Wie die „Presse“ religiöse Ressentiments schürt

In der Wiener Tageszeitung „Die Presse“ ist dieser Tage ein Kommentar (Link) erschienen, der wieder einmal das Abendland untergehen lässt. Gut, ist eh bissi lächerlich, und ganz gewiss nicht meine Meinung. Aber was soll’s: Niemand ist verpflichtet, meine Meinungen zu teilen. Ärger noch: Jedem ist hier erlaubt, die absurdesten Meinungen zu vertreten.

Das Problem beginnt da, wenn die Fakten zurechtgehauen werden. Die Autorin behauptet gleich im ersten Absatz:

So verkündete die evangelische Bischöfin Eva Brunne, man solle die Kreuze an der Seemannskirche in Stockholm entfernen, da sie eine „Beleidigung“ für die muslimischen Mitbürger seien.

Kann ja sein, denke ich, dass es in Stockholm eine durchgeknallte Bischöfin gibt, die so etwas vertritt, und mache eine erste Internetrecherche. In den mir verständlichen Sprachen findet man diese Geschichte hundertmal auf irgendwelchen rechten oder christlich-fundamentalistischen Blogs, aber kaum in vertrauenswürdigen Quellen.

Ich frage rum, klicke mich weiter. Es stellt sich dann heraus, dass die Bischöfin das überhaupt nicht in Hinblick auf muslimische Flüchtlinge oder Migranten vorgeschlagen hat. Die wahre Geschichte ist so:

Die Kirche ist, wie der Name schon sagt, eine „Seemannskirche“. Das heißt, hier kommen – wenn überhaupt – Gläubige aus vielen Ländern her. Übrigens gibt es auch eine von Norwegen betriebene christliche Seemannskirche in Dubai. Trotzdem ist die Christianisierung des Morgenlandes nichts, was irgendwo deswegen gleich Panik auslöst. Aber egal: Im Vorstand der Kirche hatte man nun die Frage diskutiert, was denn wäre, wenn Schiffe aus anderen Weltreligionen stranden, Schiffbruch erleiden, oder längere Reparaturen durchführen müssen. Daraufhin hat man als Möglichkeit erwogen, die Kirche – wie die vielen multireligiösen Gebetsräume auf Flughäfen, in Krankenhäusern etc. -, auch muslimischen, buddhistischen, hinduistischen etc. Seefahrern zur Verfügung zu stellen. Und dafür Teile der Kirche „optisch zu neutralisieren“, also christliche Symbole temporär zur Seite zu rücken. Und außerdem mit einem Wegweiser die Richtung nach Mekka zu markieren. Schlimm? Nö, nicht wirklich. Gescheit? Kann man diskutieren. Skandal? Sicher keiner.

Es geht in dem Kommentar weiter mit paranoider Faktenverdrehung:

Muslime klagen vermehrt, man fühle sich durch die vielen Weihnachtsmärkte beleidigt. 

Interessant. Ich habe noch keinen Muslim getroffen, der sich von Weihnachtsmärkten beleidigt fühlt. Im Gegenteil: Unlängst war ich auf einem von muslimischen Flüchtlingen betriebenen Punschstand, bei dem Geld für Flüchtlingshilfe gesammelt wird. Kann ja sein, dass die Autorin einen Muslim kennt, der sich von Adventmärkten beleidigt fühlt. Aber bitte dann ein Zitat, eine Quelle, die man nachvollziehen kann.

Und weiter geht es:

In vielen Volksschulen achtet man sorgfältig darauf, dass bei den Weihnachtsfeiern keine Lieder, Gedichte oder Texte mit religiösem Inhalt vorgetragen werden. 

In welcher? Meine Lebenserfahrung deutet eher auf das Gegenteil hin, nämlich dass in der Vorweihnachtszeit in vielen Schulen Weihnachtslieder von ganzen Schulen einstudiert werden, was schon ein bisschen komisch ist, weil die katholische Religion noch immer als „die Religion“ angesehen wird, und es immer noch selbstverständlich erscheint, dass da die Kinder anderer Konfessionen und die konfessionsfreien Kinder mitmachen müssen. Oder bei Elternabenden die Religionslehrer lange Werbeeinschaltungen für die Erstkommunion machen. Ich selbst war mal in dieser Situation und durchaus bereit, das zu akzeptieren, aber nach einer halben Stunde erschien es mir doch übertrieben, weshalb ich die Religionslehrerin bat, zum Schluss zu kommen. Nicht, weil ich etwas grundsätzlich gegen Informationsbereitstellung von Religionsgemeinschaften gegenüber ihren Mitgliedern hätte – aber in Klassen mit sechs Konfessionen plus religiös Ungebundenen würde halt ein Elternabend gleich einmal sechs Stunden dauern, wenn alle Religionen so lange für ihre Werbedurchsagen eingeräumt bekämen. Funfact: Angesichts des Auftretens der Religionslehrerin fragte mich die Mutter eines bulgarisch-orthodoxen Kindes, ob diese Erstkommunion denn für alle Kinder verpflichtend ist. Ich lachte, und sagte nein. Sie lachte und meinte, sie kenne sich da eben nicht so aus.

blogwertIn Wahrheit ist es also faktisch immer so. Christliche Frömmler, Fundamentalisten und antimuslimische Rassisten setzen irgendwelche Lügen in die Welt, die dann andere christliche Frömmler und andere Rassisten in ihrer Paranoia bereitwillig glauben. Das heißt, es sind dann gar keine Lügen mehr: Weil sie ihren Unsinn tatsächlich selber glauben.

5 Gedanken zu „Wie die „Presse“ religiöse Ressentiments schürt“

  1. also ich fühle mich tatsächlich durch die grassierenden „Weihnachtsmärkte“ beleidigt und zwar in meinem ästhetischen Empfinden und als Bürger der Stadt, deren öffentlicher Raum in unerträglichem Ausmaß von dieser durch und durch kommerzialisierten Kitschlawine vereinnahmt wird, noch dazu mit öffentlichen Mitteln gefördert. Das hat mit christlichem Brauchtum oder mit Religion und Religionsausübung überhaupt nichts gemein, die sowieso Privatsache sein sollte. Umso schlimmer, wenn die Presse Autorin glaubt, jeden Anschein von Kritik daran als Kleingeld zur xenophoben Hetze wechseln zu müssen.

  2. Und wenn wir schon bei öffentlichem Raum sind: In den Wochen vor Weihnachten werden viele Fußballkäfige mal eben in Verkaufsflächen für Christbäume umgewandelt.

  3. Wahrlich, Herr Misik, woran stoßen Sie sich? Darf die Dame sich nicht um ihren Glauben sorgen machen? Ist ja ein christliches Blatt, oder? Ich sehe darin eher ein verzweifelter Aufschrei. Machen Sie ja auch, oder? Nur in umgekehrter Richtung. Übrigens, ich bin Atheist.

    1. Es geht Herrn Misik wohl nicht darum, dass und ob sich Gudula Walterskirchen Sorgen um ihren Glauben macht, sondern, dass sie absichtlich Falschmeldungen verbreitet und den Rückzug der Religion im Allgemeinen und dem Christentum im Speziellen aus öffentlichen Räumen, Schulen und Kindergärten dazu benutzt, gegen den Islam zu hetzen. Die Trennung von Religion und Staat, sowie Religion und Bildung ist eine Errungenschaft und keine Bedrohung und wird nicht aufgrund des Islams oder gar den flüchtenden Menschen verfolgt.
      „Du sollst nicht lügen“ ist eines der 10 Gebote des Christentums. Wenn sich Die Presse oder Frau Walterskirchen Sorgen um ihren Glauben machen, dann sollten sie eventuell bei sich selbst anfangen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.