Die Kaste

P1030647Wird Spanien dem griechischen Vorbild folgen und im Dezember eine Linksregierung ins Amt wählen?

Meine „Spex“-Kolumne „Der Rote Planet“ vom November

Ich sitze mit Miguel Mora in einem Parkcafe draußen in den wohlhabenden Outskirts von Madrid. Hier findet man noch die Wähler der Rechten, die Wähler der konservativen PP. Klassisches Bürgertum und auch noch harte frankistische Rechte. Aber, sagt Miguel, „das etablierte System ist in einer Bunkermentalität. Das System hat Angst. Die Stimmung im Land geht in Richtung Reset. Neubeginn.“

Miguel Mora hat ein Leben lang als Karrierejournalist gearbeitet, war Korrespondent für El Pais, bis das legendäre Qualitätsblatt auf Etabliertenlinie geprügelt wurde. Danach hat er sein eigenes Medienstartup gegründet, ctxt.es, eine der wichtigsten Stimmen für Spaniens „Gegenöffentlichkeit“.

Noch ist es nicht völlig fix, aber sehr wahrscheinlich, dass Spanien am 20. Dezember ein neues Parlament wählt. „Erstmals wird es Wahlen geben, bei denen man nicht voraussagen kann, wie sie ausgehen“, sagt Michael Ehrke, der das Büro der SPD-nahen Ebert-Stiftung in Madrid leitet. Die Parteien des „alten Systems“, also die konservative PP und die sozialdemokratische PSOE, werden – anders als etwa die griechische Pasok – nicht einfach weggefegt werden. Die beiden Etablierten und die Linke Podemos-Partei und eine neue, modernere rechtsliberale Bürgerpartei werden mehr oder weniger gleichauf liegen – alle so zwischen 20 und 26 Prozent. Dann stellt sich die Frage: Wer mit wem? Wird Podemos-Anführer Pablo Iglesias zum spanischen Tsipras, also zum zweiten Linkspremier des Südens?

blogwertDass die neue Linkspartei Podemos allein einen linken Aufbruch nicht mobilisieren kann, macht die Sache noch komplizierter. Bei den Kommunalwahlen haben mit den Bündnissen „Barcelona en Comú“ und „Ahora Madrid“ ja Graswurzelbewegungen triumphiert, denen sich Podemos einfach angeschlossen hat – also Allianzen. Seither regieren unabhängige Linke die beiden größten Städte (und noch einige mehr). In vielen Rathäusern gibt es schon Koalitionen von Podemos, Bürgerbewegungen und PSOE. Und noch mehr verkompliziert wird das alles durch die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien.

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In Barcelona sitze ich mit Guillem Martinez auf der Place de Sant Augusti, nur einen Steinwurf von den berühmten Ramblas entfernt. „PP und PSOE werden zerbrechen“, sagt Martinez. Er ist ein renommierter Autor, Anarchist, hat einen weißen Anzug an. Aber der katalanische Beitrag zum Aufstieg der Linken wird beschränkt sein, fürchtet Martinez. „Wir reden hier seit 20 Jahren nur von Identität und nationaler Unabhängigkeit.“ Bei den Parlamentswahlen in Katalonien voriges Monat stand alles im Zeichen der „nationalen Frage“, und Podemos hat eher schwach abgeschnitten. In Spanien sind soziale und demokratische Forderungen traditionell mit sezessionistischen Bestrebungen gegen „das spanische Zwangsregime“ verbunden. Extrem heikel für eine gesamtspanische Linke wie Podemos.

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Es wird also kein Spaziergang für die linke Podemos-Partei und ihren mediensmarten Anführer Pablo Iglesias, dem Mann mit dem Pferdeschwanz („la coleta“). Der trommelt gegen „die Kaste“, aber realiter muss seine Partei jetzt schon in vielen Städten gemeinsam mit Protagonisten „der Kaste“ regieren, und es ist durchaus eine der wahrscheinlicheren Varianten, dass er demnächst als kleinerer Partner in einer Koalition mit der PSOE regieren wird. „Ein politischer Kampf ist ein Kampf mit und um Worte“, sagt Iglesias. Das richtet sich an die marxistische, akademische Linke. Er will eine Linke, die spricht „wie das Volk“. Denn die normalen Leute, sagt er einem imaginiären Linken, „die ziehen dem Feind Dir vor. Sie glauben ihm. Weil sie ihn verstehen, wenn er spricht. Aber Dich verstehen sie nicht. Kann ja sein, dass Du recht hast. Aber dann kannst Du Deine Kinder gleich bitten, auf Deinen Grabstein zu schreiben: ‚Er hatte immer recht – aber niemand hat es je erfahren.'“

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