Die SPÖ stellt den Kanzler. Die ÖVP stellt die Regierung.


Habemus… Wernerle! Die SPÖ behält den Kanzler, dafür stellt die ÖVP das Regierungsprogramm, die wichtigsten Minister und darf auch noch das Wissenschaftsministerium durch ein Familienministerium ersetzen.
Was verstehen eigentlich SPÖ- und ÖVP-Verhandler unter „verhandeln“ und „Kompromiss“? Normalerweise versteht man doch darunter etwas wie, „okay, wir kommen Euch da entgegen, dafür kommt Ihr uns dort entgegen“. Wenn SPÖ und ÖVP verhandeln, scheint es aber immer so zu laufen: Die SPÖ sagt: „Wir hätten das gerne so.“ Die ÖVP antwortet: „Nein. Wir sind dafür, dass man das genau andersrum macht.“ Worauf die SPÖ sagt: „Okay.“ So scheint bei diesen Verhandlungen Punkt für Punkt abgehakt worden zu sein.
Ist Ihnen schon aufgefallen, welchen Erfolg SPD-Chef Sigmar Gabriel mit Verhandlungen und Mitgliedervotum erzielte, obwohl seine Partei mit mehr als deutlichem Abstand hinter der CDU/CSU lag? Und jetzt vergleichen wir das einmal mit dem Koalitionskompromiss in Wien. Die SPD hat als zweite mehr herausgeholt als die SPÖ als Nummer eins. Und zwar mit Abstand mehr.
Nicht zuletzt deshalb, weil Sigmar Gabriel ein bisschen etwas riskiert hat. Und wer wagt, der gewinnt.

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Ihr sollt Uns nicht scannen!

Mein Kommentar aus der „taz“ über den Antiüberwachungsaufruf von über 500 Schriftstellern
Eine scheinbar nebensächliche Nachricht des Tages: In der Ukraine bombardierte die Polizei die Handys der zehntausenden pro-europäischen Demonstranten im Kiewer Stadtzentrum mit der SMS-Nachricht: „Sie sind umstellt. Sie haben keine Chance.“ Technologisch ist das keine große Schwierigkeit. Wessen Mobiltelefon bei einer der nahegelegenen Sendestationen eingeloggt ist, wird als wahrscheinlicher Demonstrant identifiziert. Danach kann man problemlos ein SMS an den Handynutzer schicken. Die einschüchternde Wirkung ist nicht zu unterschätzen. Nicht nur die SMS-Nachricht als solche wirkt bedrohlich, sondern auch die Botschaft, die mitgeschickt wird: „Wir wissen, wer Du bist. Wir haben Dich am Radar.“ 
Wo flächendeckende Überwachung möglich ist und praktiziert wird, wird die Freiheit hohl. Jeder weiß: Im Extremfall können sie Dich wegfangen. Mehr noch: Man weiß auch im Normalfall, dass das im Extremfall so wäre. 
Gegen diese Freiheitsbedrohung im globalen Maßstab etwa durch NSA und andere Geheimdienste wendet sich der spektakuläre Schriftstelleraufruf von 500 Autoren aus aller Welt: „Alle Menschen haben das Recht, in ihren Gedanken und Privaträumen, in ihren Briefen und Gesprächen frei und unbeobachtet zu bleiben“, schreiben sie. „Überwachung verletzt die Privatsphäre sowie die Gedanken- und Meinungsfreiheit.“ 
Das Spektakuläre ist nicht der Text und auch nicht, dass ihn Elfriede Jelinek, Ilja Trojanow oder Juli Zeh unterschrieben haben. Sondern dass es ein gemeinsamer Text von Autoren unterschiedlicher Gesellschaften ist; von Autoren, die in jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten agieren, die sehr unterschiedlich auf die Überwachungsenthüllungen reagierten. Was in Deutschland Skandal genannt wird, halten Amerikaner und Briten für kaum eine Nachricht wert. Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Deutschland, Frankreich, den USA, Bangladesh, Albanien, Brasilien und vielen anderen Ländern erheben gemeinsam ihre Stimme zu einem Problem globaler Relevanz. 
Symbolpolitik? Ja, natürlich. Ohne praktische Bedeutung? Das wird man sehen. Aber selbst wenn es so wäre – was wäre denn dann besser? Zynisch, depressiv zu schweigen, weil gegen die globalen Überwachungsdienste ohnehin kein Kraut gewachsen ist? Der Aufruf steht gegen den Trott der Nachrichten, die empörend sind, aber niemanden mehr aufregen, gegen das achselzuckende „da kann man doch eh nichts tun“. Allein dafür ist den Initiatoren zu danken.  

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Jäger & Stammler – die Show jetzt in der W-24-Mediathek zum Nachgucken

Ende Oktober performten Mimu Merz und ich den Piloten unserer Show „Jäger & Stammler“ in Wiener Theater Garage X. Die Show wurde für TV aufgezeichnet und am vergangenen Montag im Stadtsender W-24 ausgestrahlt. In der Mediathek des Senders ist die Show ab sofort abrufbar. 


Mäandernde politische Textschleifen, ein Monolog eines sozialdemokratischen Basisfunktionärs, Zitatbausteine, schräge Sounds und zärtliche Songs, Jung-Aktivist Mario Schmidt und Burgtheater-Biletteur Christian Diaz als Gäste und das ganze unter dem großen Bogen „Nach der Demokratie“ – sehen Sie selbst. 

Eine verrücktere Show werden Sie im Fernsehen zur Zeit kaum finden. 
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Das Mitgliedervotum als Tragödie

Der rote Faden, meine monatliche Kolumne in der „taz“
Im Alltag sagt man das so leicht dahin, dass etwas „tragisch“ sei, und meint gemeinhin irgendeine Art von Unglück. Wir Wiener, die wir uns stets im Unglück wähnen, dem aber eine gewisse Leichtigkeit abgewonnen haben, sagen auch gerne: „Das ist net so tragisch“, womit gemeint ist, dass irgendetwas zwar keine Freude sei, aber die Welt davon nicht unter geht. In der Philosophie (und der Literatur) ist „das Tragische“ eine etwas präzisere Kategorie. Tragisch ist hier ein Verhängnis, aus dem es keinen Ausweg gibt, und die eminent tragische Konstellation ist die, in der man zwischen zwei unschönen Alternativen zu wählen hat. Eine tragische Philosophie denkt eine Welt, in der Friede, Freude und Pfefferkuchen nicht zur Auswahl stehen. Tragisch ist eine Wahl, die nicht zwischen Gut und Schlecht, sondern zwischen zwei Übeln getroffen werden muss. 
Die ultimative tragische Wahl hatte beispielsweise der großartige Wolfgang Herrndorf, dessen – ja, wie soll man das eigentlich nennen? – Arbeits- und Sterbetagebuch seiner finalen Lebensjahre gerade gehyped wird, und der am Ende nur mehr die Entscheidung zu treffen hatte, ob er am Gehirntumor elend sterben will oder sich vorher eine Kugel in den Kopf jagen soll (er tat Letzteres). Und doch ist es noch ein Aufbäumen des selbstbestimmten Subjekts, wenn man immerhin diese Wahl hat, weswegen er auch notierte, „die mittlerweile gelöste Frage der Exitstrategie hat eine … durchschlagend beruhigende Wirkung auf mich“. 
Verglichen mit Herrndorfs Sterben ist es, umgangssprachlich formuliert, selbstverständlich „net so tragisch“, wenn die SPD demnächst in einer Großen Koalition mitregiert, ja, es verbietet sich geradezu, das politische Dilemma der Sozialdemokraten mit dem existentiellen Drama des großartigen Autors in einem Atemzug zu erwähnen, und dennoch sind auch die SPD-Mitglieder, philosophisch formuliert, in einer „tragischen Situation“. Stimmen sie mit „Ja“, dann ketten sie ihre Partei als Juniorpartner an die Union, in eine Koalition, in der es in den wesentlichen wirtschafts- und europapolitischen Fragen keinen substantiellen Kurswechsel geben wird, sondern eine Prolongierung der Austerity-Politik; stimmen sie mit „Nein“, dann verwandeln sie auch die paar guten Pläne des Koalitionsvertrages in Makulatur und schießen gleichzeitig auch ihre Parteiführung auf den Mond, wozu man ihnen ehrlicherweise nicht raten kann. 
So wird die mediale Berichterstattung durch diese Auswahl zwischen zwei unschönen Alternativen bestimmt und durch die aufgeregte Debatte darüber: Wird die Parteibasis nun Ja sagen oder Nein? Dabei geht das Spektakuläre, das Bemerkenswerte, das Sensationelle des Vorganges etwas unter: Dass die Parteibasis, die Mitgliedschaft, überhaupt abstimmen darf. Welch eine Kulturrevolution hin zu mehr Partizipation, zu Lebendigkeit und Leidenschaft der politischen Debatte das bedeutet! Wie hier gerungen wird in den Parteiversammlungen! Wie Sigmar Gabriel und seine Führungscrew gezwungen sind, in eine teilweise hochstehende Diskussion mit den eigenen Leuten zu treten! Und wie offen der Ausgang ist! Da gibt es kein Hinterzimmermauscheln mehr und das Strippenziehen hat auch seine Grenzen. Ich habe den Eindruck, dass das bisher in seiner Bedeutung noch gar nicht ausreichend gewürdigt ist. 
Man ist beinahe versucht zu sagen, dass Sigmar Gabriel, allein dafür, dass er diese Abstimmung ermöglich hat, ein „Ja“ zu der von ihm ausgehandelten Großen Koalition verdient hat, aber das ist natürlich ein wenig zu sehr um die Ecke gedacht, weil das würde ja bedeuten, dass man, aus Dank, dass die Parteiführung innerparteiliche Demokratie forciert, einen lieben Knicks vor der Parteiführung macht. Demokratie und Dankbarkeit vertragen sich nicht immer, Demokratie hat auch etwas Undankbares. 
Ohnehin relativiert sich, wenn man aus Wien zu Euch rüber blickt, das Tragische dieser Auswahl. Auch in Österreich verhandeln SPÖ und konservative Volkspartei über eine Große Koalition, und die Gespräche haben sich schon ordentlich verharkt. SPÖ und ÖVP werden, sollte es nicht noch total krachen, dennoch am Ende eine Große Koalition bilden, wie praktisch immer seit 1986, wenn man von der düsteren Episode der Rechtskoalition von ÖVP und FPÖ absieht. Sie sind praktisch zu einer Großen Koalition gezwungen, weil es zu dieser Regierungskonstellation keine vernünftige rechnerische Alternative gibt, aber die koalierenden Parteien schaffen es nicht einmal, notdürftig zu kaschieren, dass sie sich in Wirklichkeit abgrundtief hassen. Das macht das Regieren nicht gerade erfolgsträchtiger. 
In Österreich ist, kurzum, alles noch viel verfahrener. Aber das ist nicht so tragisch. 

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Freihandelsabkommen TTIP – ein Exempel für die Freie Machtwirtschaft


FS Misik Folge 315
Die EU und die Vereinigten Staaten verhandeln gerade das neue Freihandels- und Investionsschutz-Abkommen TTIP. Geht es nach dem Willen der Verhandler, dann können große Konzerne künftig auch den Marktzugang für Produkte einklagen, die sozialen oder Umweltsstandards nicht entsprechen; sie können auch künftige, erwartete, entgangene Gewinne einklagen, wenn ein Staat seine Umwelt- oder Verbraucherschutznormen ändert; Konzerne können Staaten klagen, und das nicht einmal bei ordentlichen Gerichten, sondern bei Schiedsstellen, die mit Anwälten der Multis besetzt sind; usw.
Das heißt im Klartext: Konzerne können Dinge tun, die Sie niemals tun können. Wenn ein Staat Ihre Rechte als Konsument durch Verbraucherschutzregeln schützt, können Konzerne dagegen klagen. Die können das. Und Sie, Sie können gar nichts. So ist das in der Freien Machtwirtschaft, in deren Theorie sich freie Wirtschaftssubjekte am Marktplatz treffen und in deren Praxis die einen viel Macht haben und die anderen keine.

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Montag, 9. 12: Die Show „Jäger & Stammler“ mit Mimu & Misik im Stadtsender W-24

Am Montag ist es soweit: Unsere Show „Jäger & Stammler“, die wir Ende Oktober im Theater Garage X performt haben, läuft als Aufzeichnung im Wiener Stadtsender W-24. 

Erstaustrahlung: 9. Dezember, 22:50 Uhr
Wiederholung: 15. Dezember, 11 Uhr. 
Weirde Texte, rohe Sounds, zarte Lieder und großartige Gäste. Sehen Sie sich das an!
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                                                                                           Foto: Torviswald Kronstecker
Von und mit: 
Mimu Merz & Robert Misik (Konzept und Realisation)
Schmieds Puls (Live-Musik)
Torviswald Kronstecker (Visuals, Text & Bild)
Mario Schmidt & Christian Diaz (Gäste)
Anna Schober (Produktionsleitung)
Renato Uz (Bühne)
Harald Godula (technische Leitung)
Heimo Korak (Technik)
Sebastian Hartl (Technik)
Emil Schmutzenhofer (Bühnentechnik)
Catrin Strasser (Produktion Garage X)
Die Aufzeichnung besorgte André Wanne und sein großartige Team!

Das aufregende Demokratie-Experiment der SPD


FS Misik Folge 314
Die deutsche SPD kam auf 25,7 Prozent, womit sie es gerade auf das zweitschlechteste Ergebnis ihre Geschichte brachte und fühlte sich am Wahlabend als Verlierer. In Österreich erreichte die SPÖ mit 26,8 Prozent das mit Abstand schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte und fühle sich am Wahlabend dennoch irgendwie als Gewinner, weil wenigstens Platz Eins verteidigt werden konnte, was wohl, sofern nicht noch außerordentliche Überraschungen geschehen, für Platz eins und damit für das Kanzleramt reicht.
In Österreich erreichten die rechtspopulistischen Parteien zusammen rund 30 Prozent, was aber niemanden sonderlich aufregte, weil das schon seit rund 15 Jahren unverändert der Fall ist, wenngleich sich die Parteimäntelchen ändern.
In Deutschland erreichte die populistische Alternative für Deutschland beinahe fünf Prozent, scheiterte also knapp am Einzug in den BundesJetzt haben die Deutschen auch eine Große Koalition – so wie wir bisher und demnächst wieder. Die deutsche SPD kam auf 25,7 Prozent, womit sie es gerade auf das zweitschlechteste Ergebnis ihre Geschichte brachte und fühlte sich am Wahlabend als Verlierer. In Österreich erreichte die SPÖ mit 26,8 Prozent das mit Abstand schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte und fühle sich am Wahlabend dennoch irgendwie als Gewinner, weil wenigstens Platz Eins verteidigt werden konnte, was wohl, sofern nicht noch außerordentliche Überraschungen geschehen, auch für das Kanzleramt reicht.
In Österreich erreichten die rechtspopulistischen Parteien zusammen rund 30 Prozent, was aber niemanden sonderlich aufregte, weil das schon seit rund 15 Jahren unverändert der Fall ist, wenngleich sich die Parteimäntelchen ändern.
In Deutschland erreichte die populistische Alternative für Deutschland beinahe fünf Prozent, scheiterte also knapp am Einzug in den Bundestag, was für aufgeregte Kommentare sorgte.
In Österreich werden zwei Parteien koalieren, die sich hassen. In Deutschland werden CDU und SPD in einem emphatischeren Sinn gemeinsam regieren.
Also, die Differenzen überwiegen die Ähnlichkeiten.
Und jetzt fragen alle: Wird die SPD-Basis, die erstmals in einem Mitgliedervotum entscheiden darf, für die Koalition stimmen? Wird es SPD-Chef Sigmar Gabriel und seiner Führungscrew gelingen, die Parteimitglieder in den unzähligen Versammlungen der kommenden Wochen zu überzeugen? So, dass ein wenig untergeht, welch Demokratie-Revolution das ist, dass die Parteimitglieder entscheiden dürfen, dass sich eine lebendige Debatte entspinnt, und die Mitgliedschaft wirklich das letzte Wort hat.
Aufregend ist das – und toll.tag, was für aufgeregte Kommentare sorgte.

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