Mörder und Putschisten, sowas gibt’s bei uns nicht. Aber sowas von niemals.

Der Rote Faden, meine Kolumne aus der taz vom Wochenende. 30. Mai 2015

Es hängt eben alles immer von der Perspektive ab. Das bewies jetzt wieder einmal ein Kommentator in der New York Times, der die These bestreiten wollte, dass die Republikaner immer mehr nach rechts driften, während die progressiven Demokraten moderat in die Mitte rutschten. Das sei doch völlig falsch! In Wirklichkeit seien die Demokraten die wahren Extremisten. Die Beweisführung ging dann so: Seit 20 Jahren, seit der Zeit des populistischen Republikaneranführers Newt Gingrich, seien die Republikaner doch gar nicht sehr viel weiter nach rechts gerutscht, während Obama doch sehr viel linker sei als Bill Clinton. Ergo: Die Demokraten, nicht die Republikaner werden immer Extremer. Das hat schon etwas: Tatsächlich ging es vom Ultrarechten Gingrich bis zur Tea-Party-Dominanz bei den Republikanern gar nicht mehr sehr viel weiter nach Rechts. Wäre ja auch kaum möglich. Sehr viel rechter geht ja kaum. Rechts von der Tea-Party ist ja nur mehr der Kukluxklan. Dann kommt schon die Wand. Wenn man ausreichend lang den Rechtsradikalismus fokussiert und sich an ihn gewöhnt, dann scheint er offenbar irgendwann zur Mitte zu werden.

Die Ordnung der Diskurse leistet dazu einen gehörigen Beitrag – die Ordnung dessen also, was im medialen Feld als anerkannte, „vernünftige“ Position durchgeht. Zwar gibt es ja nichts, was nicht gesagt werden könnte, aber doch die feinen Linien, die das „Vernünftige“ vom „Absurden“ trennen. Was jenseits dieser Linien situiert ist, darf dann, obwohl es natürlich nicht sensu strictu verboten ist, nicht gesagt werden.

„Die Ordnung des Diskurses bestimmt, was gesagt werden darf und was ungesagt bleiben muss, wer als anerkannter und respektierter Sprecher mit Autorität erscheint und wer – umgekehrt – allenfalls als schräger Querdenker durchgeht.“

Nur ein Beispiel: Würde man sagen, die Innenminister der Europäischen Union nehmen den Tod von tausenden Bootsflüchtlingen nicht nur billigend in Kauf (das darf man sagen), sondern sie würden das Sterben vorsätzlich herbeiführen – sie wollen die Toten! -, dann würde man eher Kopfschütteln ernten. Aber tatsächlich ist es natürlich so. Die EU-Innenminister haben Druck auf Italien ausgeübt, die Operation Mare Nostrum zu beenden und jede Seenotrettung zu unterlassen. Denn dies würde die Flüchtlinge „ermutigen“, so der britische Vize-Innenminister, wäre „Beihilfe zur Schlepperei“, so der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere. Soll heißen: Wenn Flüchtlinge wissen, dass sie eine hohe Überlebenschance haben, würde sie das „ermutigen“. Und was genau würde sie dann „entmutigen“? Bingo: Viele Tote. Das ist die Logik. Aber so richtig sagen darf man das nicht, das wäre doch zu arg, zu radikal. Damit würde man sich vom harmlosen linksliberalen Humanistenmainstream schon ein bisschen zu weit entfernen, würde man insinuieren, unsere traurig-talentfreien Staatsdiener seien so etwas ähnliches wie Mörder.

blogwertAnderes Exempel: Es spricht ja viel dafür, dass die EU-Finanzminister gegenüber Griechenland so etwas wie einen Staats-, einen Finanzputsch orchestrieren. Ja: Putsch! Man lässt eine gewählte Regierung ja nicht nur in Verhandlungen völlig auflaufen (was zwar unschön, aber durchaus im Rahmen des Legitimierbaren ist), man organisiert nicht nur eine Desinformations- und Lügenkampagne gegen sie (was unschön und darüber hinaus schon ziemlich grenzwertig ist), man setzt auch die Europäische Zentralbank EZB ein, um Griechenland und seine Banken von Liquidität abzuschneiden. Kurzum: Man benutzt die EZB, die sich in Politik eigentlich nicht einmischen darf, um die griechische Regierung zu erpressen (was wider alle Regeln ist). Was früher also Obristen und Generale erledigten – nämlich demokratisch gewählten Regierungen den geladenen Revolver an die Schläfe zu halten -, das machen in modernen Zeiten Zentralbanker. Das könnte man schon eine Art Putschversuch nennen – würde man sich mit solchen als „überzogen“ gebrandeten Urteilen nicht außerhalb der Diskursordnung stellen. Das alles, wohlgemerkt, in einem medialen Umfeld, in dem jeder Unfug und jede Lüge über die griechische Regierung – etwa über Finanzminister Varoufakis – ihre sofortige Verbreitung findet und aus keinem Leitartikel der Süddeutschen Zeitung oder der FAZ wegzudenken ist.

Michel Foucault hat in der „Ordnung des Diskurses“ ausgeführt, wie die „Kontrolle der Diskurse“ entsteht, ohne dass es an irgendwelchem Punkt identifizierbare „Kontrolleure“ gibt. Die Ordnung des Diskurses wird im Diskurs selbst erzeugt, es gibt keinen Zentralort der Macht, aber „Machteffekte“, als deren Folge sich herauskristallisiert, was gesagt werden darf und was ungesagt bleiben muss, wer als anerkannter und respektierter Sprecher mit Autorität erscheint und wer – umgekehrt – allenfalls als schräger Querdenker durchgeht.

Weshalb ich weder „Mörder“ noch „Putsch“ sage.

Ein Gedanke zu „Mörder und Putschisten, sowas gibt’s bei uns nicht. Aber sowas von niemals.“

  1. Vor kurzem kommentierte ein griechischer Freund von mir, der im Athener Bildungsministerien arbeit, wie sehr sich Politiker des hiesigen Landes (damit meine ich Griechenland) schämen würden wegen der menschunwürdigen Behandlung der Flüchtlinge bei ihnen. An diesem Punkt verbinden sich die beiden Geschichten ihres Artikels.

    Gut herausgearbeitet und auf den Punkt gebracht, bravo. Es ist leider wahr, dass wir komplett für dumm verkauft werden, aber das war natürlich schon immer so. Was soll man da noch sagen?

    Als in Griechenland lebender Deutscher mit einer griechischen Frau interessiert mich Geschichte zwei natürlich besonders. Aber im Grunde ist es alles das gleiche. Das Geld und die Macht sitzen im Norden Europas, und das wird gnadenlos ausgespielt. Weder Italiener noch Griechen bekommen irgendwelche Unterstützung um mit den Flüchtlingsströmen fertig zu werden, außer gut gemeinter „Ratschläge“. Und wenn griechische Schulkinder wegen des völligen Fehlens jeglicher Art von Sozialhilfe unterernährt in der Schule zusammenbrechen, dann erhöht das nur die abschreckende Wirkung auf Spanier und Portugiesen, bei der nächsten Wahl das Kreuz da zu machen, wo es ihnen Herr Juncker empfielt. Das gleiche gilt für den Anstieg der Selbsmordquote in den Krisenländern.

    Aber vielleicht wollen Sie ja mal etwas erfreuliches schreiben? Zum Beispiel über Spieltheorie und das Prinzip wer zuerst zuckt hat verloren? In Wissenschaftlerkreisen auch „game of chicken“ genannt. Da könnte man dann vielleicht nachlesen, dass die aufmüpfigen Griechen gar nicht von Amateuren sondern von Profis regiert werden, und dass die meisten Leute hier „unten“ hinter ihrer neu gewählten Regierung stehen.

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