Der Rücktritt

Blumig im Abgang. Meine taz-Kolumne „Der rote Faden“ vom vergangenen Samstag. 
Vor einiger Zeit war ich als Diskutant bei der Präsentation des Buches „Tretet zurück!“ eingeladen. Mir zur Seite saß ein wirtschaftliberaler Christdemokrat, der vor gefühlten hundert Jahren als Minister zurückgetreten war, weil er die Unterstützung seiner Partei – der österreichischen Volkspartei – schwinden fühlte, und der gerade eben wieder einmal von seinem jüngsten Posten, dem des Aufsichtsratsvorsitzenden der notverstaatlichten Hypo-Alpe-Adria demissionierte. Der Mann ist also gewissermaßen Experte für Rücktritte. Im Publikum lauschten uns einige emeritierte österreichische Politiker, und zwar durchwegs die der sympathischeren Sorte, und praktisch alle waren zurückgetreten, bevor die Wählerschaft sie satt hatte. Sie waren also gewissermaßen die leuchtenden Beispiele für das, was die Autorin mit ihrem Buch beschreiben wollte: Wie man zurücktritt, solange man das noch mit erhobenen Haupt kann. 
Der Abend geriet dann zu einer regelrechten Lobpreisung des Rücktritts, und irgendwie fühlte ich mich dabei nicht wohl in meiner Haut, wusste aber erst nach der Podiumsrunde, was ich eigentlich sagen hätte sollen: Dass das Problem mit dem Begriff „Rücktrittskultur“ doch ist, dass meistens die Besten zurücktreten, während die doofen Sesselkleber sich an ihre Ämter krallen. Jene, die, wenn man ihnen mit dem Wort „Rücktrittskultur“ kommt, erwidern: Mit Kultur kenn‘ ich mich nicht aus. 
Offen gesagt: Von manchem in dem Raum hätte ich doch gehofft, sie wären nicht locker mit erhobenen Haupt aus ihrem Amt spaziert, sondern sie hätten um ihre Ämter gekämpft. 
Sie ahnen schon, warum mir die kleine Episode gerade in dieser Woche wieder einfiel. In den letzten Jahren sind ja in Deutschland gefühlt mehr Politiker und Politikerinnen zurückgetreten, als gewählt wurden. Annette Schawan, Karl-Theodor zu Guttenberg, Norbert Röttgen, Christian Wulff. Sogar der Papst ist zurückgetreten! Und diese Woche dann gab es eine richtige Rücktrittsorgie: Die Ministerin Schröder, der Rössler und der Brüderle in der FDP, Trittin und Roth und noch ein paar Grüne, Sie mögen entschuldigen, ein wenig habe ich den Überblick verloren. Bei der SPD tritt im Augenblick niemand zurück, aber auch nur, weil die Partei sich knapp auf ihr zweitschlechtestes Ergebnis der Geschichte gesteigert hat, vor allem aber, weil Gabriel und Steinmeier ja gerade deshalb Steinbrück die Spitzenkandidatur angetragen haben, um nach einer Niederlage nicht zurücktreten zu müssen. 
Vielleicht sollten wir also die Frage nach der „Rücktrittskultur“ einmal anders stellen. Klar, ein Rücktritt, mit durchgedrücktem Kreuz und „Übernehmedieverantwortung“-Floskeln auf den Lippen, ist ein würdiger Akt. Aber womöglich treten Politiker heute zu schnell zurück. Warum genau muss etwa Trittin zurücktreten? Weil er einmal eine Wahl als Spitzenkandidat verloren hat, und dabei selbst ein paar Fehler gemacht hat? Ist das wirklich ein hinreichender Grund? Willy Brandt, selber einer, der möglicherweise zu früh und ohne zwingenden Anlass 1974 als Bundeskanzler zurücktrat, scheiterte immerhin bei zwei Kanzlerkandidaturen (klar, er fuhr immerhin Zugewinne ein), bevor er eine Bundestagswahl tatsächlich gewann. Helmut Kohl, der 1976 scheiterte und 1980 sogar die Kanzlerkandidatur dem CSU-Chef Strauss überließ, hangelte sich überhaupt ins Amt, ohne je eine Bundestagswahl gewonnen zu haben. 
Wollen wir wirklich nur mehr Politiker, die bei jedem kleinen Rückschlag schon sagen: „Na, dann soll halt ein anderer ran.“ Gehört es nicht auch zur Politiker-Qualifikation dazu, Niederlagen einzustecken, sich wieder durchzubeißen und an den Niederlagen auch zu wachsen? Oder umgekehrt, verdienen die Frontleute bei aller Fraktioniererei nicht die Solidarität ihrer Parteien, und ein bisschen einen langen Atem? Oder noch grundsätzlicher: Wünschen wir uns nicht Politiker, die ein Ziel haben, und für dieses brennen? Sind dann aber Politiker, die sich mit einem Achselzucken verdrücken, wirklich das Vorbild für „Rücktrittskultur“? 
In den Abrechnungen mit dem postmodernen Bewusstsein, die gelegentlich von klugen Leuten geschrieben werden, wird als Signum unserer Zeit angeführt: Der stetige Wunsch, sich selbst neu zu erfinden, mal in Rollen zu schlüpfen, um sie dann wieder abzuwerfen, das stetig ironische Verhältnis zu allem, und der damit verbundene Mangel an Ernst. Dass wir tausend Optionen haben, wir uns keiner vollends verschreiben, weil vielleicht eine bessere um die nächste Ecke wartet. Aber ist das, was als „Rücktrittskultur“ gepriesen wird, nicht auch Teil dieses Problemzusammenhanges? Wenn ich etwas wirklich ernst meine und nehme, wenn ich mein Leben im vollen emphatischen Sinne einer Sache verschreibe, dann kann das politische Amt doch nicht wirklich als Lebensabschnittspartnerschaft betrachtet werden. Aber wahrscheinlich bin ich da hoffnungslos altmodisch.


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