Rosa Luxemburgs Büffel

From My Archives: Eine Kolumne, die ich Profil geschrieben habe, 24. Juni 1996

Wer erinnert sich noch an Erich Honecker? Der sprach, drei Wochen vor seinem Sturz, einen denkwürdigen Satz: „Den Sozialismus in seinem Lauf / hält weder Ochs noch Esel auf.“ Man hielt das damals für den originellen Reim eines greisen Staatsmanns, der seine Felle davonschwimmen sah. War das ein Irrtum? Darauf deutet ein bemerkenswertes Dokument hin, das dieser Tage in der Berliner Zeitschrift „Das Argument“ erschien und drängend eine Frage aufwirft: Welche Rolle spielt das Huftier in der Weltrevolution?

Bislang war dieses Thema ja kaum behandelt worden, und wenn, dann in eher allegorischer Art, wie etwa durch George Orwell in seiner „Animal Farm“. Doch nun kam der denkwürdige Brief der Revolutionärin Rosa Luxemburg ans Licht, die 1917 im Frauengefängnis zu Breslau inhaftiert war und dort einem als Nutztier eingesetzten Büffel begegnete, dem seine Haut, zerrissen von den Peitscheinhieben seiner Häscher, vom Rücken hing. Rosa Luxemburg berichtet über diese Untat in einem Brief an eine Genossin: „O mein armer Büffel, mein armer, geliebter Bruder, wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumpf und sind nur eins im Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht; der Soldat aber steckte beide Hände in die Hosentaschen, spazierte mit großen Schritten über den Hof, lächelte und pfiff einen Gassenhauer.“

Den heute beinahe vergessenen Brief der Jeanne d’Arc der
deutschen Revolution, die man ab nun auch mit vollem Recht die Heilige Johanna
der Schlachthöfe wird nennen können, wurde seinerzeit von Karl Kraus bekannt
gemacht, der ihn in vielen Lesungen vortrug und später notierte: „Der
tiefste je in einem Saal bewirkte Eindruck war die Vorlesung des Briefes von
Rosa Luxemburg.“

Eine Innsbrucker Großgrundbesitzerin, immerhin Abonnentin
der „Fackel“, sah das anders und schalt die damals schon ermordete
Klassenkämpferin eine rührselige Aufwieglerin, die, wäre es ihr möglich gewesen,
„denn Büffeln Revolution gepredigt und ihnen eine Büffel-Republik
gegründet“ hätte.

Ich war wie elektrisiert, als ich diese Zeilen las. Sofort
sprang ich in die U-Bahn und besuchte den (Ost-)Berliner Tierpark, wo die
Büffel, Pferde und Wisente nicht – wie im (West-)Berliner Zoo – ihr trübes
Dasein in engen Gehegen hinter Gittern fristen müssen, sondern auf weiten,
saftigen Weiden traben, vom Besucher durch künstliche Kanäle getrennt.

Ich wollte schon ein Hohelied auf die untergegangene DDR und
auf die Erfüllung des Vermächtnisses der Rosa Luxemburg anstimmen – da kam mir
der Satz eines Mädchens ins Gedächtnis, mit dem ich den Tierpark vor Jahren
besucht hatte und das meine Begeisterung damals mit den Worten dämpfte, man
habe hier zwar den Tieren die Freiheit gelassen, dafür aber um die Menschen
eine Mauer gebaut. 

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