Meine Revolution. FS Misik 98 über 1989


Wie ich Alexander Dubcek am Weg auf Klo umrannte und andere Erinnerungen an 1989.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass es auch im Osten Meinungsfreiheit und Demokratie gibt, dass man überall hinreisen kann und Europa nicht mehr von einer Blockgrenze geteilt wird. Da wird leicht vergessen: 1989, das war eines jener seltenen Jahre, in der die Geschichte einen neuen Weg einschlägt. Was waren das für Wochen des Freiheitspathos! Als in Berlin die Mauer fiel griff ich mir mein ganz persönliches Betontrumm als Erinnerung. In Prag rannte ich Alexander Dubcek beinahe um, als der seinen ersten öffentlichen Auftritt seit dem Prager Frühling hatte. Und ich hatte auch das Glück, dabei zu sein, als die Revolutionäre vom Sieg ihrer Revolution erfuhren. ’89, das ist eines der großen Daten der Geschichte jüngeren Geschichte.

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Das Ausländerproblem. Gibt’s das wirklich?


Die FPÖ gewinnt Wahlen, und jetzt will vor allem die SPÖ die Integrationspolitik überdenken. Aber wie kann eine „neue“ Integrationspolitik aussehen? Soll die so restriktiv sein, dass sich die FPÖ-Wähler freuen, dass Ausländer jetzt so richtig gequält werden? Das wäre wohl keine gute Idee. Dennoch: Ja, man soll über Probleme und Konflikte reden. Vor allem in unterprivilegierten Wohngegenden erleben die Eingesessenen den massanhaften Zuzug von Migranten als sozialen Abstieg. Viele Migranten wiederum bilden eine neue soziale Unterklasse. In manchen Vierteln gibt es eine regelrechte Abwärtsspirale von sozialem Abstieg, Deklassierung und Konflikten. Aggression gibt es auf beiden Seiten: auf Seiten der Eingesessenen und auf Seiten der Neuankömmlinge. Und: Sehr lange wurde das Problem ignoriert, oder man dachte, es reicht, die „Integrationspolitik“ von Polizei und Innenministerium betreiben zu lassen. Das Ergebnis ist eine verlorene Generation, die jetzt die Parks unsicher macht. Man muss hier schleunigst etwas ändern. Aber ist das wirklich nur Aufgabe der Politik? Oder muss sich nicht jeder die Frage gefallen lassen: Was tust Du eigentlich, damit das, was heute schlecht funktioniert, morgen besser läuft?

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Haben die Sozialdemokraten verstanden? – FS Misik # 96


Was für ein Wahlabend: Die politische Landschaft in Deutschland und Österreich mag in vieler Hinsicht unterschiedlich sein, aber hier wie dort setzte es ein herbes Debakel für die Sozialdemokratie. Und in einem sind sich SPD und SPÖ auch ähnlich: Kleinmut und Ideenmangel. Hier wie dort wurde das lange auch noch als Tugend verkauft, nach dem Motto: Wir versprechen nichts, was wir nicht halten können. Aber womöglich ist das ihr – und damit im Fall der SPÖ leider auch unser – Problem: dass sie die Wähler unterfordern. Dass sie gar nichts mehr versprechen außer die kleinen Versprechungen, die die Bürger einlullen. Aber womöglich wollen die Bürger gar nicht eingelullt werden, vielleicht würden sie das ja sogar mögen, dass einer mit zwei, drei fordernden Ideen auf sie zukommt und ihnen sagt: das will ich erreichen, das ist meine positive Idee von der Gesellschaft, in der ich in zwanzig Jahren leben will und es lohnt sich, dass man sich dafür anstrengt. Frank-Walter Steinmeier kann sich das jetzt von der Oppositionsbank aus überlegen. Werner Faymann sitzt nur mehr eine Spur bequemer.

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Wer nicht klar fragt, hat schon verloren

Für das Wahlblog der Böll-Stiftung:

 

Es gibt eine beliebte literarische Figur: den „Endismus“. Will man ein irgendwie gefühlt bedeutendes Ereignis mit Bedeutung in einem eminenten Sinn adeln, muss man es zum Ende von irgendetwas, am besten natürlich von einer Epoche erklären. Die neueste Denkfigur ist: Das Ende der Volksparteien. Bis vorgestern war der Hit der Saison: Das Ende des Lagerdenkens. Fragen wir nun: Markiert das Ergebnis der Bundestagswahl tatsächlich das Ende der klaren, distinkten politischen Lager?

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Schade, dass der Wahlkampf schon wieder vorbei ist

Für den Wahlblog der Böll-Stiftung

 

Also, irgendwie ist das gemein. Da schleppt sich der Wahlkampf wochenlang dahin, und kaum wird er spannend, ist er schon wieder vorbei. Ist doch wahr: Plötzlich ist alles wieder irgendwie fluide. Steinmeier gewann an Statur, ja, eigentlich hat man ihn gerade erst richtig kennen gelernt, die SPD holt auf, Union und FDP rutschen von Umfrage zu Umfrage tiefer unter das Plansoll für die absolute Mandatsmehrheit und werden entsprechend nervös. Die Grünen führen ihren Wahlkampf irgendwie im Stillen, was ihnen aber die Aura des inhaltlich Ernsthaften verleiht, und die Linken haben es ohnehin leicht – es reden ohne ihr Zutun alle davon, dass das mit der Quarantäne im Bund bald vorbei sein wird. Also ich, ich hätte mir das gerne noch ein, zwei Wochen länger angesehen: Jetzt, wo etwas Wind aufkommt, würde ich zu gerne wissen, wo der uns noch hinwehen kann. Aber nein, Sonntag ist dann schon wieder Schluss. Irgendwie ungerecht.

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Sozialdemokratische Integrationspolitik – Ten Years After

Österreichs Sozialdemokratie will nun ein Konzept zur Integrationspolitik vorlegen – nach den Wahlniederlagen und dem Wiederaufstieg der FPÖ. Ich muss zugeben, das ist ein ulkiges deja-vu. Und ich habe dazu eine kleine Geschichte zu erzählen: Vor zehn Jahren, im Januar 2000, erhielt ich einen Anruf. Am anderen Ende der Leitung war ein aufgeregter Spitzenfunktionär der SPÖ, der mir berichtete, dass die ÖVP jetzt tatsächlich mit der FPÖ koalieren wolle. Der SPÖ-Bundeskanzler, Viktor Klima, wolle das aber nicht hinnehmen und im letzten Moment eine Minderheitsregierung bilden. Die wolle er über das Wochenende zusammenstellen, brauche aber dringend ein Regierungsprogramm. Ob ich nicht das Kapitel zur Integrationspolitik schreiben könne, wurde ich gefragt. Nun, warum soll man nicht einmal in Notzeiten etwas Sinnvolles tun, wenn sich damit eine ÖVP-FPÖ-Koalition verhindern ließe, dachte ich mir. Kurzum: Drei Tage später gab es keine SPÖ-Minderheitsregierung, sondern den Schüssel-Haider-Pakt. Es gab auch kein Regierungsprogramm für eine SPÖ-Minderheitsregierung. Sondern nur ein Kapitel davon: Meines. Ich habe es in den Tiefen meiner Datenbanken gefunden und stelle es hier online. Vielleicht kann Herr Darabos heute – zehn Jahre später – damit etwas anfangen. Beim Wiederlesen kam mir übrigens der Gedanke: Wäre damals was daraus geworden, wäre uns vielleicht manches erspart geblieben.

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Gekündigt wegen Bagatelldelikt: Name and Shame them!

Für den Wahlblog der Böll-Stiftung:

 

Gerade häufen sich wieder solche Meldungen: Eine 58jährige Altenpflegerin nimmt sechs Maultaschen, die beim Essen im Pflegeheim übriggeblieben waren und weggeworfen worden wären, mit nach Hause – und wird fristlos gekündigt. Sie hat ja „geklaut“. So wie der 26jährige Mitarbeiter einer Bergkamener Bäckerei, der sich eine Lage Aufstrich auf ein Brötchen schmierte. Das Brötchen hatte er in der Bäckerei vorher bezahlt (!), den Aufstrich nicht. Diese Kündigung hat das Arbeitsgericht mittlerweile kassiert. Legendär ist ja derweil der Fall der Kaiser’s-Kassierin, die nach Jahren im Betrieb wegen unterschlagener Pfandbons im Wert von 1,30 Euro geschasst werden sollte. Oder der des Müllmannes, der von der Müllhalde ein Klappbett für seine Tochter mitnahm, das noch funktionstüchtig war – auch rausgeworfen wegen „Diebstahls“.

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Böckenförde wehrt sich gegen Vereinnahmung durch die Kirche

Politisierende Kardinäle, Prälaten und Theologen warten heutzutage mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit ihrem Lieblingszitat auf, wenn sie uns beweisen wollen, wie wichtig der Gottglaube für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist. Dieses Zitat ist mehr als vierzig Jahre alt und stammt vom deutschen Staatsrechter Ernst-Wolfgang Böckenförde und lautet so: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Soll heißen: die Ordnung der Freiheit zehrt vom kulturell-moralischen Zusammengehörigkeitsgefühl, das ihr Vorgängig ist. Ganz allgemein wird Böckenfördes Zeile als Beweis dafür genommen, wie wichtig die Religion ist, um Menschen eine Moral zu geben und das Gefühl, dass sie irgendetwas miteinander verbindet. In der heutigen taz findet sich nun ein Interview mit Böckenförde in dem dieser sagt: Ich hab’s gar nicht so gemeint.

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