Wem gehört der Euro?

Regime der Angst. Die autoritäre Erpressungspolitik der EZB und das historische Versagen der SPD. Der rote Faden, meine Kolumne in der taz.

Wem gehört eigentlich der Euro? Wir sehen in diesen Tagen, dass er weder den Bürgern Europas gehört, noch den Mitgliedsstaaten der Eurozone, sondern einer supranationalen Institution, der Europäischen Zentralbank, die ihn wie ihr exklusives Privateigentum behandelt. Und diese sendet an die Bürger Europas gerade folgendes Signal: „Er gehört Euch nicht, ihr dürft ihn nur benutzen, aber auch das nur solange, solange wir Euch das gestatten.“ Als Bürger der Eurozone ist der Euro somit für mich eine Währung wie jede andere, wie etwa der Dollar. Auch den darf ich benutzen, auch wenn der nicht „meine“ Währung ist, sondern die der Amerikaner. Und der Euro ist eben genausowenig „meine“ Währung, sondern die der Frankfurter Zentralbanker.

Wir alle dürfen den Euro nur benützen – aber die Eigentümer sind die Frankfurter Zentralbanker, die uns gerade klar machen, dass sie uns das Geld jederzeit entziehen werden, wenn wir die Falschen wählen.

blogwertMan kann zu keinem anderen Schluss kommen in diesen Tagen, in denen die EZB die griechischen Banken und damit die griechischen Bürger von ihrem Zahlungsmittel abschneidet. Denn die griechischen Banken sind illiquide, nicht insolvent. Um das zu verstehen, muss man ein paar falsche Bilder geraderücken, die wir alle instinktiv im Kopf haben: Etwa, dass, wenn Bürger ihre Guthaben bei der Bank beheben, die Bank „Werte“ verliert. Das tut sie aber nicht. Denn die Guthaben sind ja Zahlungsverpflichtungen, die die Bank gegenüber den Einlegern hat, und nicht umgekehrt. Das heißt: Es sind Zahlungsverpflichtungen, denen sie potentiell jederzeit nachkommen muss, und keine Werte in den Büchern der Bank. Werte in den Büchern der Bank sind die Zahlungsverpflichtungen, die andere bei der Bank haben – Kreditnehmer etwa. Insolvent kann eine Bank nur werden, wenn die Zahlungsverpflichtungen, die andere gegenüber der Bank haben, sich durch Massenpleiten in Luft auflösen, während die Zahlungsverpflichtungen der Bank unverändert bleiben. Das ist aber in Griechenland nicht der Fall – und wenn es der Fall sein sollte, wird dieser Fall ein von der EZB aktiv herbeigeführter Fall sein.

Die Botschaft richtet sich somit nicht nur an die Griechen, sondern selbstverständlich an alle Bürger der Eurozone: „Wir können Euch in eine Katastrophe schicken, wenn ihr Euch nicht benehmt (wenn ihr also die falsche Regierung wählt), weil das wichtigste Schmiermittel Eures Wirtschaftskreislaufes gehört uns, nicht Euch, und wir zögern nicht, Euch dieses Schmiermittel zu entziehen – auch, wenn uns die Regeln darauf verpflichten, für Liquidität zu sorgen. Denn diese Regeln kümmern uns nicht.“

Man muss das in seiner unerhörten Tragweite erst begreifen: Heute kommt jede bulgarische Bank leichter zu Euros als die griechischen Banken, obwohl Bulgarien nicht Mitglied der Eurozone ist, Griechenland schon. Hier leuchtet diese Wahrheit in aller Grellheit: Griechen, Bulgaren, aber auch Österreicher und Italiener und alle anderen sind nur Benützer des Euro – Eigentümer sind die Banktechnokraten in Frankfurt.

Die herrschenden Eliten setzen heute unverhohlen auf Angstmache und nackte Drohung – sie etablieren ein Regime der Angst.

Diese Logik der Drohung mit dem Schlimmsten (eine Drohung, die jedem gilt, der Unterschied ist nur, dass es gegenüber den Griechen nicht bei der Drohung blieb), erinnert an Heinz Budes Großessay „Gesellschaft der Angst“, in der er die Angst beschreibt, die heute alle bei der Stange hält. Wer im Hamsterrad läuft, tut das ja nicht, weil er mit irgendeinem positiven Versprechen geködert wird („Wohlstand“, „Aufstieg“), sondern weil er mit der täglichen Drohung des Absturzes diszipliniert wird. Diese Angst ist allgegenwärtig, sogar wenn es keine Instanz gibt, die im strengen Sinn Angst schürt. Aber diese Allgegenwart der Angst, die zur Signatur unseres Zeitalters geworden ist, hat freilich doch zur Folge, dass die herrschenden Eliten zum Zwecke der gesellschaftlichen Disziplinierung heute vorwiegend auf Angstmache und Drohung setzen. Politik der Angst.

Es geht folglich bei all dem nicht um die Griechen allein, sondern um das zeitgenössische Regime der Angst. Man sollte erwarten, dass Progressive, selbst rechte Sozialdemokraten an diesem Punkt aufstehen: gegen den neuen deutschen Nationalismus („Wir solide – ihr müsst Hausaufgaben machen!“), für die ökonomische Vernunft, gegen den Irrsinn der konfliktiven Verschärfung von Leuten wie Schäuble & Co. Die SPD unter Sigmar Gabriel hat in diesem für Europa historischen Augenblick auf eine Weise versagt, die man nicht für möglich gehalten hätte. Und das aus rein opportunistischen Gründen. Der Taktiker Gabriel kalkuliert bauernschlau, dass selbst unter SPD-Wählern viele „gegen die Griechen“ sind (und redet denen nach dem Mund), ohne zu bedenken, dass das natürlich kein Wunder ist, wenn man stets bei der antigriechischen Verhetzung mitmacht, statt für einen Weg der Vernunft zu argumentieren. Ich sehe nicht recht, wie Gabriel dieses welthistorische Versagen politisch langfristig überleben soll.

9 Gedanken zu „Wem gehört der Euro?“

  1. Hallo, Robert,

    eine Labsal, Deine klaren Gedanken zu lesen. In Teutonien ist das leider kaum noch möglich. Da wird schon zum Halali geblasen.
    Hier in Berlin habe ich von einem Wirtschaftsmanager gehört: „Jetzt gewinnen wir den Zweiten Weltkrieg. Und das ohne einen Schuss abgegeben zu haben!“ Unglaublich, was sich in Deutschland zusammenbraut. Welche Rolle spielt dabei der „extreme Konservative“ Schäuble?

  2. Sehr geehrter Herr Misik,

    Ihre Darstellung über Insolvenz und Illiquidität ist für mich sehr verwirrend. Vielleicht kann ich es einfacher darstellen.

    Wenn eine Bank mehr Schulden (= Spareinlagen) als Vermögen (= einbringliche Kredite) hat, ist sie überschuldet und muss Insolvenz anmelden. Aktuelles Beispiel aus Österreich: Hypo-Alpe-Adria-Bank.

    Wenn eine Bank ihre Schulden (= Spareinlagen) zurück zahlen muss, die gewährten Kredite zwar einbringlich, aber noch nicht zur Rückzahlung an die Bank fällig sind, ist sie illiquid und muss auch Insolvenz anmelden.

    Eine Notenbank kann nicht unlimitiert einer Bank Kredit geben, damit sie alle ihre Sparer auszahlen kann, sonst hätte die Notenbank das Ausfallsrisiko der von der Bank an Firmen und Private gewährte Kredite. Auch die Notenbank braucht Sicherheiten und kann nicht unlimitiert Euros verschicken.

    Die Griechischen Banken sind illiquid, weil die reichen Griechen monatelang ihr Geld ins Ausland transferiert haben.

    Wieso hat Syriza dabei nun fast 6 Monate tatenlos zugesehen und diese Kapitalabflüsse nicht verhindert bzw. massiv besteuert?

    Die kleinen Leute können nun die Konsequenzen dieser Geldabflüsse tragen, bei denen Syriza zugesehen hat.

    Ich bin enttäuscht.

    1. „Die Griechischen Banken sind illiquid, weil die reichen Griechen monatelang ihr Geld ins Ausland transferiert haben.

      Wieso hat Syriza dabei nun fast 6 Monate tatenlos zugesehen und diese Kapitalabflüsse nicht verhindert bzw. massiv besteuert?“

      Meines Wissens ist das in Europa nicht erlaubt, weil der freie Markt nicht durch derartige Regierungsmaßnahmen behindert werden darf.

  3. Verehrter Herr Schmutzer,

    das derzeitige Problem ist, dass sehr viele Leute glauben, sie könnten diese bedrohliche Krise, die eine Krise Europas und des Euros und nicht Griechenlands ist, mit einem Alltagsverständnis beikommen. Was Sie sagen ist zu kurz gegriffen. Auf die Sprünge helfen kann Ihnen dieser Text:

    http://www.flassbeck-economics.de/die-staatsschuldenkrise-eine-fata-morgana/

    und zum Unterschied zwischen Insolvenz und Illiquidität:

    http://www.flassbeck-economics.de/emergency-liquidity-assistance-von-der-ezb-wie-das-schwarze-peter-spiel-funktioniert/

    Ihre Darstellung ist eben zu einfach.

    Ich als Deutsche fühle mich unter dieser Merkel-Regierung und dem damit verbundenen Wahngeschehen fremd im eigenen Land. Auch ich bin entsetzt nicht nur über den ungeheuerlichen und auch dreisten Machtmissbrauch (wir profitieren vom „schwachen“ Euro am meisten und hätten mit der D-Mark längst aufwerten müssen), sondern auch über das Versagen der deutschen Qualitätsmedien, die hier beherzt hätten eingreifen müsssen. Stattdessen haben sie sich sogar mehr oder weniger subtil an der Hetzkampagne beteiligt.
    Nun wird international massiverer Widerstand spürbar, siehe heute SZ online über den Hashtag auf Twitter. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, aber wie da noch eine Lösung aussehen kann, die wirklich gangbar ist, fragt man sich allerdings.

    Ansonsten liebe ich diese Seite, die so treffende und so angenehm denkfreudige und rational argumentierende Analysen liefert.

  4. Wieder mal muss man ausländische Blogs bemühen, um Dinge gerade zu rücken, die in deutschen Medien in einem Maße verzerrt wiedergegeben werden, dass man sich als Deutscher schämt.

    Diese Bundesregierung unter Führung von Herrn Schäuble (!) erpresst schamlos eine demokratisch gewählte Regierung eines europäischen Staates, ohne sich Gedanken über die Auswirkungen ihrer Handlungsweise zu machen.

    Schäuble ist persönlich beleidigt und wird nicht eher ruhen, bis die griechische Regierung zurücktritt. Eine unglaubliche Rückkehr des deutschen Herrenmenschentums. Bezeichnend die folgende Karikatur, die genauer als jeder Kommentar ausdrückt, was diesen ausgebrannten Apparatschik antreibt:
    http://www.stuttmann-karikaturen.de/karikaturen/kari_20150712_Echte_Reformen_kol.gif

  5. Einst rief Reuter: „Völker dieser Welt, schaut auf diese Stadt“ heute kann man es ersetzen durch „Völker dieser Welt, schaut auf das kleine Land Griechenland, welches von Deutschland erpresst wird“

    Deutschlands Eliten, allen voran die jetzige Regierung, würden sich nur dann Gedanken machen, wenn sie selber mit dem Rücken an der Wand stehen würde. So wie einst Deutschland 1953 bei der Londoner Schuldenkonferenz.

    Ohne diese wäre Deutschland heute liebe Deutsche, dass sei euch in Stammbuch geschrieben, immer noch ein Entwicklungsland. Ihr liebe Deutsche habt nun wirklich keinen Grund zu triumphieren, denn ihr habt noch nicht einmal eure eigenen Schulden komplett zurückgezahlt. Im Gegenteil, mit Tricks siehe 2 Plus 4 Verträge, sich der Rückzahlungen gegenüber Griechenland entzogen. Man braucht in Deutschland offensichtlich nicht mehr als die Mehrheit der Medien hinter sich zu wissen, und die Herrschenden haben wieder freie Hand. Am Schluss wusste natürlich niemand etwas davon?

    Denn was ich heute lese, höre und in Teilen auch sehe, erschreckt mich zu tiefst, denn ich habe ein Dejavu und wähne mich 1933 statt im Jahre 2015. Der Unterschied zu heute, damals war es eine Diktatur, heute leben wir ja angeblich in einer Demokratie.

    Es scheint wohl, unterschwellig haben viele Deutsche nur bedauert den Krieg verloren zu haben. Das aber bedeutet nichts anderes, die Ideologie von 1933 war wirklich nie weg. Deutschland will und hat aus der Geschichte nichts gelernt.

    Wie kann es sein, ein Land welches für zwei Weltkriege und Völkermord verantwortlich war, bekam einen Schuldenschnitt und Umstrukturierung seiner Schulden, aber Griechenland der genau das einfordert, verweigert man diese Umstrukturierung? Mit anderen Worten, zwei Weltkriege und Völkermord wiegen nicht so schwer, wie wenn ein kleines Land und seine griechischen Oligarchen geschummelt haben? Im Übrigen alle in Europa und auf der Welt schummeln? Hinzu die Fehlkonstruktion der EU sprich Währungsunion haben auch zu dieser Krise beigetragen, ja sogar maßgeblich.

  6. Damit der Leser ihren Artikel versteht muss er erst einmal verstanden haben wie Geld entsteht und wie es gebucht wird. Erpressen kann man uns nur solange wie wir das Geldsystem nicht verstehen. Nicht das Geld garantiert unsere Arbeitskraft sondern unsere Arbeitskraft garantiert das Geld. Dazu muss man noch verstehen das Giroguthaben (elektronisches Geld ) kein gesetzliches Zahlungsmittel sind sondern ein Anspruch auf gesetzliches Zahlungsmittel. Nur so kann man verstehen was passiert wenn die Griechen Bargeld abheben. Da sehen die Möglichkeiten der Erpressung doch gleich ganz anders aus.

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