Varoufakis benimmt sich echt unmöglich (behaupten anonyme Quellen)…

Welches Spiel spielen die Brüsseler Spin-Doktoren und was ist die Strategie der Syriza-Regierung?

Seit dem die linke griechische Syriza-Regierung im Amt ist, ist sie einem regelrechten Info-Krieg ausgesetzt. In den ersten Wochen hielten sich die tonangebenden Eliten in Europa zurück, ließen die Syriza-Regierung aber anrennen. Dann wurden immer öfter Gerüchte gestreut, die Regierung würde dilettantisch und konfrontativ handeln. Insbesondere der Finanzminister Yanis Varoufakis wurde schnell als der eigentliche Bösling dargestellt, der sich keinen Zentimeter bewege, nur viel rede und keine konkreten Vorschläge mache. Ab einem gewissen Zeitpunkt waren ein großer Teil der tonangebenden Medien in Europa voll mit diesem Spin, wobei in den meisten Fällen nicht klar dazu gesagt wurde, auf welche Informationen sie sich eigentlich stützen.

Kollege Andras Szigetvari, Wirtschaftsredakteur beim „Standard“, hat nun in einer kleinen Analyse andeutungsweise beschrieben, wie so etwas funktioniert:

(Europas Finanzminister) streuen Gerüchte und bringen Varoufakis in die Bredouille, weil jedes Dementi ihn erst recht verdächtig erscheinen ließ. Eine Kostprobe: Seit einem Monat berichten Medien unter Hinweis auf hochrangige anonyme Quellen, dass Varoufakis das Vertrauen von Premier Alexis Tsipras verloren habe und vor seiner Absetzung stehe. EU-Vertreter erzählen, Varoufakis agiere amateurhaft. Er käme unvorbereitet zu Verhandlungen und „schwatze“ nur. Ranghohe EU-Diplomaten gehen noch weiter: Einer berichtet, dass Varoufakis sein Amt allein dazu nutze, sein neues, im Jänner 2016 erscheinendes Buch („The Weak Suffer What They Must“) zu bewerben.

Ob diese Anschuldigungen stimmen, lässt sich von außen kaum beurteilen. Auffällig ist, dass die Vorwürfe fast immer ohne Beleg und off records erzählt werden. Man kann als Journalist nicht schreiben, wer die Dinge behauptet. Aber die Anschuldigungen finden ihren Weg in die Medien. Auf Twitter wurde Varoufakis bereits gefragt, wie denn die Werbetour fürs Buch laufe.

Um zu verstehen, wie so ein Info-War geführt wird, muss man wissen, wie in Brüssel gearbeitet wird. Die Journalisten haben natürlich keinen Zugang zu den Verhandlungen der Finanzminister und auch keine Informationen aus erster Hand. Sie sind auf Informationen der Minister angewiesen, beziehungsweise deren Pressesprecher oder anderer Offizieller. Meist streuen die Pressesprecher Informationen unter der Hand, entweder in Einzelgesprächen oder in lässigen Runden.

blogwertEs ist nicht üblich, die Pressesprecher zu zitieren, schon alleine deshalb, weil dann ja den Lesern klar würde, dass man weitgehend von professionellen PR-Mitarbeitern gefüttert wird. Im Grunde hat man als Journalist keine große Alternative. Man muss diese Informationen zunächst einmal für glaubwürdig halten, und kann ja dann bei den Pressesprechern anderer Delegationen oder Funktionären der EU-Institutionen recherchieren, ob es sich wirklich so zutrug. Da die meisten Journalisten natürlich mit den Politikern ihrer eigenen Länder besser vernetzt sind als mit den anderer Länder, tauschen sie sich gerne auch mit Kollegen anderer Länder aus: ‚Ich sag Dir, was mir mein Finanzminister erzählt hat, Du sagst mir, was Dir mein Finanzminister erzählt hat.‘ Auf diese Weise kann man, vor allem, wenn es Differenzen zwischen den Akteuren gibt, durchaus ein vielstimmiges und auch akkurates Bild zusammenrecherchieren – üblicherweise. Gleichzeitig gibt diese Arbeitsweise den Spin-Doktoren von fünf, sechs wichtigen europäischen Playern natürlich auch die Möglichkeit, Storys und falschen Spin zu lancieren: Wenn, beispielsweise, der deutsche, spanische und britische Finanzminister und der Sprecher der EZB und der der Kommission sich abreden, die gleiche Story unter die Leute zu bringen, dann können sie das machen. Erleichtert wird die Sache dadurch, dass sie mit dem Brüsseler Journalistencorps in einer Blase leben, und die Journalisten ganz toll stolz darauf sind, wenn sie privilegierten Zugang zu Ministern oder gar Kanzlerinnen haben. Wie immer im Umfeld der Macht gibt es einen Rockzipfeljournalismus.

Der Punkt ist also: Alles, was Sie über angebliches fragwürdiges Verhalten von Varoufakis wissen, ist ziemlich sicher von den immer gleichen vier, fünf, vielleicht auch zehn Leuten gestreut, die immer anonym zitiert werden, was ja auch den praktischen Vorteil hat, dass nicht auffällt, dass es immer die selben Leute sind.

Es wird auch immer gestreut, die griechische Regierung und Varoufakis besonders würden keine konkreten Vorschläge auf den Tisch legen. Das ist schon richtig: Die „konkreten Vorschläge“, die Schäuble und seine Satrapen Djisselbloem, Schelling & Co. gerne auf den Tisch vorfinden würden, legt die griechische Regierung nicht vor. Würde sie Vorschläge zu weiteren Rentenkürzungen und anderen krisenverschärfenden Maßnahmen auf den Tisch legen, wären die Eurozonen-Finanzminister durchaus zufrieden. Solange sie das nicht tun, wird dann gesagt, sie hätten keine konkreten Maßnahmen auf den Tisch gelegt.

Wie das Spiel läuft, hat nicht nur Standard-Kollege Szigetvari illustriert, auch der Handelsblatt-Kollege Norbert Häring hat ein interessantes Detail dazu veröffentlicht. So wurde gestreut, beim letzten Finanzministertreffen in Riga seien die Kollegen entnervt über Varoufakis hergefallen, hätten ihn in den Verhandlungen wegen seiner Amateurhaftigkeit hart kritisiert. In manchen deutschen Zeitungen wurde gar berichtet, sie hätten sich vor Ärger die Ohren zugehalten – all das haben die beteiligten Spindoktoren offenbar gestreut, da die Journalisten sich sich solche Absurditäten sicher nicht aus den Finger gesogen haben. Mittlerweile ist klar, dass nichts von all dem wahr ist. Es gab zwar eine kontroverse Diskussion, aber keinerlei Beschimpfungen dieser Art. Das hat beispielsweise der italienische Finanzminister Pier Carlo Padoan bestätigt, der sich übrigens anders als die Gerüchtestreuer damit auch zitieren ließ.

Kurzum: Nicht immer, wenn Sie in einer Zeitung Informationen lesen, die sich auf anonyme Quellen beziehen, muss die Information falsch sein. Oft ist die Anonymität die Voraussetzung, dass Funktionsträger überhaupt Klartext reden. Würden sie wissen, sie werden zitiert, würden sie nur Sprechblasen absetzen. Wenn aber der immer gleiche Spin aus den offenbar immer gleichen „anonymen“ Quellen kommt, dann sollte Ihnen als Leser klar sein, dass hier Journalisten vorsätzlich instrumentalisiert werden, um eine „Storyline“ unter die Leute zu bringen.

Das selbe gilt für die unisono von den europäischen Medien verbreite Behauptung, Varoufakis sei entmachtet worden usw.

Dass wir es hier also mit einem ganz simplen Desinformationskrieg zu tun haben, um, wie das Premier Alexis Tsipras nennt, eine „Strategie, den Gegenpart persönlich herabzusetzen“, ist klar. Weniger klar ist natürlich die langfristige Strategie der einzelnen Akteure.

Wollen die tonangebenden Eliten in der Eurozone, auch mit Hilfe der EZB, die den griechischen Banken unter Bruch ihrer eigenen Zusagen weiter Liquidität abschnürt, die Syriza-Regierung einfach wegputschen? Man soll das nicht ausschließen: Bei der Absetzung Silvio Berlusconis ist das genau so gelaufen. Der wurde de fakto durch eine konzertierte Aktion von Rat, Kommission und vor allem EZB aus dem Amt getrieben – hat nur damals nicht so viele Leute gestört, weil es sozusagen schon den Richtigen erwischt hat. Sehr wahrscheinlich ist das freilich nicht. Eher will man die Syriza-Regierung dazu prügeln, die Austeritäts-Diktate am Ende weitgehend zu akzeptieren.

Ob die Syriza-Regierung eine Strategie hat? Kollege Szegetvari hält für realistisch, dass Varoufakis widerständige Art darauf abzielt, Einigungen in der Finanzministerrunde zu torpedieren, damit am Ende die Premiers die Kohlen aus den Feuer holen müssen. Kann sein, dass er damit recht hat. Kann auch einfach sein, dass es die viel simplere Strategie ist, dass einfach Varoufakis alle Pfeile auf sich zieht, damit am Ende alle froh sind, wenn Tsipras als der „Kompromissbereite“ auftritt, und dass die Hoffnung ist, dass Tsipras dann mehr herausholt, als er sonst heraus holen könnte. Ob das klappen wird, ist fraglich. Eines ist aber sicher schon gelungen, sollte das die Strategie sein. Der „gefährliche Linksradikale“ Tsipras wird drei Monate nach seinem Wahlsieg überall als der nette, umgängliche Junge dargestellt, weil er angeblich mehr mit sich reden lässt als Varoufakis.

Möglich, dass das Strategie ist. Welches Spiel genau von exakt wem gespielt wird – wirklich wissen können wir das nicht.

5 Gedanken zu „Varoufakis benimmt sich echt unmöglich (behaupten anonyme Quellen)…“

  1. Wenn aber der immer gleiche Spin aus den offenbar immer gleichen “anonymen” Quellen kommt, dann sollte Ihnen als Leser klar sein, dass hier Journalisten vorsätzlich instrumentalisiert werden, um eine “Storyline” unter die Leute zu bringen.

    Das sollte nicht erst dem/der Leser/in auffallen müssen, sondern sollte bereits vom/von Journalist/innen erkannt werden. Darum kommen immer mehr dieser Spins – so dämlich sie auch oftmals sind – durch. Kritisches Hinterfragen gehört anscheinend nur noch selten oder nur mehr bei ein paar Journalist/innen zum guten Handwerk.

  2. Das ist das was sich seit dem Regierungswechsel gezeigt hat. Hier sind massiv Spindoktoren am Werk.

    Vor zwei Tagen: „Tsipras droht mit Volksabstimmung“ – er hat lediglich in einem Interview gesagt, dass wenn er gegen seine Wahlversprechen handeln müsste, er eine Volksabstimmung machen müsste. Das als „Drohung“ zu bezeichnen wurde sicher nicht von den Zeitungen erfunden. https://duckduckgo.com/?q=tsipras+droht
    Wer aber kommt auf die Idee eine solche Aussage als Bedrohung zu sehen?
    Das können nur massiv Antidemokratische Kräfte sein, die zum einen einen gewählten Ministerpräsidenten nicht aktzeptieren, zum anderen Volksabstimmung nicht mögen.
    Das dies dann von den „Qualitätsjournalisten“ Unisono übernommen wurde ist gruselig.

    Auch die Berichterstattung über das angebliche Steuergeschenk des Fußballclub des Tsipras Freundes, eine ungalublich Konstruierte Geschichte über eine Strafbefreiung (nicht Steuerbefreiung) wie sie bei uns bis vor kurzem Standard war.

    Oder die angeblichen Milliarden in der Schweiz, die sich dann als Millionen entpuppten und eben nicht 100% Schwargeld ist, sondern wo sich vielleicht etwas findet. Das aber angeblich die Schweizer so dringend den Griechen andienen wollen. Das war doch 100% auch so eine Spinstory.

    Das wir in Deutschland drei Monate nach der Wahl nicht mal eine Regierung gebildet haben, hat kaum einer bemerkt.

    Das diese Stimmung, die erzeugt wird, nicht unbedingt eine EU Euphorie erzeugt und eher den Antieuropäern in die Hände spielt, ist ein unangenehmer Nebeneffekt.

  3. Ich vermute die Mainstreammedien und die Politiker stecken unter einer Decke. Und das Interesse an Varoufakis ist gross. Zu gross für manchen, deswegen versucht man wirklich alles um ihn unglaubwürdig wirken zu lassen. Nur wenige Medien setzen sich ernsthaft und neutral mit dem Thema auseinander. Zumal ja auch polemische Schlagzeilen sich besser verkaufen lassen. Es reicht ja aus ein paar Gerüchte zu streuen und sobald sie der erste aufnimmt schreiben die anderen von ab. Es ist wirklich erschreckend wie dadurch eine Kette von Falschinformationen entsteht. Beispiel Zeitung A schreibt laut der griechischen Zeitung XY war das so und so. Meist aus dem Kontext gerissen. Zeitung B schreibt laut Zeitung A, war das so und so, Zeitung C schreibt dann, griechische Medien berichten übereinstimmend das dies und jenes. Worauf Ich hinaus will, gesteht die EU ihre Politik ist gescheitert, wird sie abgewählt, stigmatisiert man aber Varoufakis als Buhmann, schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens braucht man nicht zugeben das die eigene Politik falsch ist, zweitens sendet man ein Zeichen nach Spanien, wählt lieber nicht Podemos, das wird euch sonst auch passieren. Dem eigenen Volk sagt man, wir wollen ja den Griechen helfen aber die wollen ja nicht. Einen Fehler hat Varoufakis tatsächlich gemacht, er hatt seine Partner unterschätzt und ging davon aus das sie Einsichtig sind, sie haben aber weit aus mehr zu verlieren und tun alles um ihre Macht zu sichern. Es bleibt spannend. Setzt sich David gegen Goliath durch und wie oft werden wir noch lesen müssen, laut einer anonymen hochrangingen Quelle aus Athen, als würde einer der Regierung so doof sein und den Blättern infos zukommen lassen die am polemischten bisher berichtet haben.

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