich“ und sogar so pathetische, getragene Moralisten wie Jean Ziegler füllten Säle bis zum Bersten. Und was noch Erstaunlicher ist: Selbst unter den smarten Realisten wurde es wieder en vogue zu sagen, dass es so nicht weiter gehen kann. Jeffrey Sachs engagiert sich jetzt gegen den Welthunger. Für Energieeffizienz. Für Nachhaltigkeit. Spitzenmanager verdienen sich jetzt saftige Autorenhonorare, mit Büchern, die eine „Perestroika des Kapitalismus“ empfehlen. Verkehrte Welt, das hab ich gerne. Nichts bleibt, wie es ist. Nichts ist von Dauer. Das ist gut so.

 

Aber ein paar Dinge bleiben doch. Bleiben sich treu, manchmal gerade, wenn sie sich ändern. Südwind ist so was. Sie haben viel Erfolg gehabt. Erfolg Nr. 1: Es gibt Sie noch. Erfolg Nr. 2: Sie haben bei viel mehr Menschen, als Sie wohl glauben, einen Bewußseinswandel bewirkt. Erfolg Nr. 3: An vielen Orten der Welt sähe es sehr viel düsterer aus ohne das Engagement entwicklungspolitischer Dienste wie Ihres. Gleichzeitig sind sie natürlich auch gescheitert. Wenn man Ihre Aktivistinnen und Aktivisten der ersten Stunde vor dreißig Jahren gefragt hätte, wie die Welt im Jahr 2009 aussehen soll, dann hätten die wohl gesagt: Sie soll gerechter sein. Es soll keinen Hunger geben. Jeder soll die Chance haben, aus seinem Leben etwas zu machen. In einer solchen Welt leben wir auch heute nicht. Nein, wir leben in einer Welt, in der, während wir hier sitzen, wahrscheinlich wieder der eine oder die andere oder vielleicht sogar ein Dutzend Menschen dabei ertrinken, mit seeuntüchtigen Booten nach Europa zu kommen, ein Europa, das sie mit Marine, Stacheldrahtmarine und biometrischen Ausweissystemen davon abhalten will.

 

30 Jahre – und die Bilanz? Wie könnte man das auf einen Nenner bringen. Erfolg? Das wäre etwas viel gesagt, es gibt noch genug zu tun. Scheitern?  Na, das wäre reichlich übertrieben. Wie nennt man das, wenn man an hochgesteckten Zielen scheitert, aber dennoch Erfolg hat? Erfolgreiches Scheitern vielleicht. Oh ja, das ist das richtige Wort. Überhaupt, wenn man sich die Geschichte ansieht, wie wurde die Welt vorangebracht? Fast immer durch Weltverbesserer, die auf solche und ähnliche Weise erfolgreich gescheitert sind. Solches Scheitern lob ich mir, so soll es, um Samuel Beckett zu paraphrasieren, auch in Zukunft sein. Weitermachen. Weiter scheitern. Aber immer besser scheitern.

 

Ich danke Ihnen! Feiern Sie schön!

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