Liebe Richter, es ist 2014! Wer Mist baut, wird kritisiert. Gewöhnt Euch besser rechtzeitig dran.

Es war ja zu erwarten. Was heißt erwarten: Man hätte die Uhr danach stellen können. Nachdem praktisch alle Zeitungen und sonstigen Medien der deutschsprachigen Welt das Skandal-Verfahren gegen Josef S. kritisiert haben, ist Österreichs Richterschaft aufgewacht – und hat nicht die Frage gestellt, was eigentlich in der Richterschaft los ist. Nein, sie hat sich die Kritik verbeten. Erst hat im „Standard“ ein pensionierter Spitzenbeamter aus dem Justizministerium jede Kritik zurückgewiesen, und nun also auch die Richtervereinigung. Deren Präsident tat in einem Offenen Brief kund: 
Es ist jedoch nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaften und Gerichte, Erwartungshaltungen der Öffentlichkeit, der Politik oder einzelner Medienvertreter zu erfüllen. 
Ja, und, so möchte man sagen: das ist gerade das Problem, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte ihre Aufgabe nicht darin sehen, die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit in Hinblick auf gerechte Verfahren, ordentliche Beweiswürdigung, faire Urteile und den verhältnismäßigen Gebrauch von Rechtsinstrumenten wie U-Haft und ähnliches zu erfüllen. 
Richter, die reflexartig (ja: und ich hab echt schon gewartet auf diese Reaktion, man konnte sich darauf verlassen, dass sie genau in dieser Weise kommt), Kritik von sich weisen, sind genau das Problem. Sie verstecken sich hinter ihrer richterlichen Unabhängigkeit und ihrem Recht auf freie Beweiswürdigung und glauben, die rechtfertigt alles; sie glauben, sie können unabhängig von jeder Logik, jedem Rechts- und Fairnessempfinden urteilen und sind dann auch noch vor Kritik gefeit. Jede Berufsgruppe, in der gelegentliche Fehler gemacht werden, erst recht Berufsgruppen, in denen chronisch Fehler gemacht werden, müssen sich Kritik stellen. Von der Feuerwehr über die Polizei, von den Bankern bis zu den Journalisten. In jeder dieser Berufsgruppen gibt es, wenn es ostentative und anhaltende Fehlentwicklungen gibt, auch immer relevante Angehörige dieser Berufsgruppen, die ethisches Fehlverhalten anprangern. Aber in der Richterschaft? Da heißt es bei Kritik dann immer „Mimimimi“ und man darf uns nicht kritisieren, weil wir sind unabhängig und damit außerhalb jeder Kritik. 
It’s 2014, Folks. Wer Mist baut wird kritisiert. So ist das bei uns. Gewöhnt Euch besser rechtzeitig dran. Und die Hoffnung, dass fragwürdige Verfahrensführung schon unter der Aufmerksamkeitsschwelle der Öffentlichkeit bleibt, solltet Ihr Euch im Zeitalter von Internet, Twitter und Live-Ticker auch ganz schnell abschminken. 
Ein Richter und ein Staatsanwalt haben gemeinsam einen Schandprozess durchgezogen. Und was macht die Richtervereinigung? Sie verwahrt sich gegen Kritik. Wie wär’s, wenn die Richtervereinigung stattdessen sich mal das Verhalten ihrer Berufskollegen und -kolleginnen vornimmt? 
Ich glaube ja an sich nicht nur an das Gute im Menschen, sondern auch an die Selbstreinigungskräfte von Institutionen. Ich bin an sich ja überzeugt davon, dass ein Großteil der heutigen Richterinnen und Richter selbst sowohl dieses eine fragwürdige Verfahren als auch im allgemeinen den Rückfall der Rechtssprechung in Richtung „Feindstrafrecht“ („die Angeklagen sind die Bösen und die muss man eintunken“, „der Beschuldigte, dem man nichts nachweisen kann, wird schon was angestellt haben…“) für mehr als fragwürdig halten; ich glaube auch fest daran, dass mindestens die vielen anständigen Richter, denen ich schon begegnet bin, hinter vorgehaltener Hand Prozess und Urteil gegen Josef S. kritisieren. Wie wäre es, wenn sie das mal öffentlich machen, wenn sie selbst die Schwarzen Schafe in ihrem Berufsstand thematisieren, statt dass sich die Richtervereinigung auch noch vor diese stellt? Ach so, das macht man nicht; das wäre unsolidarisch; das wäre gegen die Gepflogenheiten. 
Kleiner Hinweis: Die sind den Bürgern schnuppe, Eure Gepflogenheiten. Schon mal darüber nachgedacht, wohin die führen, diese Gepflogenheiten? 
Es wäre vielleicht einmal an der Zeit, dass die vielen anständigen, modernen Richter den Mund aufmachen. 
Bis dahin kann sich die Richtervereinigung ihre Offenen Briefe bitte an den Hut stecken. 


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