Sie war doktrinär, liebte Fehden, lag manchmal richtig, sehr oft auch falsch. Dennoch – oder deswegen? – ist Rosa Luxemburg bis heute eine ideale Identifikationsfigur der Linken. Vor 100 Jahren wurde sie ermordet.
Für Zeit-Online, 15. Jänner 2015
Sie ist bis heute das vielleicht größte Idol der Linken, geradezu die ideale Identifikationsfigur für radikale Entschiedenheit: Rosa Luxemburg. Sie stand immer auf der richtigen Seite, etwa, wenn wankelmütig gewordene Sozialdemokraten ihre faulen Kompromisse mit dem herrschenden System machten, sie saß für ihre Überzeugungen jahrelang im Gefängnis, sie wich keinem Konflikt aus und war dennoch keine Menschenschinderin mit Erschießungspelotons wie Lenin oder gar Stalin. Im Gegenteil, ihre Prosa ist voller Zärtlichkeit: „Die Welt muss umgestürzt werden, aber jede Träne, die geflossen ist, obwohl sie abgewischt werden konnte, ist eine Anklage; und ein zu wichtigem Tun eilender Mensch, der aus roher Unachtsamkeit einen Wurm zertritt, begeht ein Verbrechen“, formulierte sie. Am Ende wurde sie auch noch zur Märtyrerin, Opfer eines Meuchelmordes einer rechtsradikalen Soldateska.
Viel mehr an Zutaten zum Idol geht eigentlich kaum.
Exakt 100 Jahre ist das jetzt her, dass Rosa Luxemburg von Freicorpssoldaten in einer geheimen Wohnung aufgestöbert wurde, nachdem die Aufstandsversuche vom chaotischen Januar 1919 in Berlin niedergeschlagen worden waren. Nach kurzem Verhör und Misshandlung im damaligen Hotel Eden bei der Budapester Straße wurde sie in einen Gefangenenwagen geschafft, dort mit einem Gewehrkolben niedergeschlagen und einfach erschossen. Ihre Leiche wurde in Landwehrkanal geworfen, wo sie erst Monate später wieder auftauchte.
Eine Frau, die so endet, und die mit ihrer Kritik so oft so recht hatte – die steht auf einem Sockel, und alles ist glasklar. Aber ist es das denn wirklich? Luxemburgs Gegner – und das waren im Laufe der Zeit so ziemlich alle -, hatten sehr oft unrecht. Aber das heißt ja noch nicht unbedingt, dass Rosa Luxemburg immer recht hatte.
Eine Art Wunder war sie von Anbeginn. Als Tochter in eine Kaufmannsfamilie in einem polnischen Provinzkaff 1871 geboren, studiert sie, macht sich als Nationalökonomin einen Namen, wirft sich in die sozialistische Theoriedebatte. All das zu einer Zeit, in der man jungen Mädchen und Frauen noch beibrachte, in der zweiten Reihe zu stehen – allenfalls. Sich nicht groß hervor tun, sondern die Autorität der Männer zu achten, zumal dann, wenn die doppelt so alt wie sie sind und außerdem Legenden. Nichts von all dem tat Rosa Luxemburg.
So bewundernswert das ist und so brillant sie argumentierte – so ist auch ihr Weg mit Irrtümern gepflastert.
Generationen von radikalen Linken haben es in den letzen Jahrzehnten zuwege gebracht, die Gegner von Luxemburg in den vielen Kontroversen, die sie führte, als Kompromissler und Anpassler hinzustellen, und Rosa Luxemburg sowohl als hellsichtige Kritikerin wie auch als die eigentliche Fackelträgerin des Erbe von Revolutionsheroen wie Karl Marx und Friedrich Engels. So etwa im berühmten „Revisionismusstreit“, der ab Ende des 19. Jahrhunderts tobte. Ausgelöst hat ihn Eduard Bernstein, einer der Veteranen der Bewegung, Mitstreiter von Marx und engster Mitarbeiter des alten Friedrich Engels. Engels selbst hatte in seinen letzten Lebensjahren die Gemäßigten in der Sozialdemokratie gefördert und ihnen immer wieder gratuliert, wenn sie die Heißsporne in der Bewegung ausgetrickst hatten. Bernstein schließlich hatte diese Wendung vom Revolutionspathos zum Reformismus dann theoretisiert – vor allem an Hand von ökonomischen Fakten und soziologischen Untersuchungen.
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Dass der Kapitalismus die Gesellschaft in eine Zuspitzung von Klassengegensätzen zerreißt, unermesslichen Reichtum auf der einen Seite, und immer mehr Elend auf der anderen Seite konzentriere, hatte sich als falsch erwiesen. Auch dass der Kapitalismus seinem Zusammenbruch notwendigerweise entgegen gehe, erschien plötzlich nicht mehr so fix. Auch Arbeiter konnten ihren Wohlstand steigern, manche sogar in den Mittelstand aufsteigen, nicht zuletzt dank des Erfolgs von Sozialdemokraten und Gewerkschaften selbst. Marx‘ Prognose immer ärgerer Verelendung wurde zunehmend fragwürdig. Bernstein hatte das aus der Steuerstatistik und anderen Daten heraus gelesen.
Rosa Luxemburg, noch keine dreißig, griff Bernstein radikal an. Bernstein wolle den Sozialismus als Endziel aufgeben, schrieb sie (was nicht falsch war), wohingegen sich die kapitalistischen Widersprüche „mit jedem Tag schärfer“ zeigen (was nicht richtig war). Dabei traf sie mit ihrer Kritik durchaus richtige Punkte. In der Sozialdemokratie griff eine gewisse Bravheit um sich, eine Funktionärsschicht gewann Wichtigkeit, der die gemächliche Ruhe des langsamen Schritt-für-Schritt wichtiger war als Risiko und Abenteuergeist. Dafür gab es gute Argumente, es förderte aber auch Mittelmäßigkeit und Beamtenmentalität. Diese Milieus waren froh, mit Bernstein einen Theoretiker gefunden zu haben. Darin hatte Luxemburg recht. Aber das ändert nichts daran, dass in der ökonomischen Analyse und im hellsichtigen Wittern von Zeittendenzen eher Eduard Bernstein recht hatte, während Luxemburg eher den Buchstabengeist von Karl Marx Arbeiten verteidigte – und wenn die Wirklichkeit dem entgegenstand, dann umso schlimmer für die Wirklichkeit. „Eine Theorie der sozialistischen Versumpfung“, nannte sie Bernsteins Realismus – um Injurien war sie im Streit nie verlegen. Schließlich liebte sie Wortgefechte und mediale Fehden. „Keine Kompromisse“ weiterlesen