Der (kurze?) Sommer des Sozialismus

Der erstaunliche Höhenflug von Bernie Sanders und Jeremy Corbyn.

Der Rote Faden, meine Kolumne aus der taz, Samstag, 17. August 2015

Seit Jugendtagen habe ich den schönen Titel des schönen Buches von Hans Magnus Enzensberger im Kopf „Der kurze Sommer der Anarchie“, ein essayistische Porträt von Buenaventura Durruti, des Anarchistenführers im spanischen Bürgerkrieg. Das Wort „Sommer“ evoziert etwas Strahlendes, Glanz, die Hoffnung, der „kurze Sommer“ aber schon das Ende der Hoffnung. Der Herbst und der Winter gehört den Anderen.

Ein bisschen erleben wir gerade einen eigentümlichen „Sommer des Sozialismus“, der den meisten in unseren Breiten nicht auffällt, weil wir hier im Merkel-Herbst leben, egal wie die Temperaturen draußen sind. Aber anderswo, oho, da tun sich erstaunliche Sachen. In Großbritannien etwa hat sich der Linke Jeremy Corbyn um den Vorsitz der Labour-Party beworben und seine Kampagne hat schnell ein Momentum gewonnen, das nicht einmal er sich zu träumen erhofft hat. Zig-tausende sind in die Labour-Party eingetreten, um bei den Vorwahlen für Corbyn stimmen zu können, junge Leute, die beispielsweise sagen: „Man sagt, er sei ein altmodischer Sozialist. Aber für meine Generation klingen seine Ideen verdammt neu.“ Mittlerweile führen die Buchmacher Corbyn als hohen Favoriten, der mit 53 Prozent in Führung liegt, während die verschiedenen Mitbewerberinnen und -bewerber gerade mal bei 20 Prozent rumdümpeln. Und man soll bei all dem ja auch nicht vergessen, dass die linkssozialistische Schottische Nationalpartei sowohl Labour als auch die Torys bei den Parlamentwahlen quasi ausgerottet hat auf schottischem Territorium. Und das hat natürlich überhaupt nichts mit Nationalismus zu tun, der Erfolg begründet sich einzig damit, dass die SNP-Leute das Image haben, noch echte, ehrliche Sozialisten zu sein.

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Ortswechsel: USA. Da mischt ein Mann wie Bernie Sanders gerade den US-Wahlkampf auf, der Senator, der einzige relevante Politiker Amerikas, der sich selbst einen „Sozialisten“ nennt. Sanders ist ein Sozialist von der Art Kreisky-Palme-Willy-Brandt, was für die USA natürlich verdammt linksradikal ist. Und füllt Stadien! Zieht Crowds von 10.000 Leuten und mehr zu seinen Wahlveranstaltungen.

Natürlich, Hillary Clinton wird er die Nominierung als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten nicht streitig machen können, aber allein, dass er ihr in den Umfragen schon verdammt nahe gekommen ist, ist mehr als jemals für möglich gehalten wurde. Und, mehr noch: Laut Umfragen würde Sanders – wären jetzt Wahlen -, jeden Kandidaten der Republikaner schlagen, also sowohl Donald Trump als auch Jeb Bush. Jeden!

Erstaunlich ist all das allemal. Und es fügt sich auch ein in den Aufstieg von Podemos und die Popularität, die Alexis Tsipras in ganz Europa geniest – beziehungsweise, im Kontrast dazu, den geballten Hass, den die herrschenden Eliten gegenüber den Syriza-Premier hegen. Summiert sich das schon zu einem kleinen Sommer des Sozialismus? Nun, man soll das natürlich nicht überbewerten und schon gar nicht falsch interpretieren.

Weder die Briten und schon gar nicht die Amerikaner sind jetzt alle Sozialisten geworden. Vielleicht ist es ja viel simpler: Diese Sozialisten, Leute wie Corbyn und Sanders, strahlen aus, dass sie ehrliche, einfache Leute sind, die das Herz am rechten Fleck haben und sich nicht den neoliberalen Eliten unterwerfen werden wie diese Bettvorleger der herrschenden Klassen a la Tony Blair. Und gleichzeitig haben die Bürger und Bürgerinnen vor allem aber diese schmierigen, glatten, korrumpierten Typen der Elitenpolitik satt, diese Typen, die am liebsten eine Demokratie ohne Bürger hätten. Eine ehrliche sozialistische Haut, die das Herz am rechten Fleck hat und mit den Leuten in einer normalen Sprache kommuniziert (und sie nicht wie doofe Vorschulkinder behandelt), kann heute Momentum gewinnen, während angepasste blutleere Apparatschiksozialdemokraten sehr sehr oft überhaupt keine Chance mehr haben.

Auch das darf man natürlich nicht total generalisieren: Matteo Renzi, der Italiener, ist ja eher ein Blair-Typ, also so ein Pragmatiker der Mitte, und kann dennoch mit jugendlichem Elan und Reformer-Entschlossenheit punkten. Aber in aller Regel kommen in den Apparaten kaum mehr Leute hoch, die irgendjemanden begeistern können. Wenn es aber jemand schafft, der anders ist, und aus dem Seitenout ins politische Spielfeld steigt, dann hält ein elektrisiertes Elektorat vor Freude schier die Luft an: Endlich einer, der Anders ist! Endlich ein „regular Guy“, statt dieser glatten Windkanaltypen mit Föhnfrisur und grauen Anzügen oder diese Klonpolitikerinnen mit ihren Sprechblasen und Kostümchen!

Der Sozialismus ist heute auch ein wenig eine Stilfrage.

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