Die Verwandlung von Böse in Gut…

…und andere Mythen der neoliberalen Morallehre. Anmerkungen zu Corporate Social Responsibility und Wirtschaftsethik. Ein Beitrag für die „Gegenblende“, das Online-Magazin des DGB.
Als im Jahr 2008 klar wurde, dass die großen Finanzinstitutionen auf ihrer Jagd nach immer größeren Profiten das Weltwirtschaftssystem an den Rand des Kollaps gebracht hatten, und sich manche Leute die Augen rieben und fragten, wie das denn passieren konnte, da hatte 
die kleine New Yorker Finanzmarktfirma T2 Partners LLC auf ihrer Homepage eine Antwort parat, die beklemmend schlicht und beklemmend wahr zugleich ist:
„Das erste unabänderliche Gesetz des Universums: Wenn man Menschen eine Menge Geld dafür bietet, etwas zu tun, das sehr dumm, unethisch oder illegal ist, dann wird eine große Zahl von ihnen es tun. Ergänzung Nummer 1. Je mehr Geld damit zu machen ist, desto mehr übles Verhalten wird auftreten. Ergänzung Nummer 2: Die Menschen, die mitmachen, werden ihr Verhalten vor sich selbst rechtfertigen, so dass sie am Ende ernsthaft glauben, es sei nicht dumm, unethisch oder illegal. Das zweite unabänderliche Gesetz des Universums: Übles Verhalten führt zu üblen Konsequenzen.“
Nun gilt das für Finanzmarktfirmen alles natürlich besonders: Wenn man, indem man etwa seine Kunden betrügt, Milliardengewinne in wenigen Stunden machen kann, ist der Anreiz, dies auch zu tun, ein anderer, als wenn man mit ein bisschen fiesen Verhalten ein paar hunderttausend Euro mehr verdient, aber dafür Gefahr läuft, seine Reputation zu verlieren. Schuhproduzenten, um nur ein Beispiel zu nennen, werden sich vielleicht einen Augenblick länger überlegen, ob sich das lohnt als Hedge-Fonds-Manager. Aber das ist schon der einzige Unterschied. Wenn es sich nur lohnt, ethische Standards oder Arbeitsrechtsnormen zu unterlaufen, dann wird sich jemand finden, der das tut, mag das Unternehmen nun KIK heißen und in Bangladesh Kleider nähen lassen, oder Apple und von den miesen Arbeitsbedingungen bei Foxconn in China profitieren. Es bleibt in allen Fällen das etwas ironisch so genannte „Universalgesetz“, wonach man Menschen nur genug Geld bieten muss „etwas zu tun, das sehr dumm, unethisch oder illegal ist“, sodass sie es tun werden.

Womit wir schon bei der gegenwärtig so modernen „Corporate Social Responsibility“ wären, den Kodizis, die sich heute manche Unternehmen geben, um zu zeigen: „Hey, schaut her, wir sind eh ganz Gute und Liebe.“ Will man sich darauf wirklich verlassen? Angesichts des Geistes, der die CSR-Konzepte ja immer durchweht, und den man in etwa so zusammenfassen kann: Wir brauchen keine Regeln, wir werden uns ganz freiwillig an ethische Standards halten. CSR ist gewissermaßen eine Sonderform von Deregulierung, die verbindliche Regeln durch private Moral ersetzen will. Insofern schließt CSR auch an die wirtschaftsliberale Morallehre aus Adam Smith‘ Zeit an, die ja nicht nur davon ausging, dass wechselseitiger Handel zu ökonomischer Prosperität sondern auch zur Stärkung der Moral beiträgt: Wer einem anderen etwas verkauft, der ist erstens mit diesem in einem sozialen Verhältnis verbunden, und wird zweitens, da er ja will, dass der andere ihm auch noch ein weiteres Mal etwas abkauft, nichts tun, was seine Reputation schwächt. Das ist natürlich eine schöne Theorie, und in ihr steckt sicherlich ein Körnchen Wahrheit, aber wie wir alle wissen, sollten wir uns in der wirklichen Welt auf diese Theorie allein nicht verlassen. 
Damit ist natürlich um Gottes Willen nicht gesagt, dass wir alle Versuche von Unternehmen, sich CSR-Standards zu unterwerfen, als reine Heuchelei in die Tonne treten sollten. Lassen Sie mich dazu vielleicht eine kleine Geschichte erzählen. 
Es war ein sonniger Frühjahrstag, da schlenderte ich über den Wiener Karlsplatz und hatte ein eher unangenehmes Gefühl, denn ich ging auf dem Schwarzenbergplatz zu, wo ich im Hauptquartier der österreichischen Industriellenvereinigung einen Wirtschaftsethiker interviewen sollte. Dass mir diese Aussicht nicht gerade Glücksgefühle bescherte, versteht sich von selbst. Schließlich ist für jemanden wie mich, der mit Großkapital ziemlich automatisch Begriffe wie Profitgier, Steuerdumping und Lohndrückerei assoziiert, der mächtige Gebäudekomplex der Industriellenvereinigung seit jeher eine Art Trutzburg der Klassenfeindes – Kommandozentrale derer, die den kleinen Leuten das Geld aus der Tasche ziehen und ihre Milliarden sicher auf Nummernkonten in Liechtenstein oder auf den Kanalinseln bunkern. Und auch von Wirtschaftsethikern, ich muss es gestehen, hatte ich keine allzu hohe Meinung: das waren für mich Leute, die glauben, den Kapitalismus mache man besser, indem man den Kapitalisten ins Gewissen rede, dass sie gute Menschen sein sollten, wohingegen ich doch weiß, dass der Kapitalismus ein System ist, das vielerlei Anreize schafft, sich eben nicht altruistisch und menschenfreundlich, sondern egoistisch und fies zu verhalten. Kurzum: Ich erwartete ein uninteressantes Gespräch mit einem uninteressanten Menschen in reichlich unangenehmer Umgebung. 
Als ich dem Wirtschaftsethiker, einem Schweizer Chemiemanager namens Klaus M. Leisinger vom Pharmariesen Novartis, vorgestellt wurde, wurden meine Vorurteile nicht eben zerstreut. Es sei ihm eine Ehre, von mir interviewt zu werden, sagte er, er habe gehört, ich sei einer der kritischsten Journalisten meines Landes. So sind sie, sagte ich zu mir, die Großkapitalisten, verschlagen und berechnend, machen einem sinnlose Komplimente und glauben, unsereins würde das nicht durchschauen – dass sie einen betören wollen, damit sie dafür im Umkehrschluss eine freundliche Story bekommen. Aber nein, mit mir nicht, sagte ich mir. Mich kaufst Du nicht, Junge! Den Typen führ‘ ich vor, schwor ich mir. Schon mit der ersten Frage wollte ich ihn aufs Glatteis führen. Ich hatte mich gut vorbereitet, noch einmal in Brechts Parabel „Der gute Mensch von Sezuan“ nachgelesen, die davon handelt, dass es im Kapitalismus unmöglich ist, gut zu handeln, weil diejenigen, die schlecht handeln, zu Reichtum und Macht kommen, und diejenigen, die gut handeln, auf der Strecke bleiben. 
„Herr Leisinger“, fragte ich, „kennen Sie von Bertolt Brecht ‚Der gute Mensch von Sezuan'“? Ich war natürlich sicher, dass er davon noch keine Zeile gelesen hatte. 
„Klar“, antwortete der Manager, „vor allem die beiden letzten Zeilen“. 
Verdammt – plötzlich hatte nicht ich ihn an der Angel, er hatte mich. „Wie lauten die schnell noch mal?“, stammelte ich. 
Leisinger: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss / Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss.“ 
Ich war erstaunt: der Mann kannte Brecht doch tatsächlich auswendig, und das, obwohl er sich im Gegensatz zu mir nicht darauf vorbereiten konnte. Auch sonst überraschte mich mein Interviewpartner sehr. Nachdem er jahrelang als Pharmamanager gearbeitet hat, ist er Präsident und CEO der Novartis-Stiftung geworden, die das Unternehmen eingerichtet hat, um Gutes in der Welt zu tun. Seit 2005 amtierte er zudem als Sonderberater von UN-Generalsekretär Kofi Annan für den „Global Compact“, des Programm zur Förderung ökonomischer Fairness und der Menschenrechte im Wirtschaftsbereich, das die Weltorganisation auflegte. Als ich endlich mein geplantes Brechtzitat angebracht hatte (dass im Kapitalismus gute Vorsätze die Menschen „an den Rand des Abgrunds“ brächten, und gute Taten sie vollends hinabstürzten) hob Leisinger an:  „Es kann doch nicht so sein, dass sich wirtschaftliches Handeln nur rentiert, wenn es auf unmoralische Art stattfindet. Außerdem: Wir wissen doch alle, dass das nicht stimmt.“ Er jedenfalls sage den Unternehmern, erzählte der Manager, nicht einfach, dass sie gut sein sollen, weil sich das gehört – er sage ihnen, dass sich unmoralisches Handeln nicht rechnet. Ja, sie sollen auch Dinge bleiben lassen, die sie legal tun könnten, die aber in weiten Teilen der Welt als illegitim gelten. „Warum? Weil ich meine legalen Risiken, meine finanziellen Risiken und meine Reputationsrisiken minimiere, wenn ich mich verantwortlich verhalte.“ Unternehmen, die etwa Kinderarbeit praktizieren, die von Zwangsarbeit profitieren oder die Umwelt zerstören – und sei es weit unten in Afrika oder im undemokratischen China – riskieren nicht nur, ihr Markenimage zu ramponieren, weil die Konsumenten darauf achten, „ob ein Unternehmen Standards einhält“, es wird auch Schwierigkeiten bekommen, qualifizierte Spezialisten zu engagieren – denn die wollen auch „für ein Unternehmen arbeiten, für das sie sich nicht schämen müssen“. In Zeiten, wo das Markenimage das eigentliche Vermögen ist, das ein Unternehmen hat, ist Ethik also nicht mehr „bloße“ Ethik, sondern eine Investition. Leisinger: „Ethisches Handeln reduziert das Risiko. Es ist wie mit einer Versicherung. Sagen Sie, die Feuerversicherung rentiert sich nicht, wenn es nicht brennt? Auch im Falle ethischen Handelns ist der Return of Investment schwer zu bestimmen. Aber eines ist klar: Wenn ich auf Gütermärkten erfolgreich sein will, muss ich auf den Meinungsmärkten erfolgreich sein.“
Die Ausführungen Leisingers haben natürlich gerade deshalb etwas für sich, weil sie Moral in bare Münze übersetzen. Unmoralisches Handeln kann kurzfristige ökonomische Vorteile, aber langfristig viel höhere Kosten produzieren – vor allem wenn man auf einem Konsumgütermarkt agiert, wo Markenimage eine wichtige Bedeutung für den Geschäftserfolg hat. Nicht nur den Kunden gegenüber kann ein schlechtes Image geschäftsschädigend sein, auch gut qualifizierte Arbeitnehmer wollen eher nicht bei einer Firma arbeiten, für die sie sich genieren müssen, und werden dementsprechende Entscheidungen treffen, sofern sie gefragt genug sind, dass sie es sich aussuchen können. Deshalb gibt es mittlerweile sogar schon Unternehmensberatungsfirmen, die andere Firmen beim Gutsein beraten. Die berühmteste Consultingfirma dieser Art trägt den programmatischen Namen „Good Business“. 
Aber gehen wir bei unseren kleinen Überlegungen zur Rolle der Moral in der Ökonomie und der Wirtschaftst
heorie noch einmal zurück zu den einfachen Grundsätzen der New Yorker Finanzmarktfirma und deren Postulat: „Übles Verhalten führt zu üblen Konsequenzen.“ Schön, dass das die Finanzmarktfirma so offen sagt. Denn die neoliberale Theorie, die jahrzehntelang die Hirne verkleisterte, sagt ja etwas anderes, und das sollen wir nicht vergessen. Ja, in gewissen Sinne ist der Neoliberalismus eine Morallehre, aber eine krude, krause Morallehre, die lehrt, moralisches Verhalten sei unmoralisch, während unmoralisches Verhalten moralisch sei. Ja, echt. Glauben Sie jetzt nicht? Ist aber so. 
Die implizite Moraltheorie des Neoliberalismus können wir nämlich so zusammenfassen: Auf freien Märkten konkurrieren alle gegeneinander, und jeder sucht nach seinem eigenen, kleinlichen Eigennutz. Streben nach Eigennutz, blanken Egoismus würden wir nun wohl nicht als gutes, moralisches Verhalten ansehen, nicht einmal die hartleibigsten Neoliberalen würden das tun, jedenfalls würden sie es nicht offen sagen. Aber sie sagen etwas anderes: Was auf der Mirkoebene des Privaten unmoralisch ist, wird auf einer höheren Ebene, auf der Ebene des Aggregates, zu etwas Guten. Denn wegen dieser alltäglichen Konkurrenz aller gegen alle und dieser Jagd nach kleinen Vorteilen haben wir alle am Ende bessere Brote, bessere Wohnungen, bessere Computer, bessere Jobs und höhere Einkommen. In einer mirakulösen Operation schlägt die Jagd aller Individuen nach Vorteilen und ihrem je privaten Eigennutz zum Nutzen aller um. Dass sich jemand fies und gierig verhält, ist daher nicht unmoralisch, sondern dann, auf einer höheren Ebene, die höhere Moral.
Wer dauernd gut sein will, glaubt nur, Gutes zu tun, aber eigentlich macht er die Dinge schlechter, wer sich fies und gemein verhält, der tut wirklich Gutes – so in etwa lässt sich die neoliberale Morallehre zusammenfassen. 
Und das ist natürlich eine schöne Morallehre. Wir müssen uns um unsere Verhalten nicht scheren, je fieser und brutaler und gemeiner wir agieren, umso besser sind die Resultate unseres Verhaltens. 
Eigentlich schade, dass sich die Welt an die Theorie nicht hält. 
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