Das allgemeine Unsicherheitsgefühl ist das Einfallstor zur Tyrannei. Diese Unsicherheit ist die Pathologie unserer Zeit.
taz, Das Schlagloch, September 2023
Jüngst begegnete ich einem Freund und Mitstreiter, der vor wenigen Jahren Spitzenfunktionen in einer kämpferischen Linksregierung in Südeuropa bekleidete. Wir plauderten ein paar Minuten über die Misslichkeiten in diesen und jenen Nationen, und dann sagte er einen Satz, der mir sehr zu denken gab. „Wir müssen versuchen, die rechte Welle wenigstens zu bremsen. Stoppen können wir sie nicht, aber bremsen wäre gut.“ Es gab mir deshalb sehr zu denken, da er – und ich – es vor einigen Jahren als eine der Schwächen der europäischen Linken charakterisiert hätten, dass man dauernd nur „das Schlimmste verhindern“ wolle. Von der Art: „Wählt uns, damit es langsamer schlechter wird…“. Wir hätten also genau dieses Mindset dafür verantwortlich gemacht, dass die radikalisierten Konservativen und extremistischen Rechten leichtes Spiel haben.
Ich stellte aber fest, dass ich seine deprimierende Botschaft nicht sofort intuitiv ablehnte, sondern dass sie mich ins Grübeln brachte. Was, wenn er recht hat? Wenn wir in einem dystopischen Moment leben, in dem schon einiges gewonnen ist, wenn wir die Machtübernahmen autoritärer Rechter verhindern, Pluralismus und Demokratie intakt halten, bis irgendwann wieder hellere Zeiten kommen? Der Staat, der schützt weiterlesen