Alexis allein zu Haus

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Der rote Faden, meine Kolumne aus der taz.

Noch einmal schlafen, und dann wissen wir, ob Syriza nur eine Episode war oder ob sich Alexis Tsipras doch noch in eine zweite Amtszeit retten kann. Ein Herzschlagfinish wird das in jedem Fall, und dabei hatte das noch vor ein paar Wochen ganz anders ausgesehen. Was, verdammt noch mal, ist da denn passiert, während wir nicht allzu aufmerksam hingesehen haben, weil wir alle auf Bahnhöfen mit Wichtigerem beschäftigt waren? Hatte Tsipras nicht vor drei Wochen noch Zustimmungsraten von 70 Prozent, während die Konservativen nur einen Übergangskandidaten als Parteichef hatten?

In meinem Hotel am Exarchia-Platz in Athen ist ein großes Hallo, Linke aus aller Welt steigen hier ab, ein bisschen fühlt sich das nach Interbrigaden an. In einem Cafe ein paar Meter weiter treffe ich Giorgis Chondros, er ist ZK-Mitglied von Syriza. Was war der Fehler zuviel? Die „Kapitulation“ vom Juli, als sich Tsipras von den Eurozonen-Hardlinern erpressen ließ? Oder der Neuwahlbeschluss? Beides war wohl unvermeidbar, und den Kompromiss vom Juli haben die Griechen Tsipras auch verziehen, schließlich hat er ja wie ein Löwe gekämpft. „Es war sicherlich ein Fehler, dass Tsipras keinen Parteitag vor den Wahlen abhalten wollte“, meint Chondros. Da wäre der einzige „vermeidbare“ Fehler gewesen. Mit einem Parteikonvent hätte Tsipras zwar seine entschlossenen linksradikalen innerparteilichen Opponenten nicht gewinnen können, aber das große Lager der Skeptiker, also diejenigen, die durch die Achterbahnfahrt der vergangenen Monate verunsichert und frustriert worden sind.

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Syriza, die Parteiaktivisten, aber auch die größeren Kreise der Sympathisanten und potentiellen Wähler sind einfach demobilisiert; demoralisiert. Der Partei ist auch die Botschaft abhanden gekommen: Ist sie jetzt eine Anti-Austeritäts-Kraft? Oder verteidigt sie jetzt das Austeritätsprogramm, das sie akzeptieren musste? Die Antwort lautet: Beides ein wenig. Dass das keine besonders elektrisierende Botschaft ist, ist klar.

So präsentiert sich die Partei einfach als Kraft des „Neuen“. Neu, das ist irgendwie das einzige verbliebene Schlüsselwort in diesem Wahlkampf. „Jung&Neu“, das soll die Botschaft ersetzen, die einem abhanden gekommen ist.

Natürlich ist es ein wenig fies und gemein, jetzt nach den Fehlern zu suchen, die Tsipras und seine Leute gemacht haben. Sie wurden einfach von den Machthabern EU-Europas unterminiert, die sie genau in die Lage bringen wollten, in der sie jetzt sind. Was genau ist der Fehler dessen, der in die Ecke gedrängt wird und eine Pistole an den Kopf gedrückt bekommt? Aber gut, die Welt ist ungerecht. Wussten wir vorher auch schon.

Und dass die Linke sehr talentiert darin ist, ihre eigenen Leute zu demontieren, das ist auch nicht ganz neu. Denn in diese Lage ist Tsipras ja erst gekommen, weil der linksradikale Flügel von Syriza entschlossen war, ihm die Gefolgschaft zu versagen. Eine Fundamentalkritik zu üben, Tsipras als „Verräter“ zu brandmarken – kurzum, das zu tun, was Linksradikale immer am liebsten tun, nämlich moderate linke Premiers ins Wanken zu bringen, damit dann Konservative zu Premiers gewählt werden. Im strategischen Denken war der gemeine Sektierer noch nie sehr gut.

So schleppt sich der Wahlkampf durch die letzten Tage, und anders als im Januar hat kaum jemand das Gefühl, dass es um irgendetwas Bedeutendes ginge. Dabei steht viel auf dem Spiel: Syriza könnte von einer großen Hoffnung zum großen Desaster der europäischen Linken werden. Wird Tsipras jetzt abgewählt, wird das nicht der heroische Abgang eines von übermächtigen Gegnern Geschlagenen. Im Gegenteil, den neoliberalen Eliten wird es dann ein Leichtes sein, Syriza zur Lachnummer, zur lächerlichen Dilettanten-Episode zu stilisieren. Rettet Tsipras sich mit einem blauen Auge und zwei, drei Prozentpunkten Vorsprung über diese Wahlklippe, dann wird er wohl in einer neuen, Mitte-Links-Koalition regieren und der Schalter wird auf Restart gestellt: Dann wird seine Regierung versuchen müssen, in kleiner Kärrnerarbeit erstens das Land ganz praktisch zu reformieren, und in Europa Schicht für Schicht Allianzen zu bilden, mit jenem Teil der europäischen Sozialdemokratie, der dafür empfänglich ist, mit Gewerkschaft, mit Sozialbewegungen, auch mit progressiven Christdemokraten, vielleicht auch mit einer PSOE-Podemos-Koalition in Spanien, sollte die gewählt werden. Dass die Herkulesaufgabe, Europa auf einen neuen Kurs zu bringen, mit Oskar Lafontaine und dessen zehn besten Freunden (sofern der noch so viele hat) allein nicht hinhauen wird, das haben Tsipras und seine Leute mittlerweile begriffen.

2 Gedanken zu „Alexis allein zu Haus“

  1. Musste der Kinnhaken gegen Lafontaine nun sein? Aber Misik hat ja Recht: Die Zukunft Griechenlands ist auf Gedeih und Verderb damit verbunden ob es gelingt eine Resonanz innerhalb der europäischen Sozialdemokratie zu erzeugen. Die Frage ist nur: wie kann das gehen? Der Verweis auf „jenem Teil der europäischen Sozialdemokratie, der dafür empfänglich ist“ ist nun auch nicht soooo überzeugend. Ich hatte doch den Eindruck, dass die Hoffnungen von Syriza gerade hinsichtlich der Möglichkeiten „Martin Schulz“ als Bündnispartner zu gewinnen illusorisch waren. Mag sein, dass das bei den französischen Sozialisten anders aussieht. Mag sein, dass nun durch Labour andere Impulse kommen. Ich kann mir jedoch eine solche Resonanz innerhalb der europäischen Sozialdemokratie nur vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Auseinandersetzungen (manche sagen Klassenkämpfe) vorstellen. Die gramscianische Perspektive ist ja richtig, es geht um „Schichten“, die abgetragen werden müssen. Aber es geht eben auch um Themen bei denen das gelingen kann.

    1. klar, das ist harte kärrnerarbeit. PSOE wird sich auch verändern müssen, sofern sie eine koalition mit podemos bildet. anders siehts aus, wenns eine PSOE-PP-Koalition gäbe, hängt alles sehr vom spanischen Wahlausgang ab. Aber anders geht wohl Kursänderung IN DER EUROZONE nicht. Wenn Syriza nicht Griechenland aus der Eurozone führen will, ist das die einzige Möglichkeit. Und, zu Lafontaine: Ich wüsste nicht, welcher Kinnhaken gegen den nicht sein muss. Seit 20 Jahren schon, seit er die Anti-Asyl-Front in der SPD anführte.

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