Ein guter Kapitalismus, kann’s den geben?

Hier, mit etwas Verspätung, zum Nachlesen den 5. Teil meiner Vortragsreihe „Erklär mir die Finanzkrise“, die ich im Herbst an der Volkshochschule Ottakring gehalten habe. Wer sich das Lesen ersparen will, kann die Vorträge auch hier per Video nachsehen. 
Als Karl Marx und sein Freund Friedrich Engels die ökonomische Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft analysierten, schienen einige Dinge gewiss zu sein: diese Gesellschaft produziert aus sich heraus Ungerechtigkeiten. Aber das ist natürlich eine banale Weisheit, die kaum jemand bestreiten würde. Es schienen noch ein paar weitere Dinge gewiss: Sie produziert notwendigerweise aus sich heraus immer größere Ungerechtigkeiten. Die große Bevölkerungsmasse, das industrielle Arbeiterheer, das gerade erst in die Städte gespült wurde, lebte in bitterem Elend, einem Elend, das sich immer mehr zu verbreiten schien, obwohl immer größere Reichtümer produziert wurden. 
In dem Maße, wie das Kapital akkumuliert, muss sich die Lage des Arbeiters verschlechtern, schrieb Marx im Kapital, und weiter: „Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol.“
Verstreute Passagen wie diese in Marx‘ Werk gingen in die Literatur des orthodoxen Marxismus als die Verelendungstheorie ein. Obwohl Marx durchaus offen ließ, ob er absolute Verelendung oder relative Verelendung meint, waren viele Sozialisten seiner Zeit und auch noch späterer Zeit letztlich davon überzeugt: der Kapitalismus hält die normalen, einfachen Leute notwendigerweise in einer immer stärker werdenden Verelendung. 
Die zweite allgemeine Gewissheit war: der Kapitalismus ist ein dynamisches, aber äußerst fragiles System, das nur funktionieren kann, solange es eine immer gefräßigere äußere und innere Landnahme vollzieht, dessen Produktivkraftentwicklung an die Grenzen seiner verrückten ökonomischen Ordnung stößt, und das an seinen inneren Widersprüchen zugrunde gehen muss. Weder Marx noch Engels hätten das auf diese Weise so formuliert, aber viele ihrer Jünger hätten da salopp – oder auch „wissenschaftlich“ begründet – gesagt: dieser Kapitalismus muss notwendigerweise zusammenbrechen, und daher ist es besser, ihn lieber heute als morgen durch eine Revolution abzuschaffen und durch ein anderes ökonomisches System, den Sozialismus, zu ersetzen. 
Das waren so grundlegende Gewissheiten gewissermaßen, die auch heute noch in manchen Köpfen herumspuken: 
Das der Kapitalismus zusammenbrechen muss. 
Und dass er notwendig zur Verelendung breiter Bevölkerungsschichten führt, dass eine faire Beteiligung am Wohlstand innerhalb des Kapitalismus einfach nicht möglich ist. Daran glauben nur reformistische Warmduscher, die zu feig für eine Revolution sind. 
Trotzdem ist aber sehr bald etwas sehr Eigentümliches geschehen: Sozialistische Parteien und Parteiführer, vor allem aber auch Gewerkschaften, die mit ihnen verbunden sind, haben sich dafür eingesetzt, durch kleine oder größere Reformen die Lebensbedingungen für die normalen Leute zu verbessern, also innerhalb dieser kapitalistischen Gesellschaft. Zunächst schien das kein großer Widerspruch zu sein. Man setzte sich für eine Revolution ein, arbeitete darauf hin, und bis dahin hat man aber auch versucht, jede denkbare kleine Verbesserung der Lebensbedingungen durchzusetzen. 
Gewissermaßen: Man nahm, was man kriegen konnte, war ja kein Widerspruch. Man begann von der Dialektik von Reform und Revolution zu sprechen.

Aber der Widerspruch zeigte sich natürlich schnell: da gab es dann die, die ihr Hauptaugenmerk auf die Reformen, die Verbesserung legten, und die Revolution, naja, die beschworen sie noch in Sonntagsreden. 
Und dann gab’s die Heißsporne, die sagten, diese kleinen Reformen, die sind ja nichts, die lenken nur ab von der Revolution. 
Und den Reformisten gingen diese Heißsporne auf die Nerven, die sagten, diese revolutionären Heißsporne, die reiten uns nur in Abenteuer rein, und vermasseln uns die realen Fortschritte, die wir mit kluger Reformpolitik realisieren können. 
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Wie sich Karl Marx verhalten hätte, in dieser Auseinandersetzung, wissen wir nicht, er ist ja früh verstorben, aber sein Freund Friedrich Engels wurde Uralt. Und es ist eine der amüsanten Pointen dieser Geschichte, dass sich der alte Engels, nicht öffentlich, aber doch in seinen privaten und halbprivaten Äußerungen, seinen Briefen, zunehmend auf die Seite dieser Reformer geschlagen hat. 
Nachdem etwa der sozialdemokratische Parteiführer Victor Adler, ein Pragmatiker vor dem Herrn, die Radikalen in seiner Partei ausgetrickst hat, die unbedingt einen revolutionären Generalstreik so bald wie möglich wollten, schrieb Engels aus England an Adler: „Zu der Art, wie Du den Generalstrike in den Schlummer gewiegt hast, gratuliere ich Dir…“
Wirklich öffentlich ausgebrochen sind diese Kontroversen erst ein paar Jahre später, als ein anderer Freund von dem alten Engels, der deutsche Sozialdemokrat Eduard Bernstein, ein paar Aufsätze und Bücher zu diesem Thema schrieb. 
Bernstein war ein penibler Forscher. Er hat sich angeschaut: Diese Proletarier, die wir vertreten, wo arbeiten die? In welchen Fabriken? Wie ist da die Lohnentwicklung in den vergangenen Jahren gewesen? 
Er hat sich die staatlichen Steuerunterlagen angesehen. Die verschiedenen Steuerklassen. 
Und hat festgestellt: Viele dieser Proletarier, Millionen von denen, sind aufgestiegen. Die verdienen ganz andere Löhne und Gehälter als noch vor dreißig Jahren. Die machen so etwas wie einen Aufstieg in den Mittelstand durch, es entstehe, schrieb er, „eine zahlreiche Mittelklasse“.
Es war unübersehbar geworden: Viele von denen können sich heute schon eine schöne Wohnung leisten und das Essen für die Kinder, sogar einmal in der Woche Fleisch, also, es gibt da einen unbestreitbaren sozialen Fortschritt. Es gibt sicher keine absolute Verelendung und wohl auch keine relative. 
Und er hat auch gesehen: Das schafft der Kapitalismus natürlich nicht aus sich heraus. Starke Arbeiterparteien ringen ihm das ab, starke Gewerkschaften setzen das durch. 
Aber er hat auch gesehen: Dem Kapitalismus schadet das gar nicht, dem nutzt das sogar. Dieser Kapitalismus produziert nicht mehr nur Luxusgegenstände für die Reichen oder große Investitionsgüter für Unternehmen und Staat – also Maschinen oder Eisenbahnen oder was auch immer -, er produziert auch Konsumgüter für die breite Masse der Bevölkerung, also der profitiert sogar davon, dass die Kaufkraft hat und nicht verelendet. 
Also, der Bernstein hat ein paar ziemlich ketzerische Sachen gesagt. Er hat gesagt, das mit der Verelendungstheorie ist quatsch. Und das mit der Zusammenbruchstheorie ist auch quatsch. 
Und dann hat er noch ketzerischeres Zeug gesagt, nämlich: Ich gestehe es offen, hat er gesagt, ich habe für das, was man gemeinhin unter „Endziel des Sozialismus“ versteht, außerordentlich wenig Sinn und Interesse. Dieses Ziel, was immer es sei, ist mir gar nichts, die Bewegung ist alles. Und unter Bewegung verstehe ich sowohl die allgemeine Bewegung der Gesellschaft, dh. den sozialen Fortschritt, wie die politische und wirtschaftliche Agitation und Organisation zur Bewirkung dieses Fortschritts.
Man solle also versuchen, diese Gesellschaft Schritt für Schritt zu verbessern, nicht Revolutionspartei sein, sondern „demokratisch-sozialistische Reformpartei“. 
Na, Sie können sich ausdenken, was über den für ein Donnerwetter zusammen gekracht ist. 
 
Rosa Luxemburg, Lenin, Trotzki, aber auch Kautsky, alle haben den dafür getögelt
Aber ich bin der festen Überzeugung heute, dass er in dieser Kontroverse recht hatte. 
Denn das, wofür der Bernstein da schon 1899/1900 eine Lanze brach, das war das, was dann in späteren Jahren alle großen sozialreformerischen Bewegungen gemacht haben. 
die Sozialdemokraten des Roten Wien (VHS Ottakring!!!)
die schwedischen Sozialdemokraten ab den dreißiger Jahren
die amerikanischen Demokraten unter Roosevelt und in den Jahren danach
Kontinentaleuropäische Sozialdemokraten und auch Christdemokraten – der politischen 
Mitte – nach 1945
Aber auch heute noch, Brasilien in den vergangenen 15 Jahren Cardoso / Lula !
Sie haben soziale Reformen durchgeführt, die die Marktkräfte zähmten, sie haben 
ein dichtes soziales Netz geknüpft, das Menschen im Notfall aufgefangen hat
aber nicht nur im Notfall, das auch im Normalbetrieb dazu beitragen sollte, immer mehr Bürgern immer mehr Chancen zu bieten, dass es da hinsichtlich der Lebenschancen vielleicht nicht gleiche Lebenschancen gibt, aber zunehmend sich angleichende Lebenchancen
Bildungspolitik
Sozialer Wohnbau
Sie haben eine Steuerpolitik gemacht, die die Ungleichheit reduziert hat
Aber starke Gewerkschaften haben auch dazu beigetragen, dass die Löhne und Gehälter einfacher Beschäftigter stiegen, und phasenweise sogar die die Löhne der Geringverdiener stärker gestiegen sind als die an der Spitze. 
Man hat die Tarifpolitik reguliert, aber auch viele andere Gesetze eingeführt, die das Ar
beitsleben regelten: Betriebsverfassungsgesetze, Arbeitsrechte, Arbeitszeitregelungen. Betriebsräte wurden eingeführt und ihre Rechte wurden gestärkt – von Land zu Land, manchmal von Branche zu Branche unterschiedlich. 
Man könnte da jetzt ewig weiter reden, aber es ist ja klar: Es wurden unzählige Reformen durchgesetzt, von denen jede für sich vielleicht eine kleine Reform war, die sich aber doch zu einer großen Reform, zu einer fundamentalen Änderung summierten. 
Ich finde das politisch gut. Politisch erstrebenswert. Von meinen politischen Werthaltungen her. 
Aber lassen wir die mal beiseite. Ich habe hier ja in diesen Vorträgen über weite Strecken einen sehr nüchternen Blick auf die Ökonomie geübt. Also werfen wir einen nüchternen Blick auf all das: 
Dass man hier sukzessive mehr soziale Gerechtigkeit eingeführt hat, hat der kapitalistischen Marktwirtschaft ja gar nicht geschadet. Es hat ihr sogar genützt. 
man hatte zunehmend besser ausgebildete Arbeitskräfte
einen immensen Produktivitätszuwachs
stabiles Wirtschaftswachstum
der Massenkonsum, der DER MOTOR einer modernen kapitalistischen Marktwirtschaft ist, war auf einem immer höheren Niveau
Das heißt, wenn man das mit einem nüchternen Blick analysiert, muss man zu dem Schluss kommen. 
Und ich möchte das hier so ganz glasklar formulieren, auch wenn wir das vielleicht als verstörende Tatsache empfinden: 
Anders als die frühe Arbeiterbewegung dachte, haben sich ihre sozialen Forderungen nicht als unvereinbar mit einer kapitalistischen Marktwirtschaft erwiesen, sondern im Gegenteil und umgekehrt, die Realisierung dieser sozialen Forderungen hat der kapitalistischen Marktwirtschaft sogar genützt. 
Und deshalb möchte ich zunächst in diesem abschließenden Vortrag die Frage aufwerfen, vor welchen Aufgaben wir in diesem Sinne heute stehen würden, und dann auch noch die Frage aufwerfen, ob eine solche Strategie heute noch möglich wäre. Kann ja sein, dass das eine historische Ära war, in der das möglich ist, und dass wir heute in einer historischen Ära sind, in der das nicht mehr möglich ist. 
Das ist ja möglich: Dass es damals Türen gab, die offen waren, die heute nicht mehr offen sind. 
Dass das heute nicht mehr möglich ist. 
Lassen Sie mich so beginnen: Unser größtes gegenwärtiges Problem, abgesehen von der ökonomischen Misere, in der wir seit Ausbruch der Finanzkrise stecken, ist das Problem der immer mehr wachsenden Ungleichheit. Und dieses Problem ist mit der Finanzkrise verbunden, darauf möchte ich später noch einmal zurück kommen. 
Wenn man heute Debatten unter den führenden Ökonomen der Gegenwart verfolgt, wird man feststellen, dass es fast ein neues Mantra, fast ein neuer Mainstream geworden ist, die Ungleichheit als das zentrale Problem der Gegenwart anzusehen. 
Und das ist ja schon für sich gesehen ein recht bemerkenswerter Umstand. 
Denn bedenken wir, was man uns seit dreißig Jahren eingeredet hat, seit dem Beginn der neoliberalen und neokonservativen Gegenreformation: Dass Gleichheit schlecht ist, weil die Welt doch bunt ist und wir alle unterschiedlich, und das ist ja schön so!
Gleichheit ist doch kein erstrebenswerter Wert!
Und dass in einer prosperierenden, brummenden Marktwirtschaft eben die einen mehr Erfolg haben und die anderen weniger, aber wenn wir in diese Ergebnisse, für die der Markt sorgt, eingreifen, dann würden wir die Wohlstandszuwächse reduzieren. Dass wir dann vielleicht mehr Gleichheit haben, aber alle auf einem niedrigeren Niveau wären. 
Dass man also, wenn man eine brummende Wirtschaft haben will, Ungleichheit in Kauf nehmen muss. 
Und jetzt? Jetzt sagen, nicht alle, aber immer mehr, dass die Ungleichheit das zentrale Problem unsere Zeit ist. 
Joseph Stiglitz, der Wirtschaftsnobelpreisträger, hat im amerikanischen Hochglanzmagazin „Vanity Fair“ einen großen Essay geschrieben, in dem er anprangert, dass das reichste 1 Prozent der Amerikaner sich jetzt schon über mehrere Jahrzehnte praktisch den gesamten Wohlstandszuwachs eingesackt hat, und die restlichen 99 Prozent nichts mehr vom wachsenden Kuchen abbekamen, zum Teil sogar immer weniger abbekamen. 
Damit gab ein Wirtschaftsnobelpreisträger einer globalen Protestbewegung den Slogan vor: 
„Wir sind die 99 Prozent.“
Paul Krugman, ebenfalls Wirtschaftsnobelpreisträger, stößt seit Jahren in dieses Horn. 
J. Bradford DeLong, ein einflussreicher US-Ökonom, sieht das ebenso, und plädiert für einen Grenzsteuersatz für Reiche von 70 Prozent. 
Martin Wolf, Starkolumnist der „Financial Times“ – der wahrscheinlich bedeutendste Wirtschaftsjournalist der Welt – plädiert für eine „Totalreform des westlichen Kapitalismus“ mit folgenden Eckpunkten: Strenge Regulierung des Finanzsektors, Reduktion der Ungleichheit, höhere Steuern auf Vermögen, geringere auf Arbeit, Kontrolle von Unternehmen, um kriminelles Verhalten im Keim zu ersticken, und statt Schutz der Märkte von der Politik, umgekehrt, Schutz der Politik vor der Wirtschaft, damit sich die Reichen nicht mehr die Regierungen kaufen können. 
Globale Institutionen, wie die OECD und der IMF, die ja nicht gerade für ihren antikapitalistischen Geist bekannt sind, haben in einer Reihe von Studien in den vergangenen Jahren darauf hingewiesen, dass in allen entwickelten Marktwirtschaften die Ungleichheit steigt und das das die entscheidende Quelle der Instabilität ist: 
Forscher des Internationalen Währungsfonds weisen in ihren jüngsten Arbeiten auf den Zusammenhang von Ungleichheit und Schuldenkrisen hin. 
Unsere Analyse, sagt einer der damit befassten Ökonomen, „basiert auf der Idee, dass die reichsten fünf Prozent ihre Einkommen so sehr erhöht haben, dass sie sie unmöglich ausgeben können. Man kann ja nur so und so viele Armani-Anzüge haben. Sie können nicht einmal genügend Unternehmen finden, die ausreichend profitabel sind, so dass sie das viele Geld investieren können. Das einzige, was ihnen bleibt, ist, das Geld über den Bankensektor zu verleihen. Währenddessen kriegen die anderen 95 Prozent einen immer kleineren Teil vom Kuchen. Sie müssen sich verschulden, um ihr Konsumniveau zu halten. Das Geld, das als Kredit von den Reichen zu den restlichen 95 Prozent wandert, türmt die Schuldenlast auf, unter der wir ächzen. Und auch der Staat hat Geld geliehen, um das Konsumniveau der weniger Wohlhabenden stabilisieren zu können.“
Auf diese Weise also, sagt der IMF – der IMF ! – sind Vermögenskonzentration und Schuldenkrise miteinander verbunden. 
Ich komme darauf noch zurück. Aber lassen Sie mich noch ein paar weitere Stimmen sammeln, damit wir einen Eindruck bekommen, wie breit dieser Chor schon ist: 
Nouriel Roubini, der große, iranischstämmige amerikanische Ökonom schlägt in dieselbe Kerbe. Und Roubini ist wirklich nicht irgendwer, ihn umgibt die Aura des Propheten, seitdem er ziemlich punktgenau die Weltfinan
zkrise vorhergesagt hat. Ihm hängt die Wall Street an den Lippen seither. Wissen Sie, was der unlängst geschrieben hat? Ich möchte Ihnen das hier ein bisschen ausführlicher zitieren: 
„Viele wissenschaftliche Studien, eine Studie des Internationalen Währungsfonds aus dem Jahr 2011 kommen zu dem Schluss, dass die wachsende Ungleichheit ein geringeres wirtschaftliches Wachstum nach sich zieht. Also, jenseits aller Fragen von Fairness und Gerechtigkeit erweist sich Ungleichheit sogar als schlecht, wenn man das traditionelle ökonomische Kriterium der ‚Effizienz‘ anlegt. (…).“
Wie aber kann man wieder mehr Gleichheit herstellen, fragt er? 
„Das Verhältnis zwischen dem Anstieg der Produktivität und wachsenden Einkommen der Arbeiter- und der Mittelklasse war niemals rein mechanisch; es brauchte Arbeiter, die in der Lage waren, ihre Chancen und Fähigkeiten zu verbessern und so ihre Produktivität zu steigern. Es brauchte dafür einen Wohlfahrtsstaat, der jene öffentlichen Güter bereitstellte, und auch die sozialen Sicherheitsnetze und die Rentensysteme, die das überhaupt erst ermöglichten. All diese Regierungspolitiken waren der Schlüssel dafür, den Anstieg der Ungleichheit zu reduzieren. (…) Die Möglichkeit für Arbeiter, sich selbst in Gewerkschaften zu organisieren und bessere Löhne zu fordern, hat ebenso dazu beigetragen, den Anteil von Arbeitnehmereinkommen am BIP zu stabilisieren und einen schärferen Anstieg der Ungleichheit zu verhindern. 
Der Aufstieg der Mittelklasse und der wachsende Lebensstandard der Arbeiterklasse waren also keineswegs die mechanische, quasi automatische Folge von wirtschaftlichem Wachstum, sondern das aktive Resultat verschiedener wirtschaftspolitischer Maßnahmen und Kräfte. Auch die soziale Mobilität – (also, die Möglichkeit zu gesellschaftlichem Aufstieg, Anm.) – war niemals das Resultat von Marktkräften, sondern das Ergebnis fortschrittlicher Wirtschaftspolitik, Fiskalpolitik, Steuerpolitik und Sozialpolitik. 
Um die Marktwirtschaften wieder zu stabilisieren, müssen wir also wieder zu der richtigen Balance zwischen den Märkten und den Bereitstellung öffentlicher Güter zurückkehren.“ 
Das sind also nur ein paar dieser bemerkenswerten Stimmen. Und lassen Sie mich nur einen Augenblick innehalten und noch einmal wiederholen, wieso wachsende Ungleichheit für eine kapitalistische Marktwirtschaft schlecht ist und inwiefern sie mit den wachsenden Instabilitäten am Finanzsektor verbunden ist. 
Wachsende Ungleichheit ist deshalb für eine kapitalistische Marktwirtschaft schlecht, weil damit Wachstumspotential verspielt wird. Wenn wir Wohlstandszuwächse haben, von den Wohlstandszuwächsen aber immer weniger bei den Normalverdienern ankommt, sinkt die Kaufkraft im Verhältnis zur produzierten Gütermenge. Die Nachfrage schwächelt. Das ist der unmittelbare Zusammenhang. 
Der mittelbare Zusammenhang: Viele Menschen, mehr Menschen als „notwendig wäre“ – ohnehin ein fragwürdiger Begriff, aber lassen wir in hier einmal so stehen – leben dann in beschränkten Einkommensverhältnissen. Erstens wegen der ungleichen Verteilung als solcher. Aber eben auch wegen weiterer mittelbarer Effekte: Eine Volkswirtschaft, die unter ihren Möglichkeiten bleibt, wird mehr Arbeitslosigkeit als notwendig haben, geringere Jobaussichten für viele Menschen. Fünf oder acht oder zehn Prozent der Menschen sind dann nicht in der Lage, ihre Talente zu entwickeln, sind gefangen in einer Spirale von Unsicherheit und Chancenlosigkeit, eine Chancenlosigkeit, die sie womöglich noch an ihre Kinder vererben. 
Wachstum unter den Bedingungen von relativer Gleichheit dürfen wir uns vorstellen wie eine kontinuierliche Flut, die alle Boote hebt. 
Unter den Bedingungen von krasser Ungleichheit wie eine Flut, die immer ein paar Boote an die Klippen wirft. 
Sehen wir uns jetzt aber etwas genauer an, wenn wir also gesehen haben, warum wachsende Ungleichheit makroökonomisch negative Auswirkungen hat, wie diese wachsende Ungleichheit mit Prozessen auf im Finanzsektor zusammenhängt und mit der wachsenden Instabilität am Finanzsektor. 
Zunächst können wir feststellen, dass die wachsende Ungleichheit selbst stark mit Umverteilungseffekten über den Finanzsektor zu tun hat. 
Wenn wir uns die Statistiken ansehen, ist dreierlei sehr deutlich: 
Erstens, wir haben eine Ungleichheitsentwicklung bei den Lohn- und Gehaltseinkommen. Die Lohn- und Gehaltseinkommen der Niedrigverdiener stagnieren oder sinken, während die der Besserverdienenden steigen, und die der Bestverdiener rasant steigen. Bei den Lohn- und Gehaltseinkommen. 
Aber die Ungleichheitsschere ist nicht so groß, wie wenn wir uns dann alle Einkommensarten ansehen. Wenn wir uns alle Einkommensarten ansehen, dann ist die Ungleichverteilung deutlich größer. 
Das heißt, Einkommen aus Kapitalbesitz, aus Finanzkapital, Immobilienbesitz, aus anderen Kapitalanlagen, stieg deutlich stärker. Das heißt, der Finanzsektor als ganzer war ein Motor der Ungleichverteilung, der entscheidende Motor, in den vergangenen Jahrzehnten. 
Und deshalb stieg auch die Ungleichverteilung der Vermögen deutlich stärker als die Ungleichverteilung der Lohn- und Gehaltseinkommen. 
Das war im übrigen nicht nur ein Prozess, der einfach so von „den Märkten“ hergestellt wurde, sondern die großen Finanzmarktakteure haben ihre Macht auch eingesetzt, um Vorteile zu erzielen. Etwa im Steuersystem. Wenn Einkommen aus Finanzgewinnen deutlich niedriger besteuert werden als Lohn- und Gehaltseinkommen ist das eine Privilegierung einer bestimmten Einkommensart gegenüber anderen Einkommensarten. 
Der Finanzsektor war also der entscheidende Motor der Ungleichverteilung. 
Und das alleine führte wiederum zu einer Reduktion von Wachstumspotential, denn erinnern wir uns daran: Wer Kapital besitzt hat immer mehrere Möglichkeiten, sein Kapital anzulegen um auf künftige Renditen zu hoffen: 
Er kann sich Wertpapiere kaufen, um reine Kursgewinne zu lukrieren. 
Oder er kann produktiv in Unternehmen investieren, um dann Unternehmensprofite zu machen. 
Erstere Investition spekuliert darauf, Umverteilungsgewinne auf bereits realisierte Werte zu machen. 
Zweitere produziert neue Werte, ist also produktiv. 
Jedes Wirtschaftssubjekt trifft immer wieder solche Entscheidungen, ich hab es Ihnen schon gesagt: Wenn Sie ein Eigenheim wollen, können Sie entscheiden, baue ich mir ein Haus, oder kaufe ich ein Haus, das schon existiert? 
Und wenn Sie mehr Geld haben, sagen wir eine Million Euro, können Sie entscheiden: Gründe ich eine Firma, die irgend etwas Nützliches herstellt? Oder investiere ich am Finanzmarkt? 
Und wenn dann, durch Steuersysteme ua. die Finanzmarktinvestitionen begünstigt sind, dann werden sie eher diese Investitionen vornehmen. 
Wir sind an diesem Punkt jetzt übrigens schon an einer kritischen Frage: Es könnte ja sein, dass, aufgrund der kapitalistischen Entwicklung, der Sättigung von Märkten, dem Erreichen eines bestimmten Produktivitätsniveaus, die Profite, die ich aus produktiven Investitionen erzielen kann, irgendwann notwendigerweise sinken, und dass dies die eigentliche Ursache für die Aufblähung des Finanzsektors war. Dann sind wir tatsächlich in einer neuen Ära, und dann würden die Lehren aus der alten Ära tatsächlich von gestern sein, und uns für heut
e nichts mehr bringen. 
Es könnte sein, dass das ein Element war in diesen Prozessen, aber gerade dann, wenn das ein Element ist, ist das ein Grund mehr, Finanzanlagen und -gewinne nicht auch noch zu privilegieren. 
Lassen Sie mich jetzt weiter gehen. Wir haben ja schon andeutungsweise gehört, wie Vermögenswachstum und Finanzmarktinstabilität zusammenhängen: Vermögen müssen immer Schulden gegenüber stehen. 
Denn Vermögen sind in aller Regel Zahlungsverpflichtungen, und Finanzvermögen sind es immer. 
Der Vermögende besitzt einen Zettel. Der ist eine Million Euro wert. Das heißt, dieser Wert besteht darin, dass da drauf steht, irgend jemand anderer, ein Kreditnehmer, ein Schuldner, zahlt ihm zu einem angegebenen Zeitpunkt die eine Million. Das heißt, Finanzvermögen und Schulden sind immer Null. Was aber auch heißt: Wenn die Vermögen wachsen dann wachsen auch die Schulden. 
Das heißt, die astronomischen Vermögen mancher Wirtschaftssubjekte und die Verschuldung – und Überschuldung – anderer Wirtschaftssubjekte hängen zusammen. 
Das ist der Mechanismus, der die wachsende Ungleichheit und die wachsende Instabilität des Finanzsektors miteinander verbindet. 
Man kann das als eine Kumulation des Negativen erzählen. 
Aber daraus ergibt sich schon, dass auch die Gegenstrategien eine Kumulation des Positiven wären, eine Win-Win-Strategie. 
Stellen wir uns vor, wir bekämpfen die wachsende Ungleichheit: 
Wir sorgen dafür, dass Niedrigverdiener wieder bessere Gehälter bekommen. 
Wir sorgen dafür, dass die Einkommenszuwächse an der Spitze wieder mäßiger ausfallen.
Wir sorgen dafür, etwa über ein entsprechendes Steuersystem, dass die hohen Vermögen ein wenig reduziert werden. 
Dann haben wir nicht nur eine gleichmäßigere Verteilung von Gehaltseinkommen, Einkommen generell und Vermögen, sondern wir haben auch die Schulden reduziert. 
Ist das möglich? 
Natürlich ist das möglich: Bessere Gehälter für schlechtverdienende Haushalte und Normalverdiener setzt die in die Lage, ihre Schulden zurückzuhalen. 
Vermögenssteuern, die der Staat einhebt, reduzieren die Vermögen, und geben den Staaten die Möglichkeit, ihre Schulden zu reduzieren. 
Ich habe das in den vergangenen Wochen schon mehrmals in der Diskussion angedeutet, dass es grundsätzlich drei Möglichkeiten gibt, aus einer Schuldenkrise herauszukommen, und dass vernünftigerweise alle drei Möglichkeiten angewandt werden: 
Vermögenssteuern, die progressiv die hohen Vermögen reduzieren
Inflation, muss gar nicht hoch sein, die alle Vermögen reduziert und den realen Schuldenstand reduziert, selbst dann, wenn die Schuldenstände nominell gleich bleiben
Und Wachstum, das die Schulden relativ reduziert. 
All das bedeutet, die Zahlungsverpflichtungen, die innerhalb einer Ökonomie – oder der globalen Ökonomie, das macht keinen prinzipiellen Unterschied – zu reduzieren. Damit kommen wir aber zu dem nächsten Problem. 
Wir haben gehört, dass ein Boom mit Kreditwachstum verbunden ist, und dass ein Wachstum, das sich abschwächt, mit Kreditkontraktion verbunden ist. 
Das heißt also, wenn wir Vermögen- und Schulden reduzieren wollen, dann ist das ja nichts anderes, als dass wir eine sukzessive Kreditkontraktion herstellen wollen, gewissermaßen planmäßig, dass wir uns damit aber möglicherweise langfristig schwächeres Wachstum einhandeln. 
Das heißt also, dass wir hier möglicherweise in einer Situation sind, die man in der Theorie als „Zielkonflikt“ definiert: dass man zwei Ziele hat, die sich gegenseitig aber ausschließen. 
Nun wird das in der realen Welt nicht immer so heiß gegessen, wie geglaubt. Wir sind ja im täglichen Leben sehr geschickt darin, mit „Zielkonflikten“ umzugehen. Man könnte auch sagen: Dauernd verlangt das Leben von uns die Quadratur des Kreises, und wir sind sehr geschickt in der Quadratur des Kreises. 
Wir wollen unsere Kinder umhätscheln. 
Aber wir wollen auch, dass sie selbständige Individuen werden. Dass sie flügge werden. 
Kriegen wir in der Regel auch gut hin diese Quadratur des Kreises. 
Man kann diese Quadratur des Kreises wohl auch hinkriegen. Kreditkontraktion, bei gleichzeitiger Privilegierung von Investitionen in die Realökonomie, bei gleichzeitiger Stabilisierung der Nachfrage durch eine gleichmäßigere Einkommens- und Vermögensverteilung, und schwächeres, aber stabiles Wachstum bei gleichzeitiger langsamer Reduktion der Schuldenlast durch eine Inflation von drei, vier Prozent, bei gleichzeitig niedrigen Zinsen von ein, zwei Prozent. 
So könnte das ökonomisch klappen. 
Wäre da nicht diese Sache mit dem Wachstum. Schon wieder ein Zielkonflikt.  
Wachstum ist für Volkswirtschaften der beste Weg, ihre Schulden abzubauen. Die Vereinigten Staaten etwa hatten nach der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg einen Staatsschuldenstand von 120 Prozent des BIP und die Schulden wurden praktisch nie zurückgezahlt. Sie blieben einfach. Aber sie betrugen irgendwann einmal nur mehr 25 Prozent des BIP, weil das BIP so gewachsen ist. 
Aber nun gibt es einige Argumente dafür, dass wir in den großen, entwickelten Marktwirtschaften mit solchen Wachstumsraten nicht mehr rechnen können. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Argumente so plausibel sind. Aber es gibt noch ein anderes Argument: Dass solche Wachstumsraten auch nicht erstrebenswert sind. 
Wegen der ökologischen Krise. 
Weil eine Ökonomie des „immer mehr“ unseren Planeten ruiniert. 
Wegen der immer knapper werdenden Ressourcen. 
Nun möchte ich sie daran erinnern, was BIP und BIP-Wachstum und Schulden überhaupt heißen. Das BIP ist ein Geldwert, es misst den Output an Gütern und Dienstleistungen einer Gesellschaft in Marktpreisen. 
Das heißt: Es misst Geld. Es misst nicht, ob es uns gut geht. Es misst auch nicht, ob viele Ressourcen verbraucht werden, oder wenige, ob sie zu guten Zwecken verbraucht werden, oder zu schlechten. 
Wird ein Kraftwerk gebaut, das die Umwelt verpestet, wächst das BIP. 
Wird ein Kraftwerk gebaut, das die Umwelt nicht so verpestet, wächst es auch. 
Wird ein Kraftwerk gebaut, das die Umwelt nicht so verpestet, und eines, das sie verpestet, wird abgerissen, wächst es mehr. 
Wenn wir fünf Prozent der männlichen Bevölkerung ins Gefängnis sperren, dann wächst das BIP, weil die Gefängnisse gebaut werden müssen, und die Gefängniswärter ein Einkommen haben. 
Stehen wir im Stau, wächst das BIP, weil wir Sprit ve
rbrauchen, und die Ölfirmen Einkommen haben. 
In Wien wird so viel Brot weggeworfen wie in Graz gegessen – das ist total gut für das Wiener BIP weil erst verdient der Bäcker, dann der Müllmann. 
Wenn ein evangelischer Pfarrer seine Haushälterin heiratet, sinkt das BIP. Weil vorher hat er sie bezahlt. Hinterher ist sie seine Gattin, und sie bezieht kein Einkommen. Aber sehr wahrscheinlich sind die glücklicher, weil sie ja jetzt ein Paar sind, aber das BIP ist gesunken.
Also, das BIP ist ein dummer Wert. Er misst nicht, ob es uns gut geht. Er misst auch nicht, ob Ressourcen verbraucht, oder geschont werden, oder ob überhaupt eine Produktion vorliegt, bei der Ressourcen verbraucht werden: Wenn ich mir bei Ihnen eine Massage kaufe, ist der Ressourcenverbrauch recht gering. 
Also, all das misst das BIP nicht. 
Aber eines misst es schon, und deshalb ist es auch nicht völlig dumm, das BIP: Die Einkommen aller Wirtschaftssubjekte in einer Volkswirtschaft in inflationsbereinigten Marktpreisen. Und wie das wächst. Und damit misst es exakt das, was in unserem Zusammenhang wichtig ist. 
Denn da mag dieses BIP noch so ein dummer Wert sein: Wenn wir in einer Volkswirtschaft einen bestimmten Wert an Verschuldung haben, so dass die Wirtschaftssubjekte ohnehin schon ächzen, und dann sinkt ihr Einkommen auch noch, dann wird das ein Problem. Oder auch, wenn das Einkommen stagniert. Wenn es aber nicht stagniert, sondern wächst, und die Schulden bleiben gleich, dann entspannt sich dieses Problem. 
Also, die entscheidende Frage ist nun: Kann es BIP-Wachstum geben, also Wachstum der produzierten Güter und Dienstleistungen gemessen in Marktpreisen ohne Wachstum des Ressourcenverbrauches? Oder sogar bei Sinken des Ressourcenverbrauches? 
Theoretisch gewiss. Angenommen, eine Volkswirtschaft produziert heute eine bestimmte Gütermenge und um Recycling hat sie sich bisher noch nicht gekümmert. Dann sind die Einkommen in dieser Volkswirtschaft die Einkommen der Produzenten dieser Gütermenge – oder die Einkommen aus dem Verkauf dieser Gütermenge. 
Stellen wir uns vor, dieselbe Volkswirtschaft produziert dann morgen etwas weniger von dieser Gütermenge, kümmert sich aber um Recycling, so dass die niedrigeren Einkommen aus der Produktion und die dazu hinzukommenden Einkommen aus dem Recycling exakt die Höhe des früheren Einkommens ausmachen, dann ist diese Volkswirtschaft nicht geschrumpft, auch nicht gewachsen, aber ihr Ressourcenverbrauch ist gesunken. 
Es gab Nullwachstum, aber eine Schrumpfung des Ressourcenverbrauchs. 
Wenn das so ist, können wir uns natürlich auch eine Wirtschaft vorstellen, die ein wenig wächst, und in der der Ressourcenverbrauch sinkt oder zumindest nicht wächst. 
Theoretisch. Praktisch ist das sehr unwahrscheinlich. Wachstum hat immer zwei Folgen: Erstens, werden mehr Güter produziert, und selbst, wenn man die umweltschonender produziert, wird immer ein kleiner Zuwachs an Ressourcenverbrauch dazu kommen. Zweitens haben die Bürger mehr Einkommen und kaufen weitere Güter, und möglichweise konsumieren sie zusätzlich nicht nur Massagen, sondern iPhones. Also, die mögliche Einsparung an Ressourcen wird durch Ausweitung des Konsums unter Umständen völlig aufgewogen. Oder zumindest ein wenig. Selbst unter den besten Bedingungen „grüner Produktion“. 
Das ist ein Problem. 
In der Praxis könnte man sich nun vorstellen, dass wir eine zeitliche Kombination brauchen: Wachstum, um von den Schulden runter zu kommen, und wenn das dann gelungen ist, eine Verflachung der Wachstumskurve. 
Ob eine kapitalistische Marktwirtschaft irgendwann einmal völlig ohne Wachstum auskommen kann, ist freilich für sich gesehen fraglich: Wir haben ja gehört, eine kapitalistische Marktwirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass Wirtschaftssubjekte – Unternehmen meist – sich verschulden, als Wette auf wachsende zukünftige Erträge. Wie diese Innovation von statten gehen soll, ohne das zukünftig wachsende Erträge zu erwarten sind, – im Aggregat ! – ist die große Frage. Oder besser: Das große Fragezeichen!
Also, das sind die drei wirklich großen Fragezeichen, die ich ihnen hier geschildert habe. 
Sättigungsgrad, sodass großes Produktivitätswachstum nicht mehr wahrscheinlich ist
Kreditkontraktion, ohne Wachstum abzuwürgen
Ob Kapitalismus ohne Wachstum möglich ist, oder ob Wachstum und schonenderer Umgang mit Ressourcen möglich sind. 
Jenseits dieser drei Fragezeichen ist aber sonnenklar, dass ein ökonomisches Arrangement erreicht werden kann, das sowohl gerechter ist, als unser gegenwärtiges, und auch stabiler ist, als unser gegenwärtiges. Und was in etwa getan werden muss, um eine solche zweite Zähmung des Kapitalismus hinzukriegen. 
Unsere Krise hat vielfältige Ursachen und wird kaum mit Einzelmaßnahmen in den Griff zu kriegen sein. Also, zu glauben etwa, mit Finanzmarktregulierung alleine ist es getan, wäre blauäugig. 
Aber Finanzmarktregulierung ist ein wichtiger Punkt. 
Ich habe in den ersten Einheiten geschildert, wie Finanzmärkte aus endogenen Kräften heraus für Instabilität sorgen, wie sie immer mehr Risiken aufeinandertürmen. Regulierung von Finanzmärkten muss also im Auge haben, wie diese Risikokumulation unterbunden werden kann. 
höhere Eigenkapitalquoten, höhere Mindestreservesätze
Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken, und die Investmentbanken nicht auch noch bevorzugen (niedrigere Eingenkapitalquoten ! bisher) 
Konsumentenschutz für Käufer von Finanzmarktprodukten. TÜV für Finanzmarktprodukte. 
Verbot mancher Finanzmarktprodukte, die nur wenig positive und sehr viele negative Effekte haben.
Keine weiteren gesetzlichen Maßnahmen, die Finanzmarktaktivitäten begünstigen, die also einen Anreiz darstellen, reine Finanzmarktaktivitäten gegenüber produktiven Investitionen zu begünstigen. 
Transaktionen in Steueroasen einfach verbieten, Spekulative Investitionen auf Rohstoff- und Lebensmittelmärkten, Leerverkäufe.
Möglicherweise ein Verbot vollständiger Verbriefung. Kreditvergabe und Kreditrisiko müssen verbunden bleiben. 
Das sind nur ein paar Stichworte. Man muss die Spielregeln für die Finanzindustrie einfach neu schreiben. 
Mindestens so wichtig ist: 
eine Lohnpolitik, die dafür sorgt, dass die Lohnsumme mit der gleichen Rate wächst wie das BIP. 
Dafür sind staatliche Mindes
tlöhne wichtig. Und auch eine generöse Mindestsicherung ohne großen Arbeitszwang. -> Gehaltspyramide! 
Starke Gewerkschaften. Regierungspolitik hat darauf Einfluss. 
Eine Reduktion der Vermögensungleichheit durch: 
Erbschaftssteuern (oder Vermögenssubstanzsteuer). Erbschaftssteuern sicher leichter zu kassieren als jährliche Substanzssteuer. 
Kann man sich ruhig auch raffinierte Modelle ausdenken, um alle Vermögensarten gleich und gerecht zu besteuern. Finanzvermögen. Immobilienvermögen. Unternehmenserbschaften (Staat stiller Teilhaber). 
Reduktion der Steuern auf Löhne und Gehälter. Staatsquote muss nicht steigen!
Investition in öffentliche Güter! 
Öffentliche Dienstleistungen.
Kindergärten, Schulen, höhere Bildung. 
Herstellung wirklicher Bildungsgerechtigkeit
Kein Kind darf verloren gehen. 
Demographische Entwicklung. Wir brauchen Jede! Wir brauchen Jeden!
Man sagt uns ja, wegen der demographischen Entwicklung sind unsere Rentensysteme nicht nachhaltig. Erstens ist schon fraglich, ob das so ist. Aber es ist ja auch egal. Man kann ja der Meinung sein, dass es wichtigere Dinge gibt, als Leuten zu finanzieren, von ihrem 59. bis zum 86. Lebensjahr als Rentner zu leben. Und dass es knappe Ressourcen gibt, ist ja klar. 
Aber die eigentliche entscheidende Größe ist ja das Verhältnis der Beschäftigten zu den Nicht-Beschäftigten. 
Wenn mehr Leute eine gute Beschäftigung haben, dann entspannen sich auch die Finanzierungsengpässe. Wenn ich aber von jeder Generation 7, 8 oder 9 Prozent ohne gute Ausbildung auf den Arbeitsmarkt werfe, dann reduziere ich den Wert auf der Beschäftigtenseite. 
Gute Jobs, die man als erfüllend erlebt, als sinnvolle Tätigkeit, dann kann ich auch das Rentenantrittsalter erhöhen. Oder besser: dann erhöht es sich eh von selbst!
Krisen führen immer zu einer Reduktion des Rentenantrittsalters: Weil weniger Jobs da sind. Weil Leute aus der Arbeitslosigkeit in die Rente wechseln. Weil das Arbeitsklima schlechter wird, und die Leute sagen: Jetzt hab ich genug. 
Wir müssen uns aber auch überlegen, ob der Staat nicht wieder mehr Arbeitsplätze selbst anbieten soll. Der Staat hat ja in etwa zwei Aktivitäten am Arbeitsmarkt: er bietet Jobs in der staatlichen Verwaltung, für Lehrer, Beamte, etc. 
Und er bezahlt Arbeitslosengeld, Mindestsicherung, betreibt Jobvermittlung und Qualifizierung über die berühmten AMS-Kurse. 
Ich will hier die Frage aufwerfen, ob der Staat nicht direkt wieder Jobs für Arbeitslose schaffen soll, also wirklich aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben soll. 
Weil es immer sinnvoller ist, Aktivität zu finanzieren als Inaktivität zu alimentieren. 
Das ist eine Frage, mit der ich mich auf ideologisch vermintes Terrain begebe. 
Einerseits gibt es die Anhänger eines garantieren Grundeinkommens, die sagen: weg mit dem Arbeitszwang! Entkoppeln wir Arbeit und Einkommen, reduzieren wir damit auch die Bedeutung des Jobs für die Identität! Für die wären staatliche Jobprogramme ein rotes Tuch. 
Andererseits würden auch viele Unternehmen in diesen Chor einstimmen: Mit Jobprogrammen würde der Markt verzerrt werden. Wenn der Staat Werkstätten eröffnet oder Dienstleistungen finanziert, wo er vorher Arbeitslose einstellt, dann werden die Firmen, die da vorher aktiv waren, aus dem Markt gedrängt. Überspitzt formuliert: Wenn der Staat Putzkolonnen zusammen stellt, was wird dann aus den armen Putzfirmen? Dahinter steht sehr klar auch die Ideologie, dass der Markt immer bessere Lösungen anbietet als der Staat. Na, angesichts der Erfahrungen mit dem Markt in den vergangenen Jahren mache ich mir da nicht so viele Sorgen. 
Ich denke, es ist immer besser, wenn man Menschen eine berufliche Betätigung finanziert statt Arbeitslosigkeit. Erstens, weil man ihnen Qualifikation vermittelt und die Qualifikationen, die sie haben, sichert. Zweitens weil man ihnen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht (Aktion 8000!). Drittens, weil sie da auch Phasen überbrücken können, ohne völlig dequalifiziert zu werden, in denen sie de fakto nicht gut in den Arbeitsmarkt einsteigen können (zB. alleinerziehende Mütter). Viertens, weil sie damit natürlich produktiv zum Reichtum einer Gesellschaft beitragen. Und fünftens, wegen der fatalen Langzeiteffekte von andauernder Arbeitslosigkeit. 
„die wollen ja nicht arbeiten“, ja, wenn man dauerhaft ausgeschlossen ist vom Arbeitsmarkt und dauerhaft Demütigungen erlebt, dann wird man einmal antriebslos, aber man war es vielleicht nicht von vornherein. 
Also, ich denke, auch dafür sollten wir uns stark machen. Aber ohne großen Arbeitszwang. Nicht nur, weil es fragwürdig ist, Menschen Zwang anzutun, sondern weil Arbeitszwang als unintendierte Nebenfolge immer zu Lohnreduktion führt!
Ich will zum Schluss kommen. 
Die Frage des Abends hat – provokativ – gelautet: Kann es einen guten Kapitalismus geben? 
Ich wollte hier zeigen, dass es natürlich auch heute Wege gäbe, die Marktwirtschaft stabiler und gerechter zugleich zu machen. Dazu gehören, um das noch einmal grob zu rekapitulieren: 
eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und eine strenge Regulierung derselben, aber nicht, um die Märkte auszutrocknen, sondern um dafür zu sorgen, dass sie ihre produktive Funktion wahrnehmen können, nämlich die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen. 
Eine Reduktion der kumulierten Ungleichheiten. 
Eine Lohnpolitik, die die Lohnquote mindestens stabil hält, sie in Wirklichkeit ausweitet, und damit ein Wachstum der Lohnsumme mindestens parallel zum Wachstum des BIP
Eine Fülle von Regierungspolitiken, die dafür sorgen, dass alle Bürger und Bürgerinnen ihre Talente entwickeln können und ein gutes Leben führen können. 
Und damit natürlich eine sukzessive Ausweitung der staatlichen Aktivitäten. 
Ob das ökonomische Arrangement, das dann am Ende rauskommt, Kapitalismus heißt, oder soziale Marktwirtschaft, oder Wohlfahrtsstaat, oder Sozialismus, ist mir eigentlich egal. Also, die Terminologie ist mir wurscht. 
Namen interessieren mich da nicht. Und es ist natürlich klar, dass einer solchen Entwicklung viele Hindernisse im Weg stehen. Ökonomische. Aber nicht nur ökonomische. Etwa auch politische Hindernisse. Wer sind die politischen Kräfte, die sich für so etwas stark machen? Wo
sind die Bürger, und wie sind sie bereit – aber auch in der Lage – sich für so etwas zu engagieren, sich dafür stark zu machen? Denn solche Politiken entwickeln sich weder von alleine, noch, weil kluge, weitsichtige Politiker einfach aufgrund des Einsehens in das, was richtig ist, sie umsetzen könnten. Und selbst wenn, stellt sich ja die Frage: Wo kommen die guten Politiker her? Die fallen ja auch nicht vom Himmel. Es geht hier nicht immer nur um das Einsehen in das Richtige, sondern immer auch um Macht. 
Ist mir schon klar. Aber in dieser Vortragsreihe ging es nicht um die Unzulänglichkeiten unseres politischen Systems, sondern um Ökonomie. 
Ja, es geht um Macht und um ökonomische Interessen, die sich mit Macht paaren oder in politische Macht übersetzen. 
Aber gleichzeitig geht es nicht nur um Interessen in einem engen Sinn. 
Denn die ökonomische Politik, die ich skizziert habe mit groben Strichen, ist ja nicht nur für diejenigen gut, die direkt von ihr profitieren -> für die Unterprivilegierten, oder wie wir sie immer nennen wollen. 
Mehr Gleichheit, gleiche Chancen, Gleichverteilung, Regulierung von Finanzmärkten, stabile Konsumnachfrage, das ist für die Unterprivilegierten gut, aber nicht nur für sie. Es ist, letztendlich, für alle gut, und am Ende des Tages sogar für diejenigen, die heute die Profiteure von Ungleichheit und Ungerechtigkeit sind. 
Also, es geht nicht nur um Interessen oder um Klassenkampf oder so was, sondern letztendlich um das, was für eine Gesellschaft als Ganzes, für das Gemeinwesen, das Gemeinwohl, das beste ist!
Und ich bin der festen Überzeugung, aber ich glaube auch, für diese Überzeugung gute Argumente zu haben, und hoffe, Ihnen in den vergangenen fünf Abenden – also 10 Stunden ! – gute Argumente präsentiert zu haben, dass ein solcher ökonomischer Kurswechsel notwendig ist, dass er möglich ist, und dass wir alle – als Gesellschaft, als Gemeinwesen – langfristig von ihm profitieren würden, sogar dann, wenn einige kurzfristig etwas abgeben müssten. 
Ich danke Ihnen, dass Sie mir so aufmerksam zugehört haben. Ich hoffe, Sie überzeugt zu haben. Und ich hoffe, für den Fall, dass Sie davor schon überzeugt waren, was man ja nicht ausschließen kann, ihnen wenigstens ein paar gute Argumente gebracht zu haben, die Ihnen eine Hilfe sind, andere zu überzeugen, sich mit mir, mit Ihnen, gemeinsam für einen solchen Kurswechsel einzusetzen. 
Ich danke Ihnen. 

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