Wider den „Das-geht-nicht-ismus“

Jammert Ihr noch oder rennt Ihr schon für eine progressive Mehrheit? Der rote Faden, meine Kolumne aus der taz.

Jetzt können wir natürlich darüber diskutieren, ob eine knappe Niederlage bei einer Parlamentswahl schon ein Triumph ist, aber ganz gewiss sind die knapp 41 Prozent, die Jeremy Corbyns Labour-Party erreicht hat, ein Sieg – gemessen an den Ausgangsbedingungen, gemessen an den Erwartungen. Gemessen an allem, was man sich an Bullshit von den sogenannten Politik-Experten vorher anhören musste.

Was mich an dieser Wahlsensation am meisten freut, ist die krachende Niederlage des „Das-geht-nicht-ismus“, dieser letzte große -ismus, der Blödheit unserer Zeit. Dass ein kautziger, bärtiger linker Opa, der nicht mal über den humoristischen Zauber und den Charme von Bernie Sanders verfügt, irgendetwas anderes als ein Debakel einfährt – das geht nicht, wurde uns gebetsmühlenartig gesagt. Übrigens wurde uns vorher ebenso abgeklärt von den „Realisten“ erklärt, dass man mit Bernie Sanders niemals gewinnen könnte, gewinnen könnte man nur mit Leuten wie Hillary Clinton. Tja, jetzt sagen alle Bernie „would have won“. Übrigens: Auch Emmanuel Macron war vor etwas mehr als einem Jahr noch ein fixer „Geht-Nicht“-Kandidat: aus der Regierung ausgestiegen, ohne Apparat, gegen die gesamte französische Politikmaschinerie – war ein klassisches „Geht nicht“. Und ich erinnere mich noch, als ich im Jahr 2004 Nachts mit pochendem Zahnweh wach lag und wegen der Schlaflosigkeit die Convention der US-Demokraten sah. Da sprach ein unbekannter junger Schwarzer, der gerade in Illinois für sein erstes Amt auf Bundesebene kandidierte. Und als ich den hörte, dachte ich mir: Puh, historischer Moment, den Jungen wird man sich merken müssen. Nun ja, noch drei Jahre später hörte man da: Dass ein für US-Verhältnisse sehr linker Schwarzer, der auch noch die Clinton-Maschine gegen sich hat, Präsident werden kann – völlig undenkbar. Super wäre er ja schon, aber leider, leider, unter realpolitischen Gesichtspunkten völlig „unelectable“, „unwählbar“. Hinterher hat er zwei Mal in Folge mit Sensations-Mehrheiten die Präsidentschaft gewonnen. Und wie viele Leute haben vergangenes Jahr bei uns in Ösistan gesagt, dass es völlig undenkbar ist, dass wir mit dem grünen Kandidaten Alexander van der Bellen die Wahl gegen den rechtsradikalen Norbert Hofer noch drehen – und ja, am Ende ging es 54 zu 46 aus.

Dieser Unsinn, dass Dinge niemals gehen können – von denen sich dann hinterher herausstellt, wie spielend leicht sie gehen -, der wird meist von Leuten verzapft, die man skurrilerweise gerne „Realos“ nennt. Eigentlich sollte man sie doch eher Irrealos nennen.

Wir in Österreich haben wie ihr in diesem Jahr Nationalratswahlen. Und schon wieder höre ich aus der sogenannten „Expertenblase“, die ihren Schrebergarten auf twitter hat, dass das leider rechnerisch völlig undenkbar sei, dass eine Mitte-Links-Mehrheit aus Sozialdemokraten, Grünen und den kleinen liberalen Neos diese Wahlen gewinnen könnte. Fünf Monate vor der Wahl! In der Zeit holt Dir Jeremy Corbyn einen 120-Prozent-Rückstand auf! Und das Mitte-Links-Lager liegt in Österreich in Umfragen gerade einmal fünf, sechs, sieben Prozent, höchsten zehn Prozent hinten (je nach Umfrage).

Das Ärgerliche am „Das-geht-nicht-ismus“ ist ja nicht nur, dass er eine selbstlähmende, ewig dauer-depressive Gemütsverfassung ist, sondern dass er die Prozesse, die er scheinbar nur kommentiert, ja auch beeinflusst. Er verbreitet Depression, und verhindert damit den zupackenden Optimismus, der nötig wäre, um gewinnen zu können. Der depressive „Das-geht-nicht-ismus“ glaubt nicht an sich, und daher vertraut er eher auf kleinliche politische Winkelzüge als auf den Schwung, und daher auch nur auf die Winkelzug-Experten und niemals auf die Begeisterung der Menschen (dass sich Menschen überhaupt für etwas begeistern können, ist dem „Das-geht-nicht-ismus“ in Wahrheit völlig unvorstellbar).

Jetzt fragen sich alle, wie der das geschafft hat, der Corbyn. Dabei ist es ganz einfach. Dass er ein kautziger Altlinker ist – hat ihm mehr genützt als geschadet. Sogar bei Nicht-Linken. Selbst jene Leute, die seine Haltungen nicht teilten, wussten: Der Typ ist echt. Er ist authentisch. Er steht zu dem, was er denkt. Das hat heute mindestens so viel Gewicht wie die „Links-Rechts-Achse“. Er hat Mut, zu dem zu stehen, was er sich denkt. Das verbindet auch den Sieg Macrons und den Erfolg Corbyns, so unterschiedlich die beiden Typen politisch sind. Aber auch Macrons Mut, der aus dem etablierten Polit-System ausstieg, wagemutig seine eigene Bewegung gründete, nicht auf irgendwelche „Realo“-Berater hörte, hat am Ende Eindruck gemacht und die Grundlage für seinen Erfolg gelegt: Da ist einer, der wenigstens für etwas steht. Einer, der daher wohl irgendetwas ändern wird.

Nach zehn Jahren des Dauerdebakels für den „Das-geht-nicht-ismus“ sollte man das langsam gelernt haben.

Ein Gedanke zu „Wider den „Das-geht-nicht-ismus““

  1. Das muss wohl erst noch bewiesen werden, dass Macron mutig „aus dem etablierten Polit-System ausstieg“.
    Das hat auch schon ein Jörg Haider mit der Gründung des BZÖ vorzugaukeln versucht. Darauf sind sie doch auch nicht reingefallen. Warum bei Macron? Der sammelt ja gerade die Überläufer aus der französischen Politikmaschinerie (gegen die er sich angeblich stellt). Figuren, die für eine antisoziale „Reformpolitik“ stehen. Aber dafür gibt’s ja den Ausnahmezustand, den er jetzt in den Verfassungsrang erheben will. Damit kann man dann Proteste gegen Arbeitsrechtreformen verhindern oder niederbügeln. Ist es das, was sie sich für Europa wünschen? Mehr Neoliberalsimus und Ausnahmezustand? Ist das nicht schon ökonomischer Faschismus? Immer wieder faszinierend, wer sich aller als sozial- bzw. linksliberal zu bezeichnen traut.

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