Politik der Angst – Angst der Politik. Über Boston, Steinbrück, Thatcher…

Die Berliner „tageszeitung“ hat dieses Wochenende ja einen saftigen Relaunch hingelegt. Und Teil dieses Relaunches ist die Kolumne „Der Rote Faden“, die künftig von mir und anderen alternierend geschrieben wird. Also, einmal im Monat gibt es da ab jetzt von mir so eine Art Wochenschau. Hier die Startkolumne. 
Das Ausmaß des Schreckens, den Terroranschläge wie die von Boston verbreiten, steht in keinem Verhältnis zu den Opferzahlen. Man soll das bitte nicht zynisch auslegen. Verglichen mit dem tausenden Opfern von Gewaltverbrechen, die jährlich in den USA zu beklagen sind, nehmen sich ja drei Tote, so grauenhaft der Verlust für die Angehörigen ist, doch nicht als große Story aus. Aber es ist eben gerade das Charakteristikum terroristischer Anschläge, Angst und Schrecken auszulösen. Terrorismus pflanzt das Gefühl alltäglicher Bedrohung in die Gemüter. 
Die Terroristen haben schon gewonnen, wenn die Bürger sich schrecken lassen. Terrorismus ist Politik mit der Angst. 
Politik und Angst sind aber noch auf viel alltäglichere Weise miteinander verbunden. Ein Großteil unserer Probleme entstehen (oder werden nicht gelöst), weil irgendjemand Angst hat. Etwa, weil Leute nicht tun, was eigentlich getan werden müsste, aus Angst vor den Konsequenzen. Dass Politiker etwa keine großen Schritte wagen, aus Angst, sie könnten stolpern; aus Angst, ein Risiko einzugehen. 

Vom großen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt ist ja die Wendung legendär, „wir haben nichts zu fürchten als die Furcht selbst“. Eine Formel, die ein wenig an die Hegelsche These erinnert, dass die Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist. 
Womit wir bei der gegenwärtigen Performance der deutschen Opposition und insbesondere der Sozialdemokratie sind, die sich ja in der Vorwoche bei ihrem Parteitag in Augsburg Mut machen wollte. Spitzenkandidat Peer Steinbrück tat kund, er wolle Bundeskanzler von Deutschland werden, eine Aussage, die die Delegierten offenbar derart verblüffte, dass sie sich zu minutenlangen Ovationen erhoben. 
Nun sind ja eine Reihe von Theoremen im Umlauf, warum die SPD, trotz der politischen Bilanz einer Merkel-Regierung, die drauf und dran ist, Europa zu zerstören, nicht in die Gänge kommt. Aber ich denke, auch in dieser Hinsicht spielt Angst eine wichtige Rolle. Wolfgang Münchau hat ja in einer seiner jüngsten Spiegel-Online-Kolumnen die Frage gestellt, warum die Sozialdemokraten so unfähig sind, diese wirtschaftliche und soziale Katastrophe zu thematisieren. Ich würde sagen: Aus Angst. Aus Angst, damit bei der Bevölkerung „nicht durchzukommen“; paralysiert vor Furcht, mit einem großen Kurswechsel-Konzept, das auf makroökonomischen Verständnis basiert, würde man sich vom Mainstream – der berühmten „Mitte“ – zu weit entfernen. Was ja nichts anderes heißt: Man traut sich gar nicht zu, diesen Mainstream zu beeinflussen oder gar zu verändern. 
Wobei die SPD natürlich den Spagat zuwege bringt, die inhaltliche Verzagtheit mit einem Kandidaten zu kombinieren, der keine Scheu hat, sich um Kopf und Kragen zu reden. Aber von dieser Eigentümlichkeit einmal abgesehen: Die Sozialdemokraten, und das gilt letztlich für alle in Europa, sagen ja manchmal auch die richtigen Dinge. Aber sehr verhalten eben und in diesem defensiven Habitus, der ihnen gewissermaßen zur zweiten Haut geworden ist. Bloß, wie sollen Leute überzeugend wirken, denen man schon von weitem ansieht, dass sie Angst haben? Wie so oft setzt sich der größte Blödsinn nicht wegen der Macht der Blödsinnigen durch, sondern wegen der Angst und dem Kleinmut derer, die es eigentlich besser wissen sollten. 
Manche Leute wagen es schon nicht mehr, auch nur eine grobe Pointe zu formulieren, wegen des Shitstorms, der sich danach über sie ergießen könnte. Vielleicht ist das das Geheimnis hinter dem anhaltenden Erfolg der politischen Comedy. Weil Comedians alles sagen können, da sie sich im Notfall ja darauf berufen können: Hoppla, Satire! So wie meine Lieblingsentertainer Dirk Sterman und Christoph Grissemann, die im ORF die vielgesehene Show „Willkommen Österreich“ performen. Die haben vergangene Woche wieder einen schönen Satz geprägt: „Margaret Thatcher ist tot. Ärzte bezeichnen ihren Gesundheitszustand als zufriedenstellend.“ Damit haben sie auf ihre Weise die alte Weisheit interpretiert, dass man über Tote nur Gutes sagen soll (was ja ursprünglich hieß, man soll über sie nur „rechtes“ sagen, also richtiges). 
Ich persönlich freue mich nicht über den Tod von Margaret Thatcher. Warum sollte ich auch? Von ihr ging ja keine Gefahr mehr aus. Aber zu früheren Zeiten war sie ein ganz schlimmer Finger und sie hat die Welt zu einem schlechteren Ort gemacht. Die Eiserne Lady, sie roste in Frieden. Und dass sie, die große Privatisiererin, jetzt ein Staatsbegräbnis bekam, das keineswegs vom bestbietenden Unternehmen am freien Begräbnismarkt ausgerichtet wurde, ist doch auch eine amüsante Pointe. 
In Comedy-Formaten kann man noch so formulieren. Wer aber in ernsten Textsorten sich nur ein paar Milimeter von der scheinbar sicheren Seite entfernt, der muss damit rechnen, dass ihm der Shitstorm um die Ohren bläst. Ich kann mir vorstellen, dass das weniger streitlustige Leute dazu motiviert, vielleicht ein bisschen kürzer zu treten. Vielleicht hat der Einheitsbrei, den viele beklagen, ja auch einfach mit Angst zu tun. 
Thumbnail image for Thumbnail image for Thumbnail image for Thumbnail image for Thumbnail image for Thumbnail image for Thumbnail image for Thumbnail image for Thumbnail image for Blog etwas wert.JPG

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.