Auf üble Weise manipulativ

Ein „Time“-Cover mit einer verstümmelten Afghanin heizt die Debatte an: Raus aus Afghanistan oder weiter Krieg führen gegen die Taliban? taz, 7. August 2010

Time Magazine.jpgEs ist eines jener Titelblätter, die man so gemeinhin einen Eye-Catcher nennt – das Cover des aktuellen „Time“-Magazin. Eine junge, hübsche Frau mit abgeschnittener Nase. Daneben die Schlagzeile: What Happens When We Leave Afghanisatan. Ohne Fragezeichen, wohlgemerkt. Die Botschaft ist also ziemlich unverschlüsselt: DAS passiert, wenn wir aus Afghanistan abziehen.

Das ist natürlich eine ziemlich absurde Textierung, als „das“ ja vor etwa einem Jahr passiert ist: der 18jährigen Aisha wurden von der Familie ihres Mannes – einem Anhänger der Taliban – Nase und Ohren abgeschnitten, als „Strafe“ dafür, dass sie der Tortur, die ihre Ehe darstellte, zu entfliehen versucht hatte. Insofern ließe sich natürlich nüchtern feststellen: das passiert auch, wenn wir NICHT aus Afghanistan abziehen. Das passiert, trotz neun Jahren westlicher Besatzung.

Dieses Titelblatt ist verstörend, nicht nur des erschreckenden Bildes, sondern der kontroversen Botschaften wegen, die es zeitgleich aussendet. Einerseits ist es wachrüttelnd und damit in gewissem Sinne aufklärend: Es geht bei der Frage, ob die westlichen Truppen abziehen sollen, nicht nur um die Frage, ob man Deals mit den Taliban schließen kann, ob dieser Krieg überhaupt noch zu gewinnen ist, ob die US-geführten Truppen hier in einen schmutzigen Krieg involviert wurden, und dass das Erreichen der hehren Ziele – Stabilität und Menschenrechte zu garantieren – längst unmöglich geworden ist. Es geht vielmehr auch um konkrete Menschen, die konkret leiden, wenn die Taliban wieder die vollständige Kontrolle über das Land erlangen würden. Und das soll man bitteschön auch nicht vergessen über all die „realpolitischen“ Diskussionen.

Zur gleichen Zeit aber ist dieses Titelblatt Kriegspropaganda der übelsten Sorte. Mit einem Bild, das direkt ins Herz zielt, wird die Botschaft insinuiert: Wir müssen die militärische Besatzung aufrecht erhalten, sonst passiert „das“. Es ist, kurzum, auf schlimme Weise manipulativ. Man könnte dem schließlich problemlos mit ebenso zwingender Bildsprache andere Botschaften entgegenstellen. Etwa Bilder von verkohlten Zivilisten, Opfern westlicher Bombenangriffe und der Textierung: Das passiert, wenn wir weiter in Afghanistan Krieg führen.

Würde uns ein solcher Krieg der Bilder irgendwie klüger machen? Ganz gewiss nicht. Die Fragen, die gestellt werden müssen, sind letztendlich andere: Haben die westliche Intervention und die Besatzung die Lage der normalen Bevölkerung und insbesondere der Frauen – alles in allem gesehen – verbessert? Eher nicht. War der „Menschenrechtsbellizismus“ ein Erfolg? Kaum. War das Scheitern zwangsläufig? Darüber kann man streiten, aber es wurde durch massive Fehler – die sträfliche Vernachlässigung des Wiederaufbaus und der Schaffung funktionierender Institutionen – in jedem Fall begünstigt. Sollen die westlichen Truppen deshalb abziehen? Irgendwann wird das geschehen müssen und die Wahrscheinlichkeit, dass die Lage bis dahin besser sein wird, ist sehr gering.

An diesen bitteren Wahrheiten ändern leider auch Titelblätter im Geiste raffinierter PR-Emotionalisierung nichts. Es gibt einen innerwestlichen Krieg der Emotionalisierung, und letztendlich war auch die Veröffentlichung der „Wikileaks“-Dokumente ein Teil davon. Denn diese viele tausend Seiten dicke Konvolut transportierte doch auch subkutan eine simple Botschaft: Nichts wie raus da. Das Bild der 18jährigen Aishe ist gewissermaßen die Antwort darauf.

3 Gedanken zu „Auf üble Weise manipulativ“

  1. Vielen Dank für diese klare und vernünftige Zusammenfassung.
    Es ist echt betrüblich wozu sich große Medien immer wieder hergeben.

  2. Ergänzend verweise ich auf die vom CIA für Deutschland verordnete PR-Strategie für den Afghanistan-Krieg, die im April auf Wikileaks veröffentlicht wurde. Infos:
    http://www.tagesschau.de/ausland/ciaafghanistan104.html
    http://spreegurke.twoday.net/stories/6317486/
    Nun können wir mit gutem Grund daraus schließen, dass die CIA ähnliche Analysen und Strategien natürlich auch für die Bevölkerung der USA betreibt und die ‚Time‘ dies halt getreulich umsetzt. Woraus wir unsere Schlüsse ziehen dürfen.

  3. Für alle, die jetzt ehrlich überrascht sind: Googeln Sie doch einfach mal Brutkasten-Lüge, Hufeisenplan oder Massenvernichtungswaffen+Irak.
    Ich weiß nicht, was mich mehr ankotzt. Die plumpen Versuche unserer Regierungen uns zu verarschen oder die Öffentlichkeit, die nach jeder Aufdeckung eines solchen Versuches wieder total überrascht ist.
    Fuck Your short memory.

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