Sozialdemokratie und Porno

Was kommt nach der Großen Koalition? Das fragten mich die Freunde vom SPD-nahen Debattenmagazin „Berliner Republik“ anlässlich ihrer 15-Jahre-Jubiläumsausgabe.  Das habe ich zur Antwort gegeben.

Was kann man sich nach der „Großen Koalition“ vorstellen? Eigentlich nicht viel. Und das ist vielleicht schon bemerkenswert genug. Eine andere Regierungskoalition? Ja, vielleicht schwarz-grün. Und das auch nur, weil es die einzige Variante ist, der man zumindest eine rechnerische Plausibilität zubilligt, ohne dass damit so etwas wie eine Idee oder gar ein „Projekt“ verbunden wäre. Eine Mitte-Links-Regierung? Rot-Grün wird wohl kaum die nötige Mandatszahl zusammen bekommen, und dass Rot-Rot-Grün im Bund möglich ist, ist in den vergangenen zehn Jahren auch kaum wahrscheinlicher geworden.

So sieht das aus heutiger Sicht aus – und auch wenn man sich ganz stark vor Augen hält, dass sich in der Politik ganz schnell ganz viel ändern kann, es gibt gerade keine allzu großen Anzeichen dafür.

Das Grundproblem ist ohnehin, dass sich bis heute die Frage eigentlich ungeklärt ist, wie sich Mitte-Links-Parteien in EU-Europa positionieren sollen, wenn sie mehrheitsfähig sein wollen. Seit dem Zusammenbruch des letzten „Projekts“ – nennen wir es des Blairistisch-Schröderianischen – ist ja nur klar geworden, dass eine solche Positionierung die eigene Anhängerschaft demoralisiert und damit die langfristige Mehrheitsfähigkeit untergräbt. Und außerdem die eigentliche Aufgabe der Sozialdemokratie aufgibt, nämlich den Kapitalismus zu zähmen.

Aber was folgt aus dieser Erkenntnis? Darüber herrscht bis heute keine allzu große Klarheit. Mehr Richtung links? Mehr Richtung Traditionssozi? Nun, das ist auch nicht gerade ein Erfolgsrezept. Irgendeine Mischung aus Kernschichten-Sozialdemokratie plus Modernismus? Dem würde niemand widersprechen, aber wie genau soll das aussehen? Welches inhaltliche Mischungsverhältnis braucht es, welche Figuren dafür, an welchem Image sollten die Parteien arbeiten? Dafür gibt es eigentlich noch immer kein Rezept.

Die Bürger wollen, beispielsweise, mehr soziale Gerechtigkeit, kaum jemand würde die Einkommens- und Vermögensverteilung als fair bezeichnen – aber wenn dann eine Partei, wie etwa die „Grünen“, ein Steuerkonzept vorlegen, das diese Verteilung korrigieren würde, dann werden sie an der Urne abgestraft.

Nun kann man einwenden, eine solche Argumentation zielt auf die reinen Oberflächenphänomene von Politik ab, welches Bild Parteien abgeben sollen, um die vielbeschworene Mitte der Gesellschaft zu gewinnen – wo es doch darauf ankäme, die politische Hegemonie zu gewinnen, indem man argumentativ die Mitte verändert. Aber eben auch dafür müsste man wissen, was man eigentlich will. Vor allem bräuchte es dafür den Mut, zu dem zu stehen, was man eigentlich meint.

All das wird aber natürlich extrem erschwert durch den seltsamen Verdruss an der sogenannten etablierten Politik, der sich bis in den Mainstream der Gesellschaft hineinfrisst. Die Bürger trauen der Politik nicht mehr allzu viel zu. Das delegitimiert die politischen Parteien und raubt ihnen Handlungsfähigkeit. Und diese verringerte Handlungsfähigkeit trägt ihrerseits wiederum zu weiterer Delegitimierung bei. Es ist ein wenig ein Teufelskreis, und den Königsweg aus diesen hinaus gibt es nicht.blogwert

Erfolgreiche Mitte-Links-Politiker sollen beispielsweise frisch und modern erscheinen und schon den Erfolg verkörpern, den diese Verkörperung dann im besten Falle nach sich zieht, aber gleichzeitig die Leute repräsentieren, die sich in der zeitgenössischen Erfolgskultur nicht mehr vertreten fühlen. Schon das ist eine Quadratur des Kreises.

Gewiss, die Quadratur des Kreises war immer das eigentliche Erfolgsgeheimnis einer Sozialdemokratie, die den Kapitalismus immer kritisierte, und ihn damit erst stabil und lebenstüchtig gemacht hat, sie hat die kleinen Leute vertreten, und damit dazu beigetragen, dass die kleinen Leute keine kleinen Leute mehr waren, sie war staatskritische Staatspartei usw. Daran sieht man nicht nur, dass es in der DNA der Sozialdemokratie liegt, den Kreis zu quadratieren, sondern dass sie eben auch möglich ist: die Quadratur des Kreises. Wir Menschen sind ohnehin talentiert darin, Widersprüche erfolgreich unter einen Hut zu bringen – so wollen wir unsere Kinder umhätscheln, sie aber gleichzeitig auch flügge machen, was ja in der Regel ganz gut gelingt.

Vielleicht ist es mit einer zukunftsfähigen Sozialdemokratie so ähnlich wie mit den Pornofilmen, über die ein kluger Mann einmal gesagt hat: Porno ist verdammt schwer zu definieren, aber wenn man ihn sieht, erkennt man ihn sofort.

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