Menschenrechte – eine linke Gutmenschen-Idee

Der Rote Faden, meine Kolumne aus der taz, vom Juni 2017

Ist Ihnen auch schon aufgefallen, wie öffentliche Diskurse zum Thema Flüchtlinge, Grenzen, Abschiebungen heute oft ablaufen? Da gilt in einem anwachsenden Mainstream als ausgemacht, dass man Fliehende abhalten muss, europäisches Territorium zu betreten, dass man, wenn sie es doch schaffen, möglichst restriktiv ihre Asylgründe prüfen müsse, und dass, wer hier aus irgendwelchen Gründen keinen Aufenthaltstitel erlangt, abgeschoben werden müsse, wie immer die Lage in seinem Heimatland ist.

So weit, so bekannt. Wenn dann irgendjemand einwendet, dass aber doch die Menschenrechte beachtet werden müssen, dass Leute, die als Jugendliche hier her kamen, sich vielleicht schon integriert haben, doch nicht mit Erreichen des Erwachsenenalters nach Afghanistan abgeschoben werden sollten; dass man da also die Menschenrechte nicht aus den Auge verlieren dürfe, aber auch so etwas wie unnötige Härten vermeiden sollte… Wer also solches einwendet, was vor einigen Jahren noch als Haltung des gesunden, vernünftigen Menschenverstandes gegolten hätte, der oder die muss mit aggressiver Abwehr rechnen.

So von der Art: die blauäugigen Gutmenschen, kommen uns da mit Menschenrechten daher, haben die denn überhaupt keinen Sinn für Pragmatismus und die realpolitischen Notwendigkeiten?

Aber was bedeutet das eigentlich in letzter Konsequenz? Das Konzept, die Idee der Menschenrechte gilt als Gutmenschenkonzept. Das Wort „Menschenrechte“ selbst ist ein rhetorischer Marker geworden, bei dem in Politik und Publizistik mindestens die Hälfte der Protagonisten schon beginnen, die Augen zu verdrehen.

Was heißt: Was vor wenigen Jahren wenigstens noch in Sonntagsreden Konsens war, nämlich dass Menschenrechte gewahrt, verteidigt, befestigt werden müssen, dass die Menschenrechte die Basis des westlichen Wertekanons seien, also das ganze Blabla, das von fast ganz links bis fast ganz rechts ein Common Sense war – das hat sich gewandelt. „Menschenrechte“ – das ist heute ein „linkes Gutmenschenkonzept“.

Muss man in seiner ganzen Konsequenz erst einmal begreifen. Vielleicht ist das ja ohnehin – geistesgeschichtlich gesehen – die Normalität. Menschen- und Bürgerrechte, das war ein republikanischer Kampfruf gegen das konservative Ancien Regime, so vor 150 Jahren, vielleicht bis vor 100 Jahren. Erst nach 1945 war auch der Konservativismus mit dem Konzept der Menschenrechte versöhnt – einerseits als Lehre aus der Nazi-Barbarei, andererseits aber auch und vor allem, weil man mit Menschenrechtsrhetorik die kommunistischen Diktaturen anprangern konnte. So wurde das Konzept der Menschenrechte zu einem Konsens von links bis rechts. Für einen kleinen historischen Augenblick von sechzig Jahren.

Wer heute „Menschenrechte“ sagt, der bekommt dann gleich ein paar andere Worte um die Ohren geworfen: moralischer Zeigefinger und wie die Floskeln alle heißen.

Es ist eine Verschiebung, die mehr eine langsame ist, zugleich Resultat und auch wieder Motor einer schleichenden Verrohung.

Mit Opfern. Menschliche Härten werden in Kauf genommen. Das Kind, das hier aufgewachsen ist, wird, kaum achtzehn Jahre alt, jetzt nach Kabul deportiert? Nun, das ist zwar nicht schön, aber die Regeln sind nun einmal so – das ist die politisch-bürokratische Logik. „Das Volk“ – wer immer das sei – ist nun einmal nicht mehr dazu bereit, weiter übertriebene Humanität zu zeigen. Da muss man streng sein, und auch wenn das im Einzelfall zu Überstrenge führt. Das muss man in Kauf nehmen, denn die Strenge müsse ja auch sichtbar sein, und wie soll die Strenge ostentativ werden, wenn man sie nicht gerade auch dann exekutiert, wenn sie als ungerecht erscheint?

So in etwa wird heute agiert, argumentiert, das ist der Geist der Diskurse.

Für eine Art theatralischer Demokratie-Performance, die ich gerade im Wiener Schauspielhaus auf die Bühne brachte, habe ich mir auch meinen Freund Möstafa Noori eingeladen. Mösti, wie ihn alle nennen, ist als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling aus Afghanistan vor einigen Jahren nach Wien gekommen, und jetzt ist er Anfang zwanzig und hat es geschafft. Super integriert, super aktiv, super ausgebildet. Aber heute ist das nur mehr schwer zu schaffen, sagt Mösti. „Ich bin die letzte Generation, der man noch vertraut hat“, sagte er. Was für ein trauriger Satz.

Und dann sagte er noch etwas Lustiges: Er ist sehr für die Demokratie, aber das war gar nicht immer so. „Das erste Mal habe ich das Wort Demokratie von George W. Bush gehört. Ich dachte damals, Demokratie hat etwas mit Krieg zu tun.“

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