Nützliche Idiotie ist eine kluge Sache

Zum 70. Geburtstag von Elfriede Jelinek. Aus Jelinek-Jahrbuch 2016-2017

Ich stehe heute hier um zum Thema zu sprechen: „Wir waren nützliche Idioten. Zu den Anfangen von Elfriede Jelineks politischem Engagement“ – und somit zu einem Thema, von dem ich praktisch keine Ahnung habe. Als einzige Entschuldigung habe ich vorzubringen, dass ich, als ich hier eingeladen worden bin, ganz korrekt absagen wollte mit dem Hinweis: „Da kenn ich mich doch gar nicht aus.“ Und dann zu hören bekam: „Du kennst Dich schon aus, dir fällt schon etwas was ein. “

Wenn man über Elfriede Jelineks politisches Engagement nachzudenken beginnt, dann muss man zunächst einmal das Verhältnis der Person, der Schreibenden und des politischen Engagements zueinander bedenken. Spricht man über das politische Engagement einer Person, die ansonsten auch noch schreibt? Oder über den Status des Politischen im Schreiben dieser Person? Oder spricht man über die Engagierte und die Schreibende – denn es könnte ja auch durchaus sein, dass die beiden Pole – das Engagiert sein und das Schreiben -, zwar etwas miteinander zu tun haben, aber sich doch weniger berühren, als man vordergründig glaubt. Auch das ist ja zumindest denkbar.

Elfriede Jelineks politisches Engagement – wenn ich darüber rede, rede ich natürlich selbst ein wenig als Zeitzeuge, als jemand, 1966 geboren und somit zwanzig Jahre jünger als Jelinek, aber eben auch nicht mehr super-jung, als jemand, der Ende der 70er Jahre in diese Welt der Wiener Linken hineinkam, mit 13, 14, 15 Jahren – mit 15 dann schon mitten drin war. 1981: 1. Mai, Hausbesetzungen, Spontidemos. Neue Linke, das Grüppchenwesen, aber auch das Volksstimmefest, diese ganzen, nennen wir es Lebenswelten, die auch die Welten von Jelineks politischem Engagement waren. Ich habe also gewisse Erinnerungen und Empfindungen, ein gewissen Wissen über die Szenerie und frühe Erinnerungen und Bilder im Kopf: Elfriede Jelinek im Cafe Museum.

Ich möchte hier vier Gedanken äußern über den Status des Politischen und des Engagements bei Elfriede Jelinek.

Erstens: Jelinek tritt 1974 der Kommunistischen Partei Österreichs bei. Das muss man sich ja erst einmal vorstellen. 1974, das war sechs Jahre nach 1968, sechs Jahre nicht nur nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, sondern auch sechs Jahre, nachdem in Folge der innerparteilichen Auseinandersetzungen die eurokommistischen Reformer geschlagen worden sind und legendäre Figuren wie Ernst Fischer und Franz Marek mit der Partei gebrochen haben. Es ist eine Partei, die von den breschnewtreuen Figuren dominiert wird, aus der jedes Leben vertrieben worden ist. Warum tritt man da der KPÖ bei?

Jelinek wird später darüber schreiben: „Wir waren nützliche Idioten.“ Aber auch: „Ich wollte also eine Art Demutsgeste setzen, um mit der Arbeiterklasse in einer Arbeiterpartei verbunden zu sein.“

Und das ist eine Spur, die jemand wie ich, der nicht verstehen kann, warum man der KPÖ betritt, sehr wohl verstehen kann. Die Partei strukturiert noch Lebenswelten. Lebenswelten der Arbeiter. Hier will man organischer Intellektueller sein.

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Ich verstehe diese Demutsgeste auch als eine Unterwerfungsgeste. Aber nicht als Unterwerfungsgeste im negativen, sondern im besten Sinne. Man unterstellt sich, so wie man sich einem Kommando unterstellt, das man in den Details falsch, aber im Generellen richtig findet. Was nützt es, in akademischen Kleingruppen zu sein, in einer der vielen Splittergruppen, mit den fünf besten Freunden und Freundinnen, mit denen man einig ist? Es erscheint einem da doch besser, sich mit vielen zusammen zu tun, gewissermaßen nicht nur abstrakt, sondern auch praktisch auf Seiten der Klasse zu stehen, auch um den Preis, sich mit vielem gemein machen zu müssen, womit man sich nicht gemein machen kann. Dass man verteidigen muss, was man nicht für richtig hält. Viele Jahre später wird Jelinek sagen: „Ich habe verloren. Wir haben verloren. Ich stehe nach wie vor auf der richtigen Seite, aber sie ist die Seite der Verlierer“. Und: „Vielleicht soll der Sozialismus nicht herrschen, aber als Korrektiv muss es ihn geben. Er hätte vielleicht nie herrschen dürfen.“

Ich erinnere mich bei dieser Formulierung an eine berühmte Passage bei Karl Kraus aus dem Jahr 1920: „Der Kommunismus als Realität ist nur das Widerspiel ihrer eigenen lebenschänderischen Ideologie … – der Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen … Gott erhalte ihn uns, damit dieses Gesindel, das schon nicht mehr ein und aus weiß vor Frechheit, nicht noch frecher werde … Damit ihnen wenigstens die Lust vergehe, ihren Opfer Moral zu predigen, und der Humor, über sie Witze zu machen!“

Ein so verstandener Kommunismus geht nicht mehr als Gespenst um, sondern als Schreckgespenst, dessen Sinn darin liegt, den herrschenden Eliten Angst einzujagen, als Korrektiv, da dieses Gesindel noch maß- und rücksichtsloser wird, wenn man es nicht ordentlich in Angst versetzt. Einen solchen Kommunismus bräuchten wir heute wieder, könnte man sagen.

Zweites: Natürlich haben die Eliten vor dem schwindsüchtigen westlichen Kommunismus schon keine große Angst mehr gehabt, damals, zu Beginn der siebziger Jahre. Aber wer sich mit dem Chiffre „Kommunismus“ einließ, und zwar nicht mit dem respektierten unorthodoxen, sondern mit dem orthodoxen, dem sowjetischen, dem östlichen, also dem ausländischen, nämlich mit feindlichen Regierungen identifizierten – der oder die war wohl am wenigsten der Gefahr ausgesetzt, Anerkennung von den etablierten Herren und Herrenreitern zu erfahren, von den Schulmeistern und Chorherren, um das mit Elfriede Jelinek zu sagen. Sich mit ihm zu identifizieren markierte maximale Opposition und war womöglich eine Immunisierung gegen die Gefahr, auf österreichisch-schlampige Weise schulterklopfend in die große gemütliche heimische Sozialpartnerschafts-Kameraderie integriert zu werden.

Drittens: Die Geschichte des Kommunismus ist voll von Schriftstellern, die sich einer Partei anschlossen, und voll von Schriftstellern und Intellektuellen, die dadurch in Teufels Küche kamen. Das Mindeste, das man zu ertragen hatte, ist diese Spannung zwischen einerseits der solitären Künstlerinnenexistenz, dass man die Wahrheit zu sagen hat und zwar seine Wahrheit, und andererseits einer Gruppe, mit der man gemeinsam agiert, der gegenüber man Loyalität empfindet und die Loyalität auch einfordert. Ein guter Schriftsteller und eine gute Schriftstellerin muss parteilich sein, aber immer ihre Wahrheit sagen, was freilich auch heißt, sie muss auch ein bisschen illoyal sein. Also auch streng gegenüber den vermeintlich „eigenen Leuten“. Eine der großen Figuren solchen engagierten Autorentums war natürlich George Orwell, der in den Krieg für die Demokratie und gegen den Faschismus zog und die größten Reportagen darüber schrieb und einmal sagte: „Vom Gefühl her bin ich eindeutig ein ‚Linker‘, ich glaube aber, dass ein Schriftsteller nur ehrlich bleiben kann, wenn er sich kein Parteietikett verpassen lässt.“ Vielleicht ist für Autorinnen und Autoren dieses Schlages ja nicht Feigheit vor dem Feind das Problem, dem Feind gegenüber sind wir ja mutig. Die wirkliche Gefahr ist ja Feigheit vor dem Freund. Und diesem Dilemma kommt man nicht so leicht aus. Denn wenn man eine Gruppe vom Menschen – ein Kollektiv – kampffähig machen und halten will, dann muss man immer Kompromisse machen, nicht jede Meinungsverschiedenheit zum harten Streit eskalieren lassen. Und wer das tut, der macht sich angreifbar, wird Kritik ausgesetzt sein und diese Kritik kommt nicht selten dann von Leute, die – um einen Satz von Elfriede Jelinek zu paraphrasieren – „nie in ihrem Leben irgend etwas auf Spiel gesetzt haben.“ Wer sich einmischt und einmengt, wer das Korsett des Konventionellen verlässt, der riskiert etwas, die riskiert etwas. Aber nur aus diesen Überschreitungen, die in jenes Terrain führen, in denen man auch Fehler machen kann, ja Fehler machen muss, entsteht etwas, was interessant ist. Nichts ist langweiliger als Leute, die nie etwas riskieren.

Viertens: Ich sagte, ich kenne mich nicht aus. Ich kenne mich nicht aus darüber, ob die Autorin Elfriede Jelinek irgendeine relevante Rolle als Parteikader, als Bewegungsaktivisten je gespielt hat, die über ihre Rolle als Intellektuelle, als Schreibende wirklich hinaus ging. Klar ist freilich, dass ihre wesentlichen Beiträge natürlich immer ihre Texte waren, auch wenn das politische Gebrauchstexte wie Interviews, Kommentare, Zeitungsbeiträge, Solidaritätsadressen waren. Dieses Engagement galt der Kommunistischen Partei, der Arbeiterklasse, und in den späteren Jahren den Marginalisierten, den Minoritäten, den Einwanderern, früher auch den Vergessenen, den Opfern der Menschheitsverbrechen, und es galt ganz besonders auch der Frauenbewegung.

Jelinek war eine Wegbegleiterin und auch Chronistin dieser Frauenbewegung: „Da gibt es die Hexen und die großen Mütter, die sanften Lesbierinnen und die militanten Lesbierinnen und die lesbischen Aktionistinnen… da gibt es Frauen …“ die durch „explodierende Weiblichkeit“ die herrschende Kultur zertrümmern wollen. In der Frauenliteratur wird viel geklagt, schreibt sie. Jelinek nennt das „die große Klage, zu der sie leider nur allzu viel Berechtigung haben“. Die Klagen, zu denen es leider allzu viel Berechtigung gibt, ziehen sich natürlich auch durch Jelineks Werk, und ihr Engagement, so scheint es mir jedenfalls, war nie von euphorischer Begeisterung getragen, von Optimismus für die Chancen und Möglichkeiten.

Generell gibt es in der Geschichte der Linken ja zwei Arten „politischer Emotionalität“, wenn man das so nennen mag. Einerseits den fortschrittsoptimistischen Zukunftsglauben, den Optimismus, dass „uns die Zukunft gehört“ – mögen wir heute auch bedrängt sein, aber morgen wird es besser, ganz gewiss. Die Enkel fechten’s besser aus. Schon in Marx‘ zukunftsfröhlicher Geschichtsphilosophie ist das angelegt, und in den Arbeiterliedern ist es kanonisiert: „Dem Morgenrot entgegen“… „Mit uns zieht die neue Zeit“.

Aber die andere, konträre politische Emotionalität ist: die Empörung über empörungswürdige Zustände, die, zum Zwecke der Empörung, nicht unbedingt die Aussicht auf Besserung braucht, nein, im Gegenteil beinahe, wo gerade die Aussichtslosigkeit unter sich stets mehr ausbreitenden empörungswürdigen Umständen zwingt, die Stimme zu erheben, gegen diese empörungswürdigen Zustände. Zwingt, warnend das Wort zu erheben. Zwingt, Klage zu führen. Zwingt, Anklage zu erheben. „Ich lebe von der jugendlichen Kraft zur Empörung“, sagte Jelinek einmal. Die „grundlegende anthropologische Skepsis von Elfriede Jelinek“ hat das Klaus Nüchtern im „Falter“ genannt.

Elfriede Jelineks Engagement ist kontaminiert mit einer Ahnung der Aussichtslosigkeit, die aber eben auch nur eine Ahnung ist, eine, die nie ohne Spurenelemente der Hoffnung ist. „Glauben Sie wirklich, dass die Sozialdemokratie reformierbar ist?“, wurde sie zuletzt einmal gefragt: „Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als das zu glauben“, war ihre wirklich schöne Antwort auf diese Frage.

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